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Rumänien: Showdown in Bukarest

Foto: THIERRY CHARLIER/ AFP

Staatskrise in Rumänien Machtkampf korrupter Cliquen

Der Name ist nur Tarnung: Bei den rumänischen Sozialdemokraten haben gewendete Kommunisten das Sagen, die sich beim Kampf um Macht und Pfründe durch Gesetze nicht bremsen lassen. Wenn die EU nicht einschreitet, fürchten viele Bürger, kommt der Rechtsstaat unter die Räder.

Victor Ponta ist ein geschmeidiger Mann. Im Gespräch lenkt der 39-Jährige selbst bei sehr kritischen Nachfragen ein. Er antwortet beherrscht, geschliffen und in perfektem Demokratie-Sprech. Oft lässt er dazu sein breites, unschuldiges Buben-Lächeln erstrahlen.

Der talentierte Ex-Staatsanwalt, einst zuständig für Korruptionsbekämpfung, ist seit 2010 Vorsitzender der mächtigsten wendekommunistischen Seilschaft in Rumänien - der Sozialdemokratischen Partei (PSD). In seiner juristischen Doktorarbeit hat er über weite Strecken plagiiert, seinen Lebenslauf mit fiktiven Masterabschlüssen ausgeschmückt. Als Regierungschef exerziert er nun vor, wie ein Rechtsstaat demontiert wird.

Seit Anfang Mai im Amt, fechten Victor Ponta und seine Regierung einen erbitterten Machtkampf mit dem Staatspräsidenten Traian Basescu aus. Mit Dekreten und gegen Vorgaben des Verfassungsgerichts wurde der Staatschef Anfang Juli von seinem Amt suspendiert. Am Monatsende müssen die rumänischen Wähler in einem Referendum über seine Absetzung entscheiden.

Wie viele Beobachter in Rumänien nennt auch die Bukarester Juristin Laura Stefan diese Vorgänge "ganz eindeutig einen Staatsstreich". Stefan ist Mitglied einer unabhängigen Expertengruppe, die im Auftrag der EU den Stand der Rechtsstaatlichkeit im Land untersucht. Am Mittwoch will die EU-Kommission ihren halbjährlichen Fortschrittsbericht zur Justizreform und zum Kampf gegen Korruption in Rumänien vorlegen. Laura Stefan erwartet, dass die Brüsseler Kommission ihre Kritik an der Vorgehensweise der Regierung Ponta nach den mündlichen Warnungen letzte Woche nun auch schriftlich klar wiederholt.

"Bei uns werden keine Regeln mehr eingehalten", beklagt die Juristin. "Das ist nicht mehr nur ein innenpolitisches Problem Rumäniens. Wenn die EU das durchgehen lassen würde, dann wäre das ein europaweites Signal an alle Gegner von Rechtsstaatlichkeit. Dann bekäme die EU ein Stabilitätsproblem."

Regieren per Dekret ist üblich

Selbst im postkommunistischen Rumänien ist ohne Beispiel, wie die Regierung Ponta agiert, um sich die Macht zu sichern. Der gegenwärtige Showdown zwischen Ponta und Basescu entzündete sich Anfang Juni an einem bizarren Streit darum, wer Rumänien bei einem Treffen des Europäischen Rates in Brüssel vertreten dürfe. Das Verfassungsgericht entschied zugunsten des Staatschefs - Ponta ignorierte das Urteil und reiste selbst. In diesem Stil ging es in den letzten Wochen weiter:

  • die Vorsitzenden der beiden Parlamentskammern wurden durch eine zweifelhafte Prozedur ausgetauscht;
  • die Redaktion des amtlichen Gesetzblatts (Monitorul oficial) wurde der Regierung unterstellt, um Veröffentlichungstermine für Gesetze und damit ihr Inkrafttreten besser kontrollieren zu können;
  • als die "Nationale Kommission zur Bescheinigung akademischer Titel, Diplome und Zertifikate" (CNATDCU) Victor Ponta des Plagiats für schuldig befand, ließ der Bildungsminister sie auflösen;
  • die Kompetenzen des Verfassungsgerichts wurden per Regierungsdekret beschnitten, und Ponta kündigte einen Austausch von Verfassungsrichtern an, obwohl diese in ihrer Amtszeit nicht absetzbar sind;
  • das Parlament initiierte das Amtsenthebungsverfahren gegen den Staatspräsidenten, obwohl das Verfassungsgericht urteilte, Traian Basescu habe seine Befugnisse nicht überschritten;
  • die Rahmenbedingungen für das Referendum über die Amtsenthebung des Staatspräsidenten am 29. Juli wurden per Regierungsdekret dahingehend geändert, dass für einen gültigen Urnengang keine Mindestwahlbeteiligung erforderlich ist. Das Verfassungsgericht kippte das Dekret jedoch. Seither erwägt die Regierung, ein mehrtägiges Referendum abzuhalten, damit die vorgeschriebene Wahlbeteiligung von 50 Prozent zustande kommt.

Das Regieren per Dekret ist in Rumänien üblich - von der EU wird diese Praxis seit Jahren kritisiert. Ponta und seine Mannschaft gehen dabei besonders dreist vor, nicht aber grundlegend anders als der Rest der politischen Elite. Alltäglich ist auch, dass nach Regierungswechseln Personal in Staatsverwaltung und öffentlichem Dienst massenhaft ausgewechselt wird, schließlich muss die jeweils eigene Klientel bedient werden. Viele Politiker wehren sich gegen Macht- und Einflussverlust, indem sie einfach periodisch die Partei wechseln. Auf diese Weise kam auch die aktuelle Regierungsmehrheit zustande.

