Indianer-Vergleich Steinbrücks Wildwest-Rhetorik erzürnt die Schweizer

Erst drohte er ihnen mit der Peitsche, dann verglich er sie mit Indianern, die vor der Finanzkavallerie kuschen: Mit Krawallrhetorik hat Peer Steinbrück die Schweizer gegen sich aufgebracht, ein rechter Abgeordneter ruft sogar zum Boykott deutscher Autos auf - die Tage der Nettigkeiten sind vorbei.

Hamburg - Deutscher Botschafter in der Schweiz - das war bis vor kurzem ein Job, mit dem man als Diplomat praktisch schon die Rente antrat: Zum Abschluss einer Laufbahn verschreibt das Auswärtige Amt gern ein paar ruhige Jahre in Bern, bekannt als "Florida für Diplomaten". Zu tun gibt es dort traditionell wenig, dafür ist die Landschaft schön, man kann Ski fahren und Empfänge anderer Botschafter besuchen.

Bundesfinanzminister Steinbrück: "Richtig Zug in den Kamin"

Bundesfinanzminister Steinbrück: "Richtig Zug in den Kamin"

Foto: REUTERS

So hatte sich das womöglich auch Axel Berg vorgestellt, 57 Jahre alt und seit vergangenem August deutscher Botschafter in Bern - doch bisher war sein Job alles andere als gemütlich.

Schon zum zweiten Mal binnen fünf Monaten zitiert ihn nun die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey ins Eidgenössische Departement des Äußeren - und schon wieder geht es darum, dass die Schweizer Regierung sich über Äußerungen von Finanzminister Peer Steinbrück empört. Das zeigt, wie sehr sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland im Streit um Steuerflucht und Bankgeheimnis abgekühlt haben. Solche diplomatischen Unfreundlichkeiten zwischen den beiden Ländern wären noch vor kurzem undenkbar gewesen. Doch seit deutsche Politiker, und allen voran Steinbrück, sich auf die Rolle der Schweiz als Steuerfluchtburg eingeschossen haben, sind die Tage der Nettigkeiten vorbei.

Im Herbst hatte Steinbrück der Schweiz schon mit der "Peitsche" gedroht, falls sie im Streit um Steuerflucht und Bankgeheimnis nicht einlenke, und hatte damit einen regelrechten Volkszorn bei den Eidgenossen entfacht. Außenministerin Calmy-Rey, eine Sozialdemokratin wie Steinbrück, verbat sich schon damals "diesen Tonfall", und erinnerte daran, dass Steinbrück mit den Schweizern nicht zu reden habe, als ob sie Kinder seien.

Vergangene Woche nun, nachdem die Schweiz auf massiven internationalen Druck hin tatsächlich eingewilligt hatte, ihr Bankgeheimnis zu lockern, tat er es schon wieder: Steinbrück verglich die Eidgenossen spöttisch mit Indianern, die man offenbar erfolgreich mit der Kavallerie eingeschüchtert hatte.

Die Preisgabe des Bankgeheimnis - ein schmerzhafter Prozess

Spott - das war nun wirklich nicht die Reaktion, mit der die Schweizer Regierung gerechnet hatte. Die Preisgabe des Bankgeheimnisses ist für das Land ein schmerzhafter Prozess, nicht nur wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung, sondern auch weil es für viele Schweizer gewissermaßen zur nationalen Identität gehört. Zufrieden nahm die Regierung zur Kenntnis, wie der britische Premier Gordon Brown den Schweizer Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz zum Zeichen der Anerkennung in der Downing Street Number 10 begrüßte, und wie sich US-Finanzminister Timothy Geithner in warmen Worten über die Schweiz äußerte. Steinbrück dagegen sah trotz allen Entgegenkommens offensichtlich keinen Anlass, seinen bärbeißigen Ton zu ändern.

Das Schweizer Fernsehen strahlte die Auslassungen Steinbrücks zur Schweiz ungeschnitten und in voller Länge aus: Geradezu masochistisch lange verharrte die Kamera auf Steinbrück, der in London vor einer bunten Wand saß.

Steinbrück sagte in einem Tonfall, den viele Schweizer als arrogant empfanden, dass die Drohung mit einer schwarzen Liste der OECD gewissermaßen "die siebte Kavallerie vor Yuma" gewesen sei, "die man ausreiten lassen kann, aber die muss man nicht unbedingt ausreiten. Die Indianer müssen nur wissen, dass es sie gibt. Und wenn das allein schon Nervosität bei denen hervorruft, die sich fragen: Oh, komm ich auf diese Liste - dann kommt da ja richtig Zug in den Kamin."

Die schwer verärgerte Außenministerin Calmy-Rey empörte sich daraufhin am Montag vor dem Nationalrat, der großen Kammer des Schweizer Parlaments: "Diese Äußerungen sind meiner Meinung nach unannehmbar, sie sind beleidigend und aggressiv sowohl was den Inhalt als auch was die Form betrifft." Die Schweiz habe einen wichtigen Schritt zu einer besseren internationalen Zusammenarbeit im Steuerbereich gemacht. "Ich hätte von Deutschland eine andere Reaktion gegenüber dem schweizerischen Partner erwartet. Vor allem seitens eines Landes, das von den Beziehungen zur Schweiz profitiert, etwa in Migrationsfragen, bei den Grenzgängern oder sogar bei der Handelsbilanz."

