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Nach Aussetzung des Auslieferungsgesetzes Demonstranten übernehmen Hongkongs Straßen

Schwarze T-Shirts und Regenschirme: Auch am Tag nach der Aussetzung des umstrittenen Auslieferungsgesetzes gibt es in Hongkong Proteste gegen die Regierung - und einen tragischen Todesfall.

Obwohl das umstrittene Auslieferungsgesetz zunächst verschoben ist, gehen in Hongkong die Proteste weiter. Zehntausende Demonstranten marschierten durch das Zentrum der chinesischen Sonderverwaltungszone.

Der Protestveranstalter Civil Human Rights Front teilte mit, die Kundgebung sei erforderlich, weil die Regierung ihre Pläne für das umstrittene Auslieferungsgesetz nicht komplett gestoppt habe. Die Demonstranten forderten Regierungschefin Carrie Lam zum Rücktritt auf.

Lam hat sich nun bei den Bürgern der Stadt entschuldigt. Sie wolle "aufrichtig und demütig" Kritik annehmen und Verbesserungen im Dienste der Öffentlichkeit erzielen, hieß es in einer Mitteilung. Die Regierung habe verstanden, dass viele Menschen aus "Sorge und Liebe" zu Hongkong gegen das Gesetz auf die Straße gegangen seien. Am Donnerstag hatte Lam die Proteste noch als "Aufruhr" und "eindeutig organisiert" bezeichnet.

Heftige Auseinandersetzungen

Am Samstag hatte Lam angekündigt, Beratungen über das Gesetz vorerst auszusetzen. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass es in der Öffentlichkeit immer noch Bedenken und Zweifel an der Gesetzesvorlage gebe. Außerdem müsse in der Stadt wieder Ruhe herrschen. Lam hatte das Gesetz zuvor vehement verteidigt.

SPIEGEL-Korrespondent Bernhard Zand analysiert die Lage im Video:

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Das Auslieferungsgesetz würde Hongkongs Behörden erlauben, von China verdächtigte und gesuchte Personen an die Volksrepublik auszuliefern. Kritiker warnen, Chinas Justiz sei nicht unabhängig und diene als Werkzeug der politischen Verfolgung. Auch drohten Folter und Misshandlungen.

Am vergangenen Wochenende hatten unterschiedlichen Schätzungen zufolge mehrere Hunderttausend bis zu mehr als eine Million Hongkonger gegen das Vorhaben der Regierung demonstriert. Danach kam es am Mittwoch zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, bei denen 81 Menschen verletzt wurden.

Blumen für toten Demonstranten

"Ich denke, die Mehrheit der Menschen in Hongkong wird eine vorübergehende Aussetzung nicht akzeptieren", sagte Demonstrant Thomas Hong, der seit Tagen an einem Hungerstreik vor dem Hongkonger Regierungssitz teilnimmt.

Am Sonntag trugen viele der Demonstranten schwarze T-Shirts. Zudem teilten Aktivisten weiße Blumen aus, mit denen eines am Vortag gestorbenen Demonstranten gedacht werden sollte.

Hongkongs Polizei teilte mit, dass es sich um einen Suizid gehandelt habe. Der Mann war am Samstag auf ein Baugerüst an einem Einkaufszentrum geklettert, wo er zunächst Protestbanner gegen das Gesetz für Auslieferungen an China und Regierungschefin Carrie Lam anbrachte, berichteten lokale Medien.

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Nachdem er mehrere Stunden auf dem Gerüst ausgeharrt hatte, kletterte er über die Brüstung und stürzte in die Tiefe. Zuvor hatten Rettungskräfte versucht, den 35-Jährigen zu überzeugen herunterzuklettern. Auf Fotos ist ein gelbes Luftkissen zu sehen, dass die Feuerwehr vor dem Gerüst entfaltet hatte. Hongkonger legten später Blumen vor dem Einkaufszentrum nieder.

Im Video: Aktivist Joshua Wong zu den Protesten

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Die Demonstration am vergangenen Wochenende war Beobachtern zufolge die größte in Hongkong seit dem Protest gegen die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in Peking vor drei Jahrzehnten am 4. Juni 1989.

Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenes Territorium autonom regiert. Anders als die Menschen in der Volksrepublik genießen die Hongkonger nach dem Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungsregion das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit.

brt/dpa
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