Prozess gegen Aktivisten "Jetzt ist klar, Peking bestimmt die Spielregeln"

"Regenschirm"-Protest 2014
Foto: Alex Hofford/ dpaAuf einmal waren die Bilder wieder da: Die Menschen, die in den Straßen des Finanzdistrikts von Hongkong campierten. Bunte Regenschirme hatten viele über sich aufgespannt als Schutz vor Sonne und Regen, aber auch vor dem Tränengas der Polizei. Juradozent Benny Tai sieht die Videosequenzen des Protestes heute, vier Jahre später, noch einmal an. Er war damals mittendrin, war einer der Anführer der Bewegung, die sich für mehr Demokratie in der Sonderverwaltungszone einsetzte.
Dafür sitzt Tai jetzt mit acht weiteren Angeklagten vor Gericht. Zum Auftakt der Verhandlung werden ihnen die Protestszenen auf Monitoren gezeigt. "Die Bilder berühren mich immer noch sehr", sagt Tai hinterher, und scherzt: "Der Prozess ist doch nicht so langweilig, wie ich befürchtet hatte".

Anführer der "Regenschirm-Revolution" Tanya Chan (r-l), Chan Kin Man, Benny Tai, Chu Yiu Ming und Lee Wing Tat rufen vor dem Eintreten in ein Gericht
Foto: Vincent Yu/ dpaTai und zwei weiteren Männern wird Anstiftung und Verschwörung zur Störung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen. Dafür drohen ihnen laut Hongkonger Gesetzen bis zu sieben Jahre Haft. Er ist sich wie viele andere Beobachter sicher: Die Regierung in Peking hat ein starkes Interesse daran, dass die Anführer der Demokratie-Bewegung verurteilt werden. Willy Lam, außerordentlicher Professor für Chinastudien an der Universität Hongkong, führt dafür ein bekanntes chinesisches Stichwort an: "Sie wollen die Hühner töten, um die Affen abzuschrecken".
Die Affen, das sind in diesem Fall die Hongkonger, die sich immer noch für eine Unabhängigkeit von der Kommunistischen Partei (KP) in China einsetzen - auch wenn die Bewegung heute deutlich schwächer ist als noch zu Beginn 2014, als die Demonstranten den Verkehr in der Metropole 79 Tage stark behinderten. Damals schlossen sich vor allem Studenten den Forderungen an, etwa der nach einer direkten Wahl des Regierungschefs. Immerhin hatte Peking 1997 den sieben Millionen Hongkongern unter der Formel "ein Land, zwei Systeme" für 50 Jahre weitreichende innere Autonomie und freie Wahlen zugesichert. Das sieht vor allem die Opposition aber nicht als erfüllt an.

Benny Tai in Hongkong im Oktober 2018
Foto: ELAINE YU/ AFPProteste wie 2014 sollen nie wieder passieren
"Die 'Regenschirm-Revolution' war ein Schock für Peking", sagt Mareike Ohlberg vom Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. Die Anklage gegen Tai solle nun der Abschreckung dienen - er ist also das Huhn aus dem Sprichwort. Der chinesischen Regierung sei es wichtig, den Aktivisten endgültig die Bühne zu entziehen. Dafür werde zudem auf dem Campus der Universitäten strenger kontrolliert. Studenten, die im Verdacht stehen, aufrührerisch zu sein, würden auch mal zur Seite genommen und verwarnt. "Es wird nicht mehr nur auf der oberen Regierungsebene durchgegriffen, sondern auch auf niedrigerer Ebene", sagt Ohlberg.
Konkrete Beweise für die Einmischung Pekings auszumachen, ist allerdings schwierig. Zeichen dafür, dass der Griff Pekings um Hongkong enger wird, gibt es aber durchaus: Etwa der Fall der Buchhändler, die kritische Schriften geführt haben sollten, und von denen mindestens einer direkt aus Hongkong von Polizisten in die Volksrepublik verschleppt worden sein soll. Oder die Abgeordneten des Parlaments, die ebenfalls der Bewegung nahestanden, und ihren Amtseid nicht "vollständig und feierlich" abgelegt haben sollen, weshalb ihnen das Mandat wieder entzogen wurde (mehr dazu lesen Sie hier).

Für den ausgewiesenen Chinakenner Lam steht fest: "Es ist der Plan Pekings, die Unabhängigkeit Hongkongs zu reduzieren." Die Regierung von Präsident Xi Jinping werde nie wieder tolerieren, was 2014 passiert ist. Hongkongs Regierung nehme Befehle aus Peking entgegen. "Die Hongkonger Regierung ist ein Strohmann der KP", sagt Lam. Oberstes Ziel sei es, die Opposition mundtot zu machen. Dazu diene auch der Prozess. "Jetzt ist klar, Peking bestimmt die Spielregeln."
Sorge wegen "Artikel 23"
Warum es vier Jahre gedauert hat, um die Aktivisten vor Gericht zu stellen, erklären die Justizbehörden mit der "Komplexität des Falles und der Menge an Beweisen, die überprüft werden mussten". Tai sagt, die Ermittlungen seien aufgenommen worden, als die neue Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam ins Amt kam - sie gilt als der Regierung in Peking wohlgesonnen.
Am meisten sorgen sich aber Lam und Tai, was passiert, wenn das nationale Sicherheitsgesetz, auch bekannt als "Artikel 23", in Kraft tritt. Ein Gesetzentwurf dazu hatte 2003 schon für massive Proteste gesorgt, worauf die Einführung aufgeschoben wurde. Laut "South China Morning Post" sollen damit nach aktueller Fassung "Hochverrat, Abspaltung oder Umsturz der Zentralregierung" sowie Kooperationen mit ausländischen Kräften untersagt werden. Einen Termin für die Einführung gibt es noch nicht. "Das würde die Meinungs- und Versammlungsfreiheit noch weiter einschränken", sagt Lam.
Wie geht es weiter mit der Bewegung? "Diejenigen, die noch übrig sind, überlegen, von wo aus sie sonst noch protestieren können", sagt Ohlberg. Dass die "Regenschirm-Revolution" je wieder so eine Wucht ausüben kann wie 2014, daran glaubt kaum noch jemand. In wenigen Wochen soll das Urteil im Prozess gegen Tai und die anderen gesprochen werden.
Zusammengefasst: In Hongkong stehen Anführer der Demokratie-Bewegung, auch bekannt als "Regenschirm-Revolution" von 2014 vor Gericht. Experten sehen darin den Versuch, Peking-Kritiker abzuschrecken und ein neues Erstarken der Bewegung zu verhindern.
Die Interviews mit Benny Tai und Willy Lam wurden per E-Mail geführt.