"Kampf zweier Cliquen, die keine Legitimität besitzen"

"Was wir derzeit erleben, ist ein Kampf zweier Cliquen, die beide keine Legitimität besitzen und die jetzt bis zum letzten um ihren Einfluss und ihre Existenz kämpfen", sagt der Publizist und Historiker Ovidiu Pecican, der an der Universität Cluj (Klausenburg) lehrt. "Ponta und Co. greifen den Rechtsstaat im Eiltempo und sehr hart an, Basescu und seine Leute haben ihn über längere Zeit mit gemäßigteren Methoden ausgehöhlt."

Im Drei-Parteien-Bündnis "Sozialliberale Union" (USL), auf das sich Pontas Regierung stützt, finden sich besonders viele prominente Politiker und Geschäftsleute, die der Korruption, des Amtsmissbrauchs oder anderer Straftaten verdächtig sind. In der National-Liberalen Partei (PNL) des Interims-Staatspräsidenten Crin Antonescu ist es beispielsweise der Ölmagnat und Milliardär Dinu Patriciu, gegen den jahrelang erfolglos wegen betrügerischer Privatisierungsgeschäfte ermittelt wurde. Hinter der völlig bedeutungslosen "Konservativen Partei" (PC) steht der Geschäftsmann Dan Voiculescu, ein ehemaliger Securitate-Mitarbeiter und Devisenbeschaffer Ceausescus, der seine Macht hauptsächlich via seine einflussreichen TV-Sender Antena1 und Antena3 ausübt.

Und dann ist da vor allem die Sozialdemokratische Partei des Regierungschefs Victor Ponta, deren Ursprünge bis in die Tage des Ceausescu-Sturzes im Dezember 1989 zurückreichen. Die PSD fungiert unter anderem als Sammelbecken für die einstige Securitate- und Parteielite unter Ceausescu und gilt in Rumänien als das Symbol einer korrupten Oligarchie schlechthin.

Der politische Ziehvater Pontas, der ehemalige PSD- und Regierungschef Adrian Nastase, ist seinerseits in Rumänien das Symbol eines korrupten Politikers - er wurde am 20. Juni wegen illegaler Wahlkampf- und Parteienfinanzierung letztinstanzlich zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Es war das erste Mal überhaupt in zwei Jahrzehnten, dass ein Politiker seines Ranges hinter Gitter sollte. Um der Haft zu entgehen, inszenierte Nastase einen theatralischen Selbstmordversuch, was ihm jedoch nur einige Tage Aufschub verschaffte - inzwischen sitzt er im Gefängnis.

Premier nennt Präsident "niederträchtigen Schurken"

Es war das ultimative Alarmsignal für Rumäniens korrupte Elite: Wenn sogar ein Mann vom Range Nastases hinter Gitter muss, dann ist niemand mehr sicher. Die Inhaftierung des Ex-Regierungschefs sehen Beobachter daher übereinstimmend als eigentliches Motiv für den Machtkampf, den Ponta und die Sozialliberale Union ausfechten. "Sie wehren sich mit allen Mitteln gegen eine unabhängige Justiz", sagt die Juristin Laura Stefan. "Am liebsten sähen sie Rumänien in einer Grauzone außerhalb der EU."

Andere warnen zugleich davor, den Staatspräsidenten Basescu und seine Liberaldemokratische Partei (PDL) zu idealisieren. "Basescu hat die gegenwärtige politische Krise wesentlich mitverursacht", sagt der Bukarester Politologe Cristian Parvulescu. Deshalb seien Pro-Basescu-Reaktionen in Brüssel und Berlin "deplaziert". "Der Präsident pflegt einen autoritären Stil, fällt durch rassistische Äußerungen und ordinäre Ausdrucksformen auf, hat sich oft in die Arbeit des Parlaments und der Regierung eingemischt und durch seine Sparpolitik eine tiefe soziale Spaltung des Landes verursacht", so Parvulescu.

Und natürlich stehen aktuell auch bei Basescus Liberaldemokraten zahlreiche Politiker unter Korruptionsverdacht. Gegen Basescu selbst könnten im Falle einer Absetzung frühere Ermittlungen wieder aufgenommen werden, unter anderem wegen eines mutmaßlich illegalen Immobilienerwerbs und seiner ungeklärten Rolle bei der Privatisierung von Teilen der rumänischen Hochseeflotte Anfang der neunziger Jahre.

Wo für beide Seiten so viel auf dem Spiel steht, geht der Sinn für Angemessenheit schnell verloren. Sogar der geschmeidige Victor Ponta rastete inzwischen vor laufenden Kameras mehrfach aus. Er nannte den suspendierten Staatspräsidenten einen "niederträchtigen Schurken", einen "Skorpion, der alles um sich herum tötet", den "größten Lügner der rumänische Geschichte", einen "Mann ohne Scham und Ehre". Der Premier kündigte an, "mit diesem Menschen, der einem das Messer in den Rücken rammt, kaum dass man sich umdreht, nie wieder zu sprechen".

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