Interview mit Exil-Iranerin "Das Regime hat leichtes Spiel"

Mit grünen Fahnen und mutigen Parolen kämpft Irans Opposition für ihre Ideen. Je härter das Regime zuschlägt, desto mehr Unterstützer könnte die Bewegung gewinnen, erklärt die Exil-Iranerin Fatemeh Haghighatdschu im SPIEGEL-ONLINE-Interview. Doch an einen schnellen Wandel glaubt sie nicht.
Oppositioneller im Dezember 2009: "Die Drohungen des Regimes werden immer schärfer"

Oppositioneller im Dezember 2009: "Die Drohungen des Regimes werden immer schärfer"

Foto: AMIR SADEGHI/ AFP

SPIEGEL ONLINE: Vor 31 Jahren rief Ajatollah Ruhollah Chomeini in Teheran die Islamische Revolution aus. Die Aufmärsche zum Jahrestag wurden schon im Vorfeld zur Machtprobe zwischen dem Regime und der sogenannten grünen Reformbewegung hoch stilisiert. Welches Lager hat mehr Menschen auf den Straßen?

Fatemeh Haghighatdschu : Zahlen spielen keine Rolle, es ist nicht wichtig, ob mehr Regime-Kritiker oder Anhänger des Systems sichtbar sind. Inzwischen ist doch klar, dass die Mehrheit der Iraner ihrer Regierung kritisch gegenübersteht, sei es aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen oder weil viele schlicht nicht akzeptieren können, dass die eigene Regierung den Befehl gibt, Demonstranten zu erschießen.

SPIEGEL ONLINE: Die "Grünen" scheinen heute zahlenmäßig unterlegen...

Haghighatdschu: Seit den Massenprotesten am 27. Dezember hat die Regierung etwa 1000 Oppositionelle verhaftet und mehrere Regimegegner publikumswirksam hingerichtet. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren, weil sie an den letzten Großdemos teilgenommen haben. Man kann es den Menschen nicht verübeln, wenn sie zu Hause bleiben. Das Regime hat dagegen leichtes Spiel: Es befiehlt Armeeangehörigen und Freiwilligenmilizen, an den Jubelfeiern zum Revolutionstag teilzunehmen und hat so Hunderttausende auf den Straßen.

SPIEGEL ONLINE: Aus den spontanen Protesten gegen die gefälschten Wahlen in Iran ist eine breite, gut koordinierte Bewegung geworden. Hat sie die Macht, das Regime der Ajatollahs zu stürzen?

Haghighatdschu: Noch nicht. Der derzeitige Zustand wird noch eine ganze Weile anhalten.

SPIEGEL ONLINE: Und danach?

Mahmud Ahmadinedschad

Haghighatdschu: Ich sehe zwei Szenarien, wie sich die Lage in Iran weiter entwickeln wird. Entweder der Revolutionsführer Ali Chamenei erkennt die Zeichen der Zeit und versucht, sich mit den Reformern zu arrangieren. Dazu müsste er seine Unterstützung für Präsident nach und nach zurückschrauben, der dann vom Parlament abgesetzt wird. So könnte Chamenei sein Gesicht und seine Machtposition zumindest in Teilen wahren. Der innere Friede wäre wiederhergestellt, das Volk mit allmählichen Reformen zufrieden. Doch ich sehe derzeit keine Anzeichen, dass es so kommen wird. Chamenei ist zu selbstsüchtig, um zum Wohle aller Opfer zu bringen. So lange er lebt, wird es keinen Wandel geben.

SPIEGEL ONLINE: Was könnte stattdessen passieren?

Haghighatdschu: Wenn das Regime die Protestbewegung weiter niederknüppelt und mit Angst und Terror zu regieren versucht, wird sie die Unterstützung vieler, sehr vieler Iraner verlieren. Dann wird die "Grüne Bewegung" so machtvoll werden, dass sie das Regime stürzen kann. Aber das wird, wie gesagt, Zeit brauchen.

SPIEGEL ONLINE: Was will diese "Grüne Bewegung", wie sähe ein "grüner" Iran aus?

