Interview "Charakter der ostdeutschen Partei abstreifen"
SPIEGEL ONLINE:
Die PDS wirbt mit dem Slogan "Europa schaffen ohne Waffen". Was kann ein solches Europa gegen Diktatoren wie Milosevic ausrichten?
André Brie: Nichts. Ein Europa ohne Waffen ist das Ziel. Um zu diesem Ziel zu kommen, wird man internationale Beziehungen grundlegend verändern müssen. Und das Schlimmste an der Politik der Nato ist, daß sie ein solches Umfeld kaputt macht. Die präventiven Möglichkeiten zur Konfliktlösung sind zunichte gemacht worden. Natürlich wird man Rüstungsexporte verbieten und das ganze zivile Instrumentarium von Sicherheit stärken müssen: also Zusammenarbeit, Recht, obligatorische Streitbeilegung. Wenn solche Wege beschritten würden, könnten Diktatoren wie Saddam Hussein und Milosevic wahrscheinlich nicht entstehen.
SPIEGEL ONLINE: Die PDS kann laut Umfragen mit ca. fünf Prozent rechnen. Von welchen Wählern profitiert Ihre Partei?
Brie: Den Begriff "profitiert" halte ich in diesem Zusammenhang für falsch. Die PDS gehört zu denen, die verloren haben. Wir wollten diesen Krieg nicht. Es haben sich andere durchgesetzt, die ihn gewollt haben. Die PDS wird ein sehr gutes Europawahl-Ergebnis bekommen, weil Menschen enttäuscht sind: Durch die Kriegspositionen der Grünen und der SPD. Sie sind aber auch enttäuscht, weil Lafontaine zurücktreten mußte und seine Reformansätze nicht durchsetzen konnte. Sie sind enttäuscht, weil Rot-Grün eine Politik macht, die kaum eine echte Alternative zur früheren Politik von CDU/CSU und FDP ist. Ich vermute, daß vor allem die soziale Enttäuschung dazu führen wird, daß die PDS zwischen 6 und 6,5 Prozent bekommen wird.
SPIEGEL ONLINE: Die Frage, ob der PDS-Ehrenvorsitzende und Traditionalist Hans Modrow oder Sie, ein erklärter Reformer, an zweiter Stelle für die Europa-Wahlen nominiert werden, sorgte für Unruhe in der Partei. Wie hat sich diese Rivalität auf den Europa-Wahlkampf der PDS ausgewirkt?
Brie: Sie hat sich gar nicht ausgewirkt. Wir haben eine Liste mit insgesamt 14 Kandidatinnen und Kandidaten: Auf den Spitzenplätzen steht z.B. eine junge Kurdin mit deutscher Staatsbürgerschaft, Feleknas Uca. Da steht natürlich Hans Modrow, da steht außerdem ein Unternehmer, der beweist, daß auch Linke, auch Sozialistinnen und Sozialisten, etwas von Wirtschaftspolitik verstehen können. Ich denke, daß in diesem Gesamtkontext das Gesicht der PDS deutlich wird. Außerdem sind Brie und Modrow nicht die Pole der Haltung zur Vergangenheit oder der Aufarbeitung von Vergangenheit. Hans Modrow war einer der kritischsten Leute zu DDR-Zeiten, und es ist ziemlich ungerecht, daß die gleichen Leute, die ihn bis 1990 als Hoffnungsträger in den Medien kolportiert haben, ihn heute als Ewiggestrigen hinstellen. Das ist er wirklich nicht.
SPIEGEL ONLINE: Welchen Stellenwert hat die Europa-Politik für die PDS, die oft als "ostdeutsche Milieupartei" betitelt wird?
Brie: Die PDS ist bisher eine ostdeutsch geprägte Partei, die nur in Ostdeutschland wirklich stark und ein Machtfaktor ist. Sie hat aber einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch, sie will eine bundesweite Kraft werden. Wir sind heute der Meinung, daß die europäische Integration eine wirklich große Chance ist. Wir befürworten sie. In der Europa-Politik sehen wir eine strategische Entwicklungsrichtung der PDS und die Möglichkeit, den Charakter der ostdeutschen Partei zu überwinden.
SPIEGEL ONLINE: Im Bundestag ist die PDS isoliert. Wer kommt für die PDS im Europaparlament als Partner in Frage?
Brie: Wir werden im Europäischen Parlament mit anderen linkssozialistischen, reformkommunistischen Parteien zusammenarbeiten. Es gibt z.B. in Skandinavien Parteien, die sich links von der Sozialdemokratie etabliert haben, ohne in den kommunistischen Partei-Typ und die entsprechenden Fehler zu verfallen. Auch die französische Kommunistische Partei und die beiden kommunistischen Gruppierungen in Italien gehören zu möglichen Partnern. Das ist ein sehr spannungsreicher Bogen mit großen Meinungsunterschieden, aber mit einer beträchtlichen Substanz zur Zusammenarbeit. Ich bin ziemlich zuversichtlich, daß wir eine gemeinsame linkssozialistische Fraktion bilden können.
SPIEGEL ONLINE: Vorausgesetzt Ihre Partei schafft den Einzug ins Europa-Parlament. Welche Initiativen wird die PDS zuerst einreichen?
Brie: Erstens werden wir uns sofort dafür einsetzen, daß der Stabilitätspakt novelliert wird, der der Währungsunion zugrunde liegt. Der Stabilitätspakt verbietet den Staaten geradezu, frei werdendes Geld zum Beispiel für aktive Arbeitsmarktpolitik einzusetzen. Wir sind auch keine Anhänger von großer Verschuldung, aber angesichts der Dramatik auf dem Arbeitsmarkt und anderen sozialen Gebieten müssen im Stabilitätspakt auch soziale und arbeitsmarktpolitische Kriterien berücksichtigt werden. Zweitens werden wir uns dafür einsetzen, daß das Statut der Europäischen Zentralbank zur Diskussion gestellt wird. Die Europäische Zentralbank ist völlig außerhalb der politischen Kontrolle, obwohl sie selbst in gigantischer Weise Politik macht. Hier muß es Mitspracherechte, möglichst von demokratischen Institutionen wie dem Parlament, geben. Drittens werden wir gegen die Verzahnung der EU mit dem westeuropäischen Verteidigungsbündnis WEU die Initiative ergreifen. Das wird gerade angesichts der aktuellen Situation für uns höchste Priorität besitzen.
Das Interview führte Petra Nölkensmeier.