Der US-Präsident preist sich vor dem Kongress vor allem selbst. Für die Demokraten sind es schwierige Stunden. Dabei muss Donald Trump das Impeachmentverfahren und das Auszählungsdesaster in Iowa nicht einmal erwähnen.
US-Präsident Donald Trump: kontrolliert, wenn es ihm politisch hilft
Foto: MARIO TAMA/ AFP
Die eindrücklichste Szene ereignet sich Sekunden, nachdem Donald Trump seine Ansprache beendet hat. Gastgeberin Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, steht hinter dem Präsidenten und hält ein Manuskript seiner Rede in die Höhe. Sie reißt erst die eine Hälfte des Papierstapels in der Mitte durch, dann die andere, dann wirft sie die Schnipsel vor sich auf den Tisch. Es ist eine Geste der Verachtung, die zeigt, wie tief und unüberbrückbar die Kluft zwischen Trump und den Demokraten mittlerweile ist.
Es ist auch eine Geste der Hilflosigkeit, denn der Tag gehört Trump. Nicht nur, weil er die Gelegenheit hat, anderthalb Stunden lang vor dem Kongress und Millionen amerikanischer Fernsehzuschauer echte und vermeintliche Erfolge zu feiern. Sondern auch, weil die Demokraten in diesen Tagen ein politisches Desaster nach dem anderen erleben. Und das in einer Phase, in der sie jede Wahlkampfunterstützung brauchen könnten.
Aus Trumps Rede können sie wenig Trost ziehen. Der Präsident hält für seine Zuhörer im Saal einige Überraschungen bereit. Eine der größten ist, dass er sich an das Manuskript hält. Sonst schweift er gern ab, beleidigt Kritiker oder überhöht seine Triumphe. Diesmal zeigt er sich diszipliniert, das ist kein gutes Zeichen für seine Gegner. Wenn es ihm politisch hilft, kann selbst Trump sich kontrollieren.
Das heißt nicht, dass er die Gelegenheit zum Selbstlob ungenutzt lässt. Er spricht vom "großen amerikanischen Comeback", das er in die Wege geleitet hat. Er rühmt sich für die "beste Wirtschaft", die niedrige Arbeitslosenzahl, Rekordsteuersenkungen und faire Handelsverträge. "Das amerikanische Zeitalter hat erst begonnen", ruft er.
Trump zählt all das auf, was er in den kommenden Monaten im Wahlkampf immer wieder betonen wird: Dass er Fabrikschließungen gestoppt und das Militär gestärkt habe, dass er "pro life" ist, also gegen Abtreibungen. Aber vor allem, dass er die illegale Einwanderung wirksam bekämpft und eine "lange, hohe und sehr wirksame Mauer" bauen werde. Nur seine frühere Behauptung, Mexiko werde zahlen, wiederholt er nicht.
Einiges von dem, was Trump sagt, ist übertrieben. Viele seiner Erfolge bauen auf dem auf, was sein Vorgänger Barack Obama angestoßen hat. Aber in einem hat er recht: Der amerikanischen Wirtschaft geht es gut, die Arbeitslosigkeit ist auf einem 50-Jahres-Tief, die Realeinkommen steigen, die Armut sinkt. Wie wollen die Demokraten dagegen Wahlkampf führen?
Kein Wort zum Impeachment
Das Impeachmentverfahren, seit Wochen das wichtigste politische Thema des Landes, erwähnt Trump kein einziges Mal. Es sollte den Demokraten einen großen Schub im Wahlkampf bringen. Das Gegenteil ist passiert. Die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Amtsenthebung wird am nächsten Tag im Senat nicht zustande kommen, das weiß Trump. Statt ihm zu schaden, hat ihm der ganze Prozess genutzt. In einer Gallup-Umfrage hat er einen Zustimmungswert von 49 Prozent erreicht, den bisher höchsten seiner Amtszeit. Er kann es sich leisten, über gewisse Dinge zu schweigen.
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Dafür baut er Elemente in seine Rede ein, die man je nach politischer Ausrichtung belebend oder geschmacklos finden kann. Der rechte, an Krebs erkrankte Radiomoderator Rush Limbaugh erhält während der Ansprache die Freiheitsmedaille, die höchste zivile Auszeichnung der USA, aus der Hand von Präsidentengattin Melania. Und einer jungen Frau, die sich um Soldatenfamilien kümmert und mit ihren zwei kleinen Kindern auf der Besuchertribüne sitzt, kündigt Trump eine Überraschung an: Ihr Mann ist von seinem Einsatz zurück und kann seine Familie vor jubelndem Publikum in die Arme schließen. In diesen Momenten merkt man, dass Trump in seinem früheren Leben Star im Reality-TV war.
Und die Demokraten? Werden von ihm nicht einmal ignoriert. Schon zu Beginn nicht, als er die von Pelosi ausgestreckte Hand nicht schüttelt, wobei unklar ist, ob er sie übersehen hat.
Es ist kein Auftritt wie bei der letzten "State of the Union", als der Präsident sich staatsmännisch gab und den Demokraten die Zusammenarbeit anbot. Diesmal ist von Zusammenarbeit keine Rede, die gegenseitige Abneigung ist zu groß. Einige prominente Demokraten wie die linke Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez oder Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders sind gar nicht erst gekommen.
Genauso, wie er nicht über das Impeachment spricht, erwähnt Trump das demokratische Vorwahlchaos in Iowa nicht. Während seines Auftritts gibt es noch keine endgültigen Zahlen aus dem Staat. Was er davon hält, hatte Trump schon zuvor in einem Tweet klargemacht: "Das demokratische Caucus-Verfahren ist ein uneingeschränktes Desaster. Nichts funktioniert, genauso wie sie das Land regiert haben."
Die Mienen vieler demokratischer Abgeordneten im Saal sind wie versteinert. Sie wissen, dass Trump recht hat. Iowa ist eine Blamage für die Demokraten. Und so wie es aussieht, wird es noch dauern, bis sich ein Kandidat herausschält, hinter dem sich die Partei versammeln kann. Wenn es denn überhaupt einen gibt, der den moderaten und den linken Flügel zusammenführen kann. So werden die Präsidentschaftsbewerber sich noch wochenlang untereinander streiten, statt Trump zu attackieren.
Der hingegen hat sich seine Partei völlig untertan gemacht. Mit dem Abschluss des Impeachmentverfahrens ist die Unterwerfung der Republikaner vollendet. Aus moralischer Sicht ist das eine Bankrotterklärung der Partei. Unter wahltaktischen Aspekten ist es vermutlich der richtige Schritt.
Während die Demokraten streiten, haben die Republikaner in Iowa auch eine Vorwahl abgehalten. Der Sieger heißt, wenig überraschend, Donald Trump, mit mehr als 97 Prozent ."Die höchste Wiederwahl-Stimmenzahl in der Geschichte dieses großartigen Staates", brüstete sich der Sieger. Wer soll ihn jetzt aufhalten?