Haghighatdschu: Die Bewegung umfasst ein ganz breites Spektrum Unzufriedener. Das reicht von Leuten, die sich bloß über den Wahlbetrug geärgert haben bis hin zu Aktivisten, die das System stürzen wollen. Was Iran braucht, sind fundamentale Reformen, auch der Verfassung. Der reformierte iranische Staat muss die Gleichheit aller Bürger unterstreichen, unabhängig von ihrer Religion, Muttersprache oder ethnischer Zugehörigkeit.

SPIEGEL ONLINE: Bedeutet das, eine reformierte Republik Iran müsste nicht unbedingt islamisch sein?

Haghighatdschu: Das ist schwer zu sagen. Aber das ist eben der Punkt: Dann muss man halt hingehen und die Bürger fragen, ob sie das wollen.

Hossein Mussawi

SPIEGEL ONLINE: Die Drohungen des Regimes gegen die Reformer werden immer schärfer. Deren Führer und Mahdi Karrubi antworten mit wortgewaltigen Anschuldigungen, die Islamische Republik habe Züge einer Diktatur, in der Despoten regierten. Glauben Sie, dass Mussawi und Karrubi mit ihrer Verhaftung rechnen müssen?

Haghighatdschu: Ich glaube nicht, dass das Regime sich das traut. Die Verantwortlichen wissen, dass die Verhaftung der Symbolfiguren des Protests den Sturm der Entrüstung nur anschwellen lassen würden.

SPIEGEL ONLINE: Soll der Westen, allen voran die USA, sich in den Machtkampf in Iran einmischen?

Haghighatdschu: Nein, das wäre kontraproduktiv. Die USA und vor allem Europa könnten aber helfen, dass der Konflikt fairer ausgetragen wird. Das große Problem der Reformer sind die mangelhaften Kommunikationsmöglichkeiten. Westliche Firmen und Regierungen sollten dafür sorgen, dass das iranische Regime das Internet nicht jedes Mal abstellen kann, wenn es ihm opportun erscheint. Satelliten-basiertes Internet wäre eine große Hilfe.

SPIEGEL ONLINE: Die US-Regierung und Europa haben sich also bislang korrekt verhalten, was die Opposition angeht?

Menschenrechte in Iran

Haghighatdschu: Natürlich muss die internationale Gemeinschaft über die Einhaltung der wachen. Da erwarte ich vor allem von den europäischen Ländern mehr. Diese haben im Gegensatz zu den USA wenigstens Beziehungen mit Iran und sollten versuchen, ihren Einfluss stärker geltend zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist mit Irans Atomprogramm? Spielt der Streit mit der Weltgemeinschaft bei den internen Auseinandersetzungen eine Rolle?

Haghighatdschu: Natürlich! Das Regime nutzt den Nuklearstreit sehr geschickt, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken. Das ist doch kein Zufall, dass Iran ausgerechnet in der Woche vor dem wichtigsten, von ihm vermutlich mit Sorge erwarteten Feiertag des Jahres mit der Anreicherung von Uran beginnt. So zieht Ahmadinedschad die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf sich und die Querelen daheim bleiben eine Fußnote.

SPIEGEL ONLINE: Neue Sanktionen gegen Iran könnten schon in wenigen Wochen beschlossen werden. Welche Auswirkungen hätten wirtschaftliche Strafmaßnahmen auf die Reformbewegung?

Haghighatdschu: Das kommt darauf an, welche Art von Sanktionen verabschiedet werden. Ein Embargo, welches das Netz der Firmen in Händen der Revolutionsgarden trifft, würde den "Grünen" sicher nützen. Benzin-Sanktionen hingegen würden allen Iranern schaden, egal welcher politischer Couleur.

SPIEGEL ONLINE: Der 22. Bahman ist der höchste staatliche Feiertag der Islamischen Republik Iran. Sie leben im selbstgewählten Exil, weil sie als Parlamentarierin die Politik der Regierung nicht mittragen mochten. Feiern Sie heute trotzdem?

Haghighatdschu: Ja! Für mich ist es ein Freudentag, weil ich die Hoffnung habe, dass sich die Nachricht von der "Grünen Bewegung" heute in meinem ganzen Heimatland verbreitet. Wegen der Islamischen Revolution feiere ich schon lange nicht mehr. Die hat sich als gescheitert erwiesen.

Das Interview führte Ulrike Putz
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
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