

Kairo/Hamburg - Ägypten rüstet sich für neue Proteste: Am Sonntag jährt sich die Amtsübernahme von Präsident Mohammed Mursi zum ersten Mal, die Opposition hat für den Jahrestag zu Großdemonstrationen gegen den Muslimbruder aufgerufen.
Doch die Islamisten wollen den Regierungsgegnern zuvorkommen: Mehrere tausend Anhänger der Muslimbrüder versammelten sich bereits nach dem Freitagsgebet in Kairo. Einige von ihnen kündigten an, Plätze und Straßen blockieren zu wollen, um die Kundgebung der Opposition am Sonntag zu verhindern. Viele Demonstranten seien mit Bussen aus ganz Ägypten in die Hauptstadt gebracht worden, berichten Augenzeugen.
Erste Zusammenstöße gab es am Freitag bereits in der Großstadt Alexandria. Dort wurden mehrere Dutzend Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern der Islamisten verletzt. Die Polizei setzte Tränengas ein, um die Massenschlägerei im Sidi-Gaber-Viertel zu beenden, während die Kontrahenten mit Steinen und Stöcken aufeinander losgingen. Die Muslimbruderschaft zählte unter ihren Anhängern 36 Verletzte. Ärzte in der Hafenstadt berichteten am Freitag, sie hätten 22 Demonstranten behandelt. Laut der Agentur Reuters starb ein Mann bei einem Schusswechsel.
In einigen Moscheen sollen Prediger am Freitag gegen Mursis Gegner gehetzt haben. Die Aufrufe zum Protest gegen den Präsidenten seien eine "illegitime Revolte und unislamisch", zitierte die Zeitung "al-Ahram" den Imam der Kairoer Rabaa-al-Adawija-Moschee, vor der sich Tausende Mursi-Anhänger versammelt hatten.
Auch die Opposition bereitete am Freitag ihren Protest vor. Aktivisten errichteten Zelte auf dem zentralen Tahrir-Platz. Dort begann im Januar 2011 die Revolte gegen Diktator Husni Mubarak, nun wollen sie die "zweite Revolution" ausrufen. Auch in anderen Städten planen Unterstützer und Gegner der Regierung Demonstrationen.
Fünf Tote in den vergangenen Tagen
"Unsere Strategie ist genauso wie bei der Revolution des 25. Januar. Damals wurde so lange demonstriert, bis Mubarak verschwand, so wollen wir es jetzt auch machen. Unser Protest wird gewaltfrei sein", sagte Hussein Abd al-Ghani, Sprecher der oppositionellen Nationalen Rettungsfront.
Tamarud nennt sich die neue Protestbewegung, der sich die meisten Oppositionsparteien angeschlossen haben. Tamarud bedeutet übersetzt Rebellion. Ihren Protestaufruf sollen in den vergangenen Wochen angeblich 20 Millionen Ägypter unterzeichnet haben - das wäre fast jeder vierte Bürger. Mursi hatte kurz vor dem ersten Jahrestag seiner Amtsübernahme zwar Fehler eingeräumt, sich aber entschlossen gezeigt, an seinem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kurs festzuhalten. Erst in der vergangenen Woche hatte er mit der Ernennung neuer Provinzgouverneure die liberale Opposition verärgert. Unter anderem hatte Mursi ein Mitglied der einst militanten Gamaa Islamija zum Gouverneur von Luxor gekürt. Der Mann gab den Posten kurz darauf auf - angeblich freiwillig.
Die Muslimbrüder haben den Schutz ihrer Büros für das Wochenende weiter verstärkt. In den vergangenen Tagen hatten Demonstranten an mehreren Orten Vertretungen der Islamisten angegriffen. Der jüngste Vorfall ereignete sich in der Nacht auf Freitag im Nildelta nördlich von Kairo. Bei einem Angriff auf ein Büro der Muslimbrüder in der Stadt Sagasig wurde nach deren Angaben ein Mann erschossen.
Die wichtigste religiöse Institution des Landes warnte vor einer Eskalation der Gewalt. "Wachsamkeit ist gefordert, um sicherzustellen, dass wir nicht in einen Bürgerkrieg abgleiten", schrieben die Islamgelehrten der Kairoer Azhar-Universität am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung.
Sowohl Mursis Anhänger als auch die Oppositionellen werden am Wochenende mit einem gemeinsamen Gegner zu kämpfen haben - der großen Hitze. Für die kommenden Tage sind Höchsttemperaturen von mehr als 35 Grad in Kairo vorhergesagt.
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Anhänger von Präsident Mohammed Mursi haben sich vor der Rabaa-al-Adawija-Moschee in Kairo versammelt. Sie beten für den Staatschef, der Prediger hetzt gegen die Opposition.
Mehrere tausend Unterstützer der Muslimbrüder haben sich im Stadtteil Nasr City versammelt. Einige wollen bleiben und die für Sonntag geplanten Kundgebungen der Regierungsgegner verhindern.
Volksfeststimmung auf dem Tahrir-Platz. Mehrere tausend Oppositionelle strömten am Freitag zu dem Ort, an dem vor zweieinhalb Jahren die Revolte gegen Diktator Husni Mubarak begann. Nun rufen sie zur "zweiten Revolution" auf.
Bei vielen Liberalen ist Mursi verhasst. "Das Ende der Terrorherrschaft" steht auf dem Poster unter dem Bild des Präsidenten. Der US-Botschafterin in Kairo, Anne W. Patterson, werfen sie vor, die Muslimbrüder zu unterstützen.
"Hau ab", steht auf dem Schild, das diese Demonstrantin in der Hand hält. Ein Jahr nach dem Amtsantritt muss sich Mursi den gleichen Forderungen stellen wie einst sein Vorgänger Mubarak.
Zusammenstöße zwischen Anhängern und Gegnern der Muslimbrüder in Alexandria. Bei den Straßenkämpfen wurden am Freitag mehrere Menschen verletzt.
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