Interview mit Tom Koenigs "Carla del Ponte hat nie Fettnäpfe gescheut"
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Herr Koenigs, Carla del Ponte bescheinigte am Montag überraschend Kroatien "volle Zusammenarbeit" bei der Suche nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ante Gotovina. Die EU-Außenminister eröffneten nicht nur Ankara, sondern plötzlich auch Zagreb eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Umgehend gab Österreich seinen Widerstand auf. Konnte die Uno-Chefanklägerin dem politischen Druck nicht standhalten?
Koenigs: Del Ponte hat gesagt, die Situation hat sich verbessert. Davon gehe ich erstmal aus. Da sie bislang immer die unbequemsten Dinge auch zu den unbequemsten Zeitpunkten gesagt hat, glaube ich nicht, dass sie eingeknickt ist.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem agierte sie wie eine Politikerin und nicht wie eine Staatsanwältin. In Den Haag soll es erhebliche Verärgerung über ihren Sinneswandel geben.
Koenigs: Verärgerung hat sie immer ausgelöst - und das ist auch ihre Aufgabe. Diesmal hat sie eben auch einige Leute in ihrem eigenen Haus verärgert. Tatsächlich weiß ich nicht, ob auf sie Druck ausgeübt wurde. Doch wie ich Frau del Ponte kenne, ist sie nicht jemand, der dem nachgeben würde. Sie ist nicht nur mir als unbeugsame Anklägerin bekannt und hat in diesem Zusammenhang nie Fettnäpfe gescheut.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Auslieferung mutmaßlicher Kriegsverbrecher nicht mehr Grundbedingung zur Aufnahme für Gespräche mit der EU, wie es sich jetzt auch mit Serbien andeutet?
Koenigs: Das hängt natürlich auch damit zusammen, auf welchem Weg man hofft, den mutmaßlichen Kriegsverbrechern habhaft zu werden. Ich bin der Überzeugung, dass je näher Kroatien am Haken der EU hängt, desto näher wird man der Auslieferung kommen. Und ich glaube, dass die Aufnahme der Verhandlungen mittel- und langfristig die Situation weiter verbessern wird. Es ist allerdings nicht nur del Ponte, die Druck auf die Kandidaten ausüben muss, sondern auch der Druck der EU, der zum Erfolg führen wird. Zudem wird die intensive Kommunikation mit Kroatien dazu führen, dass Kriegverbrecher bald gefasst werden. Das erwarte ich auch für die serbischen Täter. Schließlich finden zwischen der EU und Serbien-Montenegro jetzt auch Verhandlungen im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens statt.
SPIEGEL ONLINE: Der untergetauchte kroatische Ex-General Gotovina äußerte sich jetzt persönlich: Er will sich nur in Kroatien einem Prozess stellen. Was spricht dagegen?
Koenigs: Zunächst zeigt dieser Schritt, dass er offensichtlich in die Enge getrieben ist. Gegen einen Prozess in Kroatien spricht, dass alle Europäer das Tribunal in Den Haag stärken wollen und müssen. Zudem geht es um die Gleichbehandlung der mutmaßlichen Kriegsverbrecher. Ich finde es richtig, dass Slobodan Milosevic in Den Haag angeklagt ist - und das gleiche wünsche ich mir für Gotovina.
SPIEGEL ONLINE: Hätte eine andere Entscheidung als die der EU-Außenminister am 3. Oktober in Luxemburg dem gesamten Westbalkan jede Beitrittsperspektive genommen?
Koenigs: Das befürchte ich. Und es gibt gut Gründe, den Ländern diese Perspektive zu geben. So gibt es kaum einen Bereich, in dem die EU schon jetzt so erfolgreich ist, wie im Bereich der Menschenrechte. Durch die Aufnahme der Gespräche auf den verschiedensten Ebenen mit der EU hat sich die Menschenrechtslage in der Türkei, in Kroatien und auch in Serbien schon rapide verbessert - vor allem auch in der Durchsetzbarkeit von Menschenrechtserfordernissen. Jeder der in der Region gearbeitet hat, weiß, dass es für die Bewohner der Region keine andere Perspektive als die Beitrittsperspektive gibt.
SPIEGEL ONLINE: Von 1999 bis 2002 waren sie Vize-Sondergesandter der Uno im Kosovo. Wie wird der in Kürze anstehende neue Bericht der Vereinten Nationen aussehen? Welchen Status wird der Kosovo künftig bekommen?
Koenigs: Die offene Situation im Kosovo kann nicht so bleiben und kann letztendlich erst in einer europäischen Perspektive gelöst werden. In dem Bericht wird meines Erachtens erstmal empfohlen, in intensive Statusverhandlungen einzutreten. Hier muss die EU viel mehr Verantwortung übernehmen. Langfristig kann ich mir nicht vorstellen, dass das Gebiet ein Uno-Mandat bleibt. Ich glaube, es wird in die Hände der EU übergehen müssen.
Das Interview führte Lars Langenau