814 Millionen Wahlberechtigte in Indien Der Kraftakt
Die Zahlen: zum Staunen. 814 Millionen Wahlberechtigte, die in 930.000 Wahllokalen ihre Stimme abgeben können. Mehr als 100 Millionen Erstwähler werden erwartet. Ihnen gegenüber 11 Millionen Wahlhelfer, viele davon Sicherheitskräfte.
Willkommen bei der größten Wahl der Welt. Ab Montag bestimmen die Inder ein neues Parlament und damit einen neuen Regierungschef. Wenn die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt abstimmt, sind die Herausforderungen allein bei der Logistik einzigartig. Manche der Lösungen sind es auch. Und die Erwartungen: riesig.
70 Prozent der Inder sind laut einer aktuellen Umfrage unzufrieden mit dem Kurs des Landes. Indien steht vor einer Richtungsentscheidung, der Oppositionsführer und umstrittene Hindunationalist Narendra Modi ist Favorit. Die regierende Kongresspartei steht vor der Abwahl, vor allem die Jungen hoffen auf einen Wandel - die rund 100 Millionen Erstwähler werden eine zentrale Rolle spielen. (In unserer Porträtserie zeigen wir Erstwähler und ihre Hoffnungen.)

Kaum etwas zeigt die Dimensionen Indiens so gut wie eine nationale Wahl. So muss in neun Etappen abgestimmt werden, insgesamt dauert die Wahl fünf Wochen. Wahlhelfer und -maschinen gelangen per Flugzeug und Boot, mit Elefanten und Lasteseln in alle Ecken des Landes. In die Himalaja-Ausläufer, in Wüstendörfer in Rajasthan, in den Dschungel im Süden. Den Auftakt machen am Montag sechs Wahlkreise, die letzte Runde findet am 12. Mai statt. Vier Tage darauf soll das Ergebnis feststehen.
Die Probleme sind nicht nur logistischer Art. Immer wieder kommt es zu ganz offenen Wählerbestechungen. Da gibt es ein paar Rupien, eine Flasche Schnaps für den, der gelobt, den richtigen Kandidaten zu wählen. Auch die politische Elite quer durch die Parteien gilt als korrupt. Auch dieses Jahr treten wieder verurteilte Verbrecher für einen Sitz im Parlament an.
"Das größte Ereignis der Welt"
Nur schmälert all dies die Vorfreude nicht im geringsten. "Tanz der Demokratie" nennt die "Times of India" ihre Wahlberichterstattung. Das Land berauscht sich selbst an dem Mega-Ereignis. Besonders hartnäckig an der Begeisterung arbeitet die nationale Wahlkommission.
Deren Chef war bis vor kurzem S. Y. Quraishi. Jetzt empfängt der 66-Jährige in seinem Haus im feinen Gurgaon, einem Wohnviertel draußen vor den Toren Neu-Delhis. Quraishi, weißes Haar und Schnauzer, lässt sich in den Sessel fallen, faltet die Hände. Er spricht ruhig, aber die Augen leuchten. "Unsere Wahl ist nicht nur die größte Wahl der Welt", sagt er, "sie ist das größte Ereignis der Welt."

Quraishi hat gerade ein Buch geschrieben, im Titel nennt er die Wahl ein "undokumentiertes Wunder". Dass das Wunder auch 2014 eintritt, sollen Mensch und Maschine sicherstellen. Die Kommission schickt 11 Millionen Helfer auf die Reise, die rund 1,7 Millionen "elektronische Wahlmaschinen" dabei haben. Die Inder wählen per Knopfdruck, seit 1998 schon.
Wahlmaschine in Achtziger-Jahre-Optik
In Deutschland sind Wahlcomputer verboten, auch in den USA hat man mit Touchscreens schlechte Erfahrungen gemacht. In Indien schwärmen die Verantwortlichen über ihren Kasten in grauer Achtziger-Jahre-Optik. "Absolut idiotensicher, nicht manipulierbar", sagt Quraishi. Sagen sie alle. Nur: Bei der letzten Wahl gab es immer wieder Unregelmäßigkeiten. Und Hacker demonstrierten, dass man die ältliche Maschine sehr wohl manipulieren kann. Die Kommission hält dagegen: Die Geräte werden bewacht und künftig drucke man das Ergebnis jeder Maschine auch aus. (Mehr über die Wahlmaschinen erfahren Sie hier.)
Ganz ohne Papier geht es ohnehin nicht. Zettel neben den Wahlknöpfen zeigen den Namen und auch das bekannte Symbol der jeweiligen Partei: die Lotusblume der oppositionellen BJP, die flache Hand der Kongresspartei. So sollen auch die immer noch zahlreichen Analphabeten wählen können.
Um die Wahlbeteiligung weiter hochzutreiben, gibt es bei dieser Wahl eine neue Option. Die Inder können ihre Stimme für "nota" abgeben, eine Abkürzung für "none of the above", keinen der Genannten. Ex-Wahlkommissionschef Quraishi sagt, das senke den Druck auf die Wähler. Doch vor allem sollen möglichst viele, die enttäuscht sind von den Korruptionsskandalen der Parteipolitiker, an die Urne gehen.
So lobt die Wahlkommission in der Millionenstadt Jaipur längst Belohnungen für jene Bezirke aus, in denen die Wahlbeteiligung, vor allem der Frauen, besonders stark steigt. Für die Organisatoren ist der Wahltag auch eine Jagd nach neuen Rekorden.