Interview des gestürzten Präsidenten Aristide wirft den USA Staatsstreich vor
Washington - Aristide hat den USA vorgeworfen, sie hätten ihn in einem Staatsstreich zum Amtsverzicht gezwungen und entführt. Die US-Regierung wies die Vorwürfe scharf zurück. Die USA hätten ihn gezwungen, sein Land nach einer Revolte zu verlassen, um ein Blutbad zu vermeiden, sagte Aristide gestern von der Zentralafrikanischen Republik aus dem US-Fernsehsender CNN.
"Niemand sollte einen gewählten Präsidenten zwingen zu gehen", sagte Aristide am Telefon. Er war am Sonntag vor den Rebellen, die seinen Rücktritt verlangten, geflohen und gestern in der Zentralafrikanischen Republik eingetroffen. "Mir wurde gesagt, dass ich besser gehen sollte, wenn ich ein Blutbad vermeiden wolle", sagte Aristide. Zu Behauptungen, er sei entführt worden, sagte Aristide CNN zufolge, er spreche von einer modernen Art des Staatsstreiches, von einer Entführung. Truppen in Haiti hätten ihn verschleppt.
Es seien "US-Truppen und haitianische Truppen" gewesen, "die gemeinsam den Flughafen umzingelten, mein Haus, den Palast". "Und dann, trotz der diplomatischen Gespräche, die wir hatten, trotz allem, was wir auf diplomatischem Wege getan haben, um zu verhindern, dass sie ein Massaker organisieren, dass zu einem Blutbad führen würde, mussten wir gehen und zwanzig Stunden in einem amerikanischen Flugzeug verbringen", sagte Aristide. Er habe nicht gewusst, wohin zu gehen er gezwungen worden sei, "bis sie es uns gesagt haben, zwanzig Minuten bevor wir in der Zentralafrikanischen Republik gelandet sind."
Powell: Vorwürfe absurd
US-Außenminister Colin Powell wies die Vorwürfe zurück. "Die Behauptung, dass wir den früheren Präsidenten Aristide entführt hätten, entbehrt jeglicher Grundlage, sie ist absurd." Rund 15 Mitglieder seiner persönlichen Sicherheitsabteilung hätten Aristide von seinem Haus zum Flughafen begleitet, seien mit ihm an Bord gegangen und in die Zentralafrikanische Republik geflogen. Aristide sei freiwillig in das Flugzeug gestiegen und nicht von den USA gezwungen worden.
Auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Stabschef Richard Myers wiesen die Darstellung Aristides zurück. Der Sprecher des US-Präsidialamtes Scott McClellan sagte, das sei "kompletter Unsinn". Aristide dagegen beharrte auf seiner Darstellung: "Ich sage die Wahrheit. Sie haben mich belogen."
Zwei US-Abgeordnete erklärten, Aristide habe ihnen am Telefon gesagt, dass er Haiti nicht freiwillig verlasse, sondern von US-Soldaten entführt worden sei. Maxine Waters und Randall Robinson sagten, der Ex-Präsident habe sie von der Zentralafrikanischen Republik aus angerufen. "Er wurde mitten in der Nacht mit Gewalt aus seiner Residenz geholt, in ein Flugzeug gezwungen und weggebracht, ohne dass ihm gesagt worden wäre, wohin er gehen solle. Er wurde entführt", sagte Robinson.
Die Abgeordnete Waters sagte über Aristide: "Er ist nicht zurückgetreten. ... Er hat immer wieder gesagt, dass er entführt worden sei, dass der Coup von Amerikanern ausgeführt worden sei, dass sie ihn gezwungen hätten zu gehen."
Powell zeigte sich über die Äußerungen der Abgeordneten irritiert. Es wäre besser gewesen, wenn sie erst die US-Regierung nach dieser Darstellung gefragt hätten als an die Öffentlichkeit zu gehen, sagte Powell.
Bis zu 2000 US-Soldaten nach Haiti
Die USA werden bis zu 2000 US-Soldaten nach Haiti schicken. Sie sollen dort eine von der Uno entsandte multinationale Truppe anführen, die nach der Flucht von Präsident Jean-Bertrand Aristide für Ruhe und Ordnung sorgen soll.
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte gestern in Washington, derzeit sei die Entsendung von 1500 bis 2000 US-Soldaten geplant. Rund 200 US-Marineinfanteristen sind bereits in Haiti stationiert. Weitere US-Soldaten würden in den kommenden Tagen folgen, sagte Rumsfeld. Frankreich und Kanada haben bereits ebenfalls Soldaten nach Haiti entsandt.
Der Uno-Sicherheitsrat hatte in der Nacht zu gestern der multinationalen Truppe einstimmig ein Mandat für 90 Tage erteilt. Die Truppe soll dann von einer Uno-Stabilisierungstruppe abgelöst werden. Deren Führung solle ein anderes Land übernehmen und nicht die USA, sagte Rumsfeld. "Es ist ein Problem der Hemisphäre. Es ist nicht nur ein Problem der USA", sagte der Minister. Große Teile des US-Militärs sind bereits in Afghanistan und im Irak eingesetzt. Ob die USA sich an einem längerfristigen Uno-Einsatz in Haiti beteiligen würden, ließ Rumsfeld offen.
1994 hatte die US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten Bill Clinton mehr als 20.000 Soldaten nach Haiti geschickt, um dem demokratische gewählten Präsidenten Aristide nach einem Putsch wieder an die Macht zu verhelfen.