Interview mit Israels Botschafter "Wir empfinden keine Freude"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Stein, Arafat ist tot. Erwarten Sie jetzt eine Eskalation der Gewalt in den Autonomiegebieten?
Shimon Stein: Nichts ist auszuschließen. Aber ich hoffe natürlich, dass es nicht zu einer Eskalation der Gewalt kommen wird. Sie ist weder in unserem Interesse, noch dürfte sie im Interesse der palästinensischen Bevölkerung und ihrer neuen Führung liegen.
SPIEGEL ONLINE: Die Hamas behauptet, hinter Arafats Tod stecke ein Giftanschlag der Israelis. Was antworten Sie den Verfechtern dieser These?
Stein: Ich kann nur auf die Aussage des palästinensischen Außenministers Nabil Schaath verweisen. Der hat eindeutig ausgeschlossen, dass es zu einer Vergiftung gekommen seien könnte. Doch meine Aussage dazu ist wohl überflüssig, denn die Palästinenser werden doch nur auf ihre eigenen Leute hören.
SPIEGEL ONLINE: Was verbindet sich für Israel mit Arafats Tod? Trauer? Hoffnung?
Stein: Auf jeden Fall keine Freude. Trauer lassen wir einmal beiseite, wenn wir an die Opfer auf israelischer Seite denken. Mit seinem Tod verbindet sich die Hoffnung auf einen neuen Anfang, auf ein neues Kapitel, das nun aufgeschlagen werden kann. Aber nur, wenn sich der Wille zum Frieden nicht nur in Worten zeigt, sondern auch mit Taten bewiesen werden kann. Israel ist nach wie vor bereit, die Gespräche auf der Basis der Road Map fortzusetzen - unabhängig von der Entscheidung, den einseitigen Rückzug aus den besetzten Gebieten weiter voranzutreiben.
SPIEGEL ONLINE: Hatte die Regierung Ariel Scharon die Road Map nicht schon ad acta gelegt?
Stein: Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Weder wir, noch die Palästinenser, noch die Amerikaner haben das getan. Ministerpräsident Scharon hat das vor zwei Wochen nochmals wiederholt. Die Road Map ist nach wie vor der Weg um die Vision des amerikanischen Präsidenten zu verwirklichen. Auch für unsere Vorstellung von einem friedlichen palästinensischen Staat bleibt die Road Map das Instrument.
SPIEGEL ONLINE: Was hat Israel für die Umsetzung denn bisher getan?
Stein: Die Entscheidung für einen einseitigen Abzug war eine Konsequenz aus der Erkenntnis, dass wir keinen Verhandlungspartner hatten. Wir wollten gerade nicht den Status Quo fortschreiben. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, also vor allem die Einstellung der Terrorangriffe und die Auflösung dieser Gruppen, können wir umgehend den nächsten Schritt gehen. Vielleicht kann dann aus einem Fenster der Möglichkeiten auch eine Tür der Hoffnung werden.
SPIEGEL ONLINE: Wer wird denn der neue Ansprechpartner der Israelis bei den Palästinensern sein?
Stein: Diese Frage können wir nicht beantworten. Es ist nicht eine Frage der Personen, sondern eine über die Richtung der zukünftigen palästinensischen Positionen. Wenn es eine Führung ist, die sich vom Terror abwendet, dann sprechen wir auch mit dieser Führung. Wer das aber sein soll, ist eine interne Sache der Palästinenser.
SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie von der These, dass sich Israel und Arafat gegenseitig benötigt haben, um bloß keine ihrer starren Positionen zu verlassen?
Stein: Das ist eine zynische Behauptung. Wie soll ich damit den israelischen und palästinensischen Menschen gegenübertreten, die in dem Konflikt Familienmitglieder verloren haben? Nein, so möchte ich nicht argumentieren.
Das Interview führte Lars Langenau