Schweizer Sorge über deutsche Zuwanderung

Schon im vergangenen Herbst hatte Calmy-Rey dem SPIEGEL gesagt, Steinbrück schüre bei den Schweizern Vorurteile gegen Deutsche - und im gleichen Atemzug die inzwischen mehr als 220.000 Deutschen erwähnt, die in der Schweiz leben. Sie ist das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen - und nicht nur die diplomatischen Unstimmigkeiten zwischen den beiden Ländern, sondern auch die starke Zuwanderung aus dem Norden weckt bei manchen Schweizern die Furcht, dass die Deutschen an ihren Reichtum wollten.

Steinbrück jedenfalls ist in der Schweiz seit seiner Peitschendrohung zur Hassfigur geworden. Die Ängste der Schweizer vor den aggressiven Teutonen bedient er wie kein zweiter - und er scheint sich in der Rolle zu gefallen.

Und dann war da ja auch noch das Zitat eines anderen führenden Sozialdemokraten: SPD-Chef Franz Müntefering löste Fassungslosigkeit aus, als er Ende Februar in Bezug auf Länder wie die Schweiz sagte: "Zu früheren Zeiten hätte man da Soldaten hingeschickt." Martialische Drohungen mit Peitsche, Kavallerie und Soldaten kommen schlecht an in der Schweiz - gerade aus Deutschland. "Unschwer lässt sich vorstellen, wie die Polen reagieren würden, wenn ihnen ein deutscher Minister mit der Peitsche drohte", hatte der Chefredakteur der "NZZ am Sonntag" schon im Herbst kommentiert.

Die harmonieseligen Eidgenossen reagieren sensibel auf jegliche Anzeichen von deutscher Aggressivität. Steinbrück dagegen hält von Harmonie wenig, und kaum ohne Grund bezeichnete er einst das Nashorn als sein Lieblingstier. Die Schweizer Sozialdemokraten, die seit jeher das Bankgeheimnis bekämpfen, sahen sich gar genötigt, einen Brief an ihre deutschen Genossen zu schreiben: "Derartige Verlautbarungen wirken sich kontraproduktiv aus und könnten die derzeitige Entwicklung bremsen", schrieben sie an den "lieben Franz" Müntefering. "Wir fordern dich und Peer auf, solche Aussagen in Zukunft zu unterlassen." Hans Kaufmann, Abgeordneter der rechtskonservativen SVP, ruft nun zum Boykott deutscher Autos auf.

Die Zeitungen sind voll mit Leserbriefen. Auszüge: "Wie lange dauert es noch, bis die Schweiz offiziell Steinbrück mal eins aufs Maul gibt? Er soll zuerst die Probleme von Deutschland lösen." Und: "Alle despektierlichen Sprüche helfen Steinbrück nicht, die Tatsache zu verschleiern, dass er als Finanzminister in Deutschland ein totaler Versager ist."

Sicher ist, dass Steinbrück den Ankündigungen der Schweiz misstraut - wie er auch Österreich und Luxemburg misstraut. Jetzt zählten nur noch Taten, sagte er vergangene Woche. Es hätte schon viele Versprechen gegeben, die nicht eingehalten worden seien. Vor allem aber will er eigentlich mehr - automatischen Zugriff auf Bankdaten, und zwar nicht nur wenn ein begründeter Verdacht auf Steuerhinterziehung vorliegt, wie ihn die Schweiz und Österreich nun gewähren wollen. Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums teilte an diesem Dienstag sogar mit, man bezweifele grundsätzlich die Bereitschaft der Schweiz und Österreichs, ihr Bankgeheimnis zu lockern und Auskünfte über Steuerflüchtlinge zu erteilen.

Lachende Dritte sind die Briten

Der Streit, den die Schweizer beendet glaubten, geht also weiter - entscheidend wird das neue Doppelbesteuerungsabkommen sein, das erst noch ausgehandelt werden muss. Vermutlich wird es in der Schweiz eine Volksabstimmung überstehen müssen.

Freuen können sich vor allem die Briten: Denn sie, nicht die Deutschen, haben mit geschickter Diplomatie den Druck auf Österreich und die Schweiz so weit erhöht, dass sie am Ende einknicken mussten - sie ließen vom OECD-Generalsekretariat vorab eine geheime "schwarze Liste" erstellen. Das reichte, um die aufgeführten Länder in Angst und Schrecken zu versetzen.

Zugleich haben die Steueroasen der Briten, die Karibik- und Kanalinseln, bisher weit weniger Zugeständnisse gemacht als die Schweiz oder Österreich. Und Großbritannien wird weiterhin seine anonymen Trusts beibehalten, die den Inhaber verschleiern - so wie einst das Schweizer Nummernkonto.

Die Briten kämpfen an vorderster Front gegen Steuerfluchtburgen und machen selbst so wenig Zugeständnisse wie möglich, währenddessen liefern sich Deutschland und die Schweiz einen diplomatischen Kleinkrieg. Es geht um einen Wettstreit der Interessen, vielleicht gar um einen "Wirtschaftskrieg", wie der Chef der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht neulich sagte. Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland wird sich wohl nicht so schnell wieder entspannen.

Zumindest der Job des deutschen Botschafters in Bern wird so schnell bestimmt nicht wieder langweilig.

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