Interview mit Uri Avnery "Scharon, ein bedächtiger Fanatiker"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Avnery, Israels Premierminister Ariel Scharon hat Palästinenserchef Jassir Arafat zur persona non grata erklärt. War das klug?
Avnery: Es kommt darauf an, was sie wollen. Wenn sie wie Scharon die palästinensische Behörde vernichten wollen, ist das sehr klug. Wenn sie allerdings Frieden wollen, ist es das Dümmste, was sie überhaupt anstellen können.
SPIEGEL ONLINE: Welche Folgen hätte eine totale Zerschlagung der palästinensischen Autonomiebehörde?
Avnery: Ich halte das für gar nicht möglich. Denn je stärker die palästinensische Führung angegriffen wird, desto stärker wird sie im eigenen Volk. Arafat ist in den letzten Jahren sehr oft von Palästinensern kritisiert worden. Doch heute ist er als palästinensischer Führer stärker als er jemals war.
SPIEGEL ONLINE: Nehmen wir an, Arafat wird morgen durch einen Apache-Hubschrauber umgebracht.
Avnery: Dann kommt Chaos, in dem die extremsten Elemente zur Macht kommen werden. Das käme Scharon gelegen. Dann bräuchte er nicht mehr über Frieden und Versöhnung zu reden. Dann könnte er die Okkupation Palästinas als ein Feldzug gegen den Terror verkaufen, und die ganze Welt wäre damit einverstanden. Ich glaube jedoch nicht, dass es so weit kommen wird. Arafat ist für die arabische Welt, für Amerika und Europa ein zu wichtiger Gesprächspartner, als dass Scharon ihn wirklich töten lassen würde. Scharon ist im Grunde ein vorsichtiger Mensch. Er ist kein Abenteurer, sondern ein sehr bedächtiger Fanatiker.
SPIEGEL ONLINE: Werden die Angriffe auf die palästinensischen Gebiete und Behörden wirklich mit Bedacht geführt?
Avnery: Sie sind wohl überlegt. Ariel Scharon kommt entgegen, dass er seinen Krieg gegen die Palästinenser als eine Art Kopie des amerikanischen Krieges in Afghanistan darstellen kann. Dies hat natürlich mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Die Palästinenser machen einen Volksaufstand gegen die israelische Besatzung mit einem klaren politischen Ziel, der Errichtung eines unabhängigen Staates Palästina neben Israel auf einem Territorium, das 22 Prozent des ursprünglichen Landes Palästina ausmacht.
SPIEGEL ONLINE: Geht es den Terroristen der Hamas und des Dschihad wirklich nur darum, durch einen Volksaufstand die israelischen Besatzer abzuschütteln? Oder geht es ihnen vielmehr darum, den Staat Israel an sich zerstören zu wollen?
Avnery: Beides stimmt. Praktisch sind die Hamas- und Dschihad-Leute mit den Fatah-Leuten Arafats verbündet. Auch sie wollen einen Staat Palästina in den heute besetzten Gebieten. Theoretisch aber haben sie eine Ideologie, die danach strebt, dass der ganze Nahe Osten eine große islamische Republik wird. Es ist aber nicht entscheidend, was der harte Kern des Dschihad und der Hamas will. Viel wichtiger ist, dass die palästinensische öffentliche Meinung, die heute die Selbstmordattentate unterstützt, fest hinter den von Arafat definierten Zielen steht: ein Staat Palästina in den besetzten Gebieten.
SPIEGEL ONLINE: Weshalb wächst dann die Unterstützung der extremistischen Gruppen, und warum schwindet die Macht Arafats beim Volk?
Avnery: Weil die Wut des palästinensischen Volkes so ungeheuer groß ist und noch täglich zunimmt. Jeder, der gegen die israelische Besatzung kämpft, ist populär. Und je extremer der Kampf ist, desto populärer wird er.
SPIEGEL ONLINE: Ist Arafat also Israel gegenüber zu nachgiebig?
Avnery: Arafat hat eine äußerst schwierige Aufgabe. Er muss Gewalt mit Politik und Diplomatie vermitteln. Deshalb ist er gegen die Selbstmordanschläge auf israelischem Hoheitsgebiet, die der palästinensischen Sache schaden. Er spricht im Namen der Vernunft, während die palästinensische Opposition im Namen der Wut spricht.
SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht heuchlerisch von Arafat, die Selbstmordattentate gegen Israel zu verurteilen, jedoch nicht entschieden genug gegen die Terroristen im eigenen Lager vorzugehen?
Avnery: Das ist keine Heuchelei, sondern eine sehr einfache politische Situation. Arafat will keinen Bürgerkrieg in Palästina verursachen. So ein Bürgerkrieg ist übrigens völlig unnötig. Sobald dem palästinensischem Volk ein konkreter politischer Vorschlag unterbreitet würde, der einen palästinensischen Staat vorsähe, würde Dschihad und Hamas zu einer Randerscheinung werden.
SPIEGEL ONLINE: In Camp David stand man im Juli 2000 kurz davor. Ministerpräsident Ehud Barak hatte zudem den Rückzug der Israelis aus 96 Prozent des besetzten Gebietes angeboten.
