Interview mit Arzt aus Arafats Umgebung "Arafat hatte keinen Schlaganfall"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Barghouti, Sie stehen in Kontakt mit den Ärzten, die Jassir Arafat behandelt haben. Wie ist sein gegenwärtiger Zustand?
Barghouti: Er hat eine schwere Krankheit. Es gab viele Gerüchte, und die meisten stimmen nicht. Aber er ist nichtsdestotrotz schwer krank und wird weiter untersucht, um die Ursachen dieser Probleme herauszufinden. Wir hoffen, dass es ihm so bald wie möglich wieder gut geht.
SPIEGEL ONLINE: Ist sein Zustand kritisch?
Barghouti. Sein Zustand ist ernst. Aber ich glaube nicht, dass er in Lebensgefahr schwebt.
SPIEGEL ONLINE: Es gab Berichte, denen zufolge der Präsident einen Schlaganfall erlitten hat. Stimmt das?
Barghouti: Das stimmt nicht.
SPIEGEL ONLINE: Ist es denn richtig, dass er an Magen- und Darmproblemen leidet?
Barghouti: Er hat entsprechende Symptome.
SPIEGEL ONLINE: Können Sie bestätigen, dass Arafat gestern Abend mehrere Minuten lang das Bewusstsein verloren hat?
Barghouti: Ich glaube, dass das nicht stimmt. Ich kann es jedenfalls nicht bestätigen. Heute Morgen war er bei Bewusstsein.
SPIEGEL ONLINE: Warum wird Arafat ins Ausland geflogen? Kann er in Palästina nicht genau so gut behandelt werden?
Barghouti: Das Problem sind nicht die Ärzte. Zurzeit wird er von vier Teams aus Tunesien, Jordanien, Ägypten und Palästina behandelt. Der Grund ist wohl eher die bessere Ausstattung, die wir hier nicht haben.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Arafat nun ins Ausland gebracht wird, besteht die Möglichkeit, dass die israelische Regierung ihn nicht mehr in die palästinensischen Gebiete zurückreisen lässt. Arafat müsste dann im erzwungenen Exil leben. Können Sie sich ein solches Szenario vorstellen?
Barghouti: Angeblich hat die israelische Regierung heute versprochen, Arafat wieder hereinzulassen. Aber ich traue dem israelischen Premier Ariel Scharon nicht. Arafat nicht wieder zurückkehren zu lassen, wäre aber ein gravierender Fehler. Die Konsequenz wäre: Noch mehr Chaos.
SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet die Erkrankung des Präsidenten politisch?
Barghouti: Das ist eine ernste Angelegenheit, denn Arafat hat eine enorme Bedeutung als ein Symbol. Er ist der Repräsentant des palästinensischen Volkes und der Präsident - das hat sehr viel Einfluss auf das politische Geschehen hier in Palästina. Das Wichtigste zur Stunde ist es, die nationale Einheit zu bewahren. Außerdem müssen wir alles tun, um die für das kommende Jahr angesetzten Wahlen nicht zu gefährden. Sie sind sehr wichtig für den Erhalt der Legitimität unserer Anliegen und unserer Führung. Nur Wahlen können der palästinensischern Führung die notwendige Legitimität verleihen.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass seine Krankheit Arafat dazu bewegen könnte, als Präsident zurückzutreten und jemand anderen an seine Stelle zu lassen?
Barghouti: Um diese Frage geht es zurzeit gar nicht. Im Moment ist es wichtig, dass er sich erholt und wir Wahlen abhalten können.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind ein prominenter Vertreter des demokratischen Lagers, das für Reformen der palästinensischen Autonomiebehörde eintritt, die Arafat verweigert. Dafür haben auch Sie ihn kritisiert. Wieso wünschen Sie sich, dass Arafat sich schnell erholt und an den Wahlen teilnimmt?
Barghouti: Er ist der Präsident, und ich bin sicher, dass er an den Wahlen teilnehmen will. Und ich finde, er hat das Recht dazu - genau wie jeder andere. Die Bevölkerung hat dann das Recht denjenigen zu wählen, den sie als besten Vertreter ihrer Interessen empfinden.
SPIEGEL ONLINE: Was fühlen die Menschen in den Straßen in diesen Stunden?
Barghouti: Die Menschen sind angespannt, aber nicht panisch. Eher ruhig. Die meisten hoffen, dass es Arafat bald besser geht.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass der Präsident sich wieder vollkommen erholen wird?
Barghouti: Ich hoffe es.
Das Interview führte Yassin Musharbash