Anti-Japan-Protest in China "Haut sie nieder!"

Anti-Japan-Protest in China: "Haut sie nieder!"
Foto: CARLOS BARRIA/ REUTERSIn der "Deutschen Bäckerei" sitzen sie friedlich beisammen: die chinesischen Demonstranten, die chinesischen Polizisten, die auf sie aufpassen sollen, die chinesischen Kellner und Köche der vorübergehend geschlossenen japanischen Restaurants an der "Glücklichen Straße" - und die in aller Welt an ihrem gesunden Schuhwerk erkennbaren deutschen Touristen.
Die Demonstranten, erschöpft vom Protestmarsch vor der japanischen Botschaft in Peking, stehen vor der Toilette Schlange, einer trägt ein Fragment seines Transparents unterm Arm, ein abgebrochenes Stück Styropor, auf dem nur noch "China" zu lesen ist. Die Polizisten, wegen der Hitze mit hochgekrempelten Hosenbeinen, haben sich ihr Lunch-Paket mitgebracht; die Kellner der Sushi-Bars sind mehr aus Neugier gekommen, arbeiten werden sie heute nicht mehr. Denn vorn an der Liangmaqiao-Straße, an der die japanische Botschaft liegt, ist eine kleinere Völkerwanderung im Gang.
Tausende sind unterwegs, um am 81. Jahrestag des ersten Angriffs des imperialistischen Japan auf China gegen den östlichen Nachbarn zu demonstrieren. Sie bewegen sich erst die Straße hoch, wenden, werden von der Polizei in etwa gleich große Blöcke eingeteilt und gehen dann auf der anderen Straßenseite wieder hinunter. Es ist eine Masse, die sich deutlich von der unterscheidet, die in der vergangenen Woche von Kairo bis Kabul westliche Botschaften stürmte. Weniger beängstigend ist sie deshalb nicht.
Modern und brutal, diszipliniert und unbeherrscht

Sie zeigt die ganze Widersprüchlichkeit des modernen China, seine Fortschrittlichkeit und seine Brutalität, seine Disziplin und seine Unbeherrschtheit. Es sind überwiegend junge, gut angezogene, moderne Menschen, die hier demonstrieren. Sie halten iPhones hoch, um sich gegenseitig zu filmen, sie lassen Ältere und Familien mit Kindern durch, ja sie halten sogar den Fahrradstreifen am Rand der großen Straße frei - so gut das eben geht, wenn aus allen Nebenstraßen immer weitere Menschen herbeiströmen.
An jeder Bushaltestelle sind Lautsprecher angebracht, aus denen eine beschwörende Frauenstimme zu hören ist, die einen Text wiederholt, den das Büro für Öffentliche Sicherheit auch als SMS versendet: "Wir verstehen eure Gefühle, aber wir fordern euch auf, euren Patriotismus in einer rationalen und ordentlichen Weise auszudrücken. Bleibt nicht stehen, kooperiert mit den Behörden."
Äußerlich tun die Demonstranten das - zumindest in Peking, wo nur Flaschen und Farbbeutel gegen die Mauer der Botschaft fliegen, bis eine Truppe grüngekleideter Robocops auftritt und sich in Dreierreihen vor dem Eingang aufstellt. Aber was die Demonstranten skandieren, ist eben so ordinär und gewalttätig wie die Slogans, die im Nahen Osten zu hören sind: "Haut sie nieder, die Japsen!", "Runter mit den kleinen Japanern von unseren Inseln!" steht auf den Transparenten.
Sarkasmus im Netz
"Mir ist jedes Mittel recht, um sie fertigzumachen", sagt Frau Niu, eine 40-Jährige, die eher zufällig in die Demonstration geraten ist. Ge Baocao, 30, ist aus Zhumadian in der Provinz Henan gekommen; sein Transparent, das den japanischen Ministerpräsidenten Yoshihiko Noda mit einer Hundeschnauze zeigt, wird jubelnd zur Kenntnis genommen. Ein anderes zeigt Noda mit einer Krawatte, die Japans weiß-rote Fahne als blutigen Tampon darstellt. Die Leute grölen, als das Plakat vorbeigetragen wird.
In den Weiten der chinesischen Blogosphäre sind durchaus ein paar satirische Bemerkungen über die nationalistische Aufwallung zu hören. "Warum seid ihr nicht auf die Straße gegangen, als die Milchpanscher unsere Babys vergiftet haben?", fragt ein Blogger. "Hängt euch doch still und leise vor der japanischen Botschaft auf, das würde viel mehr Wirbel machen", regt ein anderer an.
Der Ton ist rau auf Chinas Straßen und im chinesischsprachigen Internet. In der südchinesischen Stadt Shenzhen haben Aktivisten dazu aufgerufen, die Proteststimmung im Lande zu nutzen, um auch für Demokratie und Freiheit zu demonstrieren. Auf mehreren Suchmaschinen ist der Name der Stadt seither geblockt; zwei prominente Menschenrechtsaktivisten aus Shenzhen wurden vorübergehend festgenommen.
Wie lange die Regierung die Demonstrationen noch duldet, wie weit sie das Volk im "Ausdruck seines Patriotismus" noch gehen lässt, ist offen. Vielleicht fällt den Herrschenden irgendwann zumindest die unfreiwillige Ironie auf, mit der sie die Straße vor der japanischen Botschaft zum zentralen Kundgebungsplatz ausgewählt haben. Im Gebäude gegenüber, das sie 1984 mit der japanischen Regierung errichtet haben, ist das "Chinesisch-japanische Zentrum für Jugendaustausch" untergebracht. Sein Zweck ist laut Satzung, "die Freundschaft der Jugend in den beiden Ländern voranzubringen und den Weltfrieden zu fördern".