Avnery: Das ist eine Legende. Kein einziges Wort davon stimmt.
SPIEGEL ONLINE: Was stimmt denn?
Avnery: Die Angebote von Herrn Barak in Camp David waren weit davon entfernt, einen palästinensischen Staat zu errichten. Er wollte große Gebiete, so genannte Siedlungsblöcke an Israel anschließen. Das hätte das palästinensische Gebiet im Westjordanland in drei oder vier Enklaven zerschnitten. Barak hat das Märchen geschaffen, er sei den Palästinensern gegenüber unglaublich großzügig gewesen, die Palästinenser hätten alles zurückgewiesen, und sie wollten keinen Frieden.
SPIEGEL ONLINE: Camp David ist also an Barak gescheitert?
Avnery: Tatsache ist, dass dieses selbst ernannte Genie die Sache völlig verpfuscht hat. Er war eine Mischung von Ignoranz und Arroganz. Er war vollkommen außerstande, den Palästinensern zuzuhören oder sie gar zu verstehen. Er war für den Staat Israel ein größeres Unglück als der heutige Ministerpräsident Scharon.
SPIEGEL ONLINE: Ein größeres Unglück als Scharon?
Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews über den gescheiterten Politiker Ehud Barak, über einen internationalen Truppeneinsatz in Palästina und über die Rolle Europas in Nahost
Avnery: Ja. Denn er hat diese Atmosphäre geschaffen, die Scharon erst möglich gemacht hat. Die Stimmung der Hoffnungslosigkeit, der Glaube, dass man mit den Palästinensern keinen Frieden machen kann, und dass Arafat an allem Schuld sei.
SPIEGEL ONLINE: Barak trat an, um nach Netanjahu die Politik von Rabin und Peres fortzusetzen.
Avnery: Wir haben alle für Barak gestimmt. Barak war nicht nur das größte Unglück, sondern auch die größte Enttäuschung in der Geschichte Israels. Während Netanjahu gewisse Gebiete an die Palästinenser zurückgegeben hat, hat Barak nicht einen einzigen Quadratmillimeter zurückgegeben. In dem Jahr, in dem Barak die angeblich so wunderbar großzügigen Angebote von Camp David gemacht hat, wurden mehr Israelis auf palästinensischem Boden angesiedelt als je zuvor seit Beginn der Besatzung. Baraks Unfähigkeit hat dazu geführt, dass die Arbeiterpartei und ein großer Teil der Friedensbewegung zusammengebrochen ist. Daher war der Weg für Scharon frei.
SPIEGEL ONLINE: Liegt das von ihnen behauptete Scheitern Baraks in seiner Persönlichkeit begründet oder spielten politische Faktoren eine Rolle?
Avnery: Seine Persönlichkeit spielt dabei eine große Rolle. Im Gegensatz zu Rabin, der ein bescheidener und vernünftiger Mensch war, ist Barak ein äußerst unbescheidener, arroganter, selbstsicherer Mensch, ohne dass man je gesehen hätte, worauf diese Selbstsicherheit beruhen könnte. Nicht nur, dass seine Regierung nach einem Jahr gescheitert ist. Er hat auch auf wirtschaftlichem oder sozialem Gebiet nichts zu Wege gebracht.
SPIEGEL ONLINE: Würden sie Baraks Charaktereigenschaften auch Scharon zuschreiben?
Avnery: Scharon ist ein ganz anderer Mensch. Scharon ist ein Mann mit einem Lebensziel. Er will das ganze Land Israel und Palästina für Israel gewinnen, um es mit Israelis zu besiedeln. Er lässt sich durch nichts beirren. Er ist ein zielbewusster, eigensinniger Mann, der nie aufgibt. Bei Regierungsantritt war sein Vorsatz, die palästinensische Autonomieregierung zu vernichten.
SPIEGEL ONLINE: Der israelische Sicherheitsminister Uzi Landau hat vorgeschlagen, Arafat nach Tunis zu verbannen.
Avnery: Uzi Landau ist der allerextremste Rechtsradikale in Israel. Er schlägt die totale Vernichtung des palästinensischen Volkes vor. Er will die Palästinenser aus dem ganzen Land treiben. Er will ein araberreines Israel vom Jordan bis zum Meer.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie behaupten, die jüngsten Selbstmordattentate der Hamas-Extremisten waren der Regierung Scharon ein willkommener Anlass, die palästinensischen Behörde endlich zu bombardieren?
Avnery: Das ist ganz klar. Jeder Mensch, der Scharon kennt - und ich kenne ihn besser als die meisten - weiß, dass er jeden Vorwand nutzen wird, um seine Ziele zu verfolgen. Die Dschihad- und Hamasleute unterstützen ihn praktisch, indem sie ihm Gründe liefern, um seine Offensive fortzusetzen.
SPIEGEL ONLINE: Die Mörder von Afula, Hedera, Jerusalem und Haifa haben ihre Bomben gezündet, bevor Scharon die Angriffe auf die palästinensischen Gebiete fliegen ließ.
Avnery: In einem Teufelskreis der Gewalt meint jede Seite, von der anderen angegriffen worden zu sein. Es ist ein fortgehender Krieg, der von beiden Seiten geführt wird.
SPIEGEL ONLINE: Die derzeitigen Selbstmordanwärter der Hamas scheinen einer Läuterung nicht fähig zu sein.
Avnery: Wenn ein Mensch Selbstmord verübt, können sie sagen, er ist nicht normal. Wenn Tausende Leute dazu getrieben werden können, Selbstmord zu begehen, dann bedeutet dies: Tausende halten das Leben, das sie jetzt führen, für schlechter als den Tod. Das sind keine Leute aus dem Irrenhaus, sondern Menschen mit drei, vier, fünf Kindern, mit Frauen, Leute, die ein normales Leben geführt haben, Arbeiter, Händler. Diese Leute sind nur zum Selbstmord bereit, weil ihre Lebensbedingungen unmenschlich sind.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist es möglich, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen?
Avnery: Nur durch eine internationale Intervention.
SPIEGEL ONLINE: Wer soll die machen?
Avnery: Am besten Amerika. Doch die USA scheinen wieder umgeschwenkt zu sein. Nach dem 11. September hatten sie noch versucht, die arabische Welt zu beschwichtigen, indem sie eine Friedensinitiative für Palästina entwickelten. Doch in dem Augenblick, in dem sie diesen leichten Sieg in Afghanistan errungen hatten, sind sie zu einer einseitigen Unterstützung der Scharon-Politik zurückgekehrt.
SPIEGEL ONLINE: Bleibt Europa.
Avnery: Ich setze noch gewisse Hoffnungen auf Europa, obwohl sich Europa sehr feige benimmt und gewöhnlich nichts tut, was Amerika irgendwie missbilligen würde. Aber ich bin sehr dafür, dass Europa die Initiative ergreift und am Ende Friedenstruppen im Rahmen der Uno oder der Nato nach Palästina schickt. Das Problem besteht in einem wahrscheinlichen US-Veto. Denn Scharon will das nicht - und somit will es auch Bush nicht.
SPIEGEL ONLINE: Es gab den Mitchell-Plan, der einen Waffenstillstand vorsah, um dann schrittweise den Friedensprozess wieder anzustoßen.
Avnery: Der Mitchell-Plan hatte in der Praxis keine Chance. Denn ein Waffenstillstand ohne politische Gegenleistung war zum Scheitern verurteilt. Nicht einmal ein sofortiger Siedlungsstopp war in Aussicht gestellt worden.
Lesen Sie im dritten Teil des Interviews über die Fehler von Schimon Peres, über die Unmöglichkeit ein Oslo-2-Abkommen durchzusetzen und über Lösungsansätze in Nahost
SPIEGEL ONLINE: In einem Leitartikel der "Zeit" war jüngst zu lesen, Arafat habe die Wahl, entweder im eigenen Lager konsequent gegen Terroristen vorzugehen oder aber das Gewaltmonopol bei den Palästinensern einzubüßen. Ben Gurion habe 1948 vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden. Er habe sich entschieden, ein Schiff mit rechtsgerichteten jüdischen Extremisten auf dem Weg nach Israel zu versenken.
Avnery: Wer so etwas schreibt, hat nicht die geringste Ahnung, weder von Palästina, noch von Israel. Ben Gurion hat dieses Schiff versenkt, nachdem der Staat Israel gegründet worden war. Mit diesem Schiff sah er eine Art Putschversuch gegen die Regierung des Staates Israel heraufziehen. Es hat überhaupt nichts mit der Situation Arafats zu tun. Arafat hat keinen Staat. Er ist mitten in einem Befreiungskampf. Jetzt einen Bürgerkrieg zu riskieren bedeutete den Selbstmord des palästinensischen Volkes.
SPIEGEL ONLINE: Muss die Bekämpfung des Terrors auf der eigenen Seite notwendiger Weise in den Bürgerkrieg führen?
Avnery: Das hängt ganz von der politischen Lage ab. Wenn dem palästinensischen Volk ein Staat in Aussicht gestellt wird, wird die große Mehrheit im palästinensischen Volk sich hinter Arafat stellen. Die kämpfenden Organisationen, die Arafat dann immer noch nicht anerkennen, werden gesellschaftlich so isoliert sein, dass sie ungefährlich sein werden.
SPIEGEL ONLINE: So war es in Israel in den Jahren nach der Staatsgründung.
Avnery: Es gab starke terroristische Untergrundorganisationen - ich selbst gehörte einer an - doch in dem Augenblick, in dem die Vereinten Nationen beschlossen haben, einen jüdischen und einen arabischen Staat in Israel zu errichten, hat die Masse des Volkes dies sofort angenommen, und die kämpfenden Organisationen sind unwichtig geworden. Das passiert immer in einem Befreiungskampf. Terror ist noch nie anders als politisch überwunden worden. Es gibt keine militärischen Mittel, die Intifada zu beenden.
SPIEGEL ONLINE: Aber es gibt polizeiliche Mittel. Arafat hat viele Polizisten unter Waffen.
Avnery: Man kann doch nicht von Leuten erwarten, ihre Kameraden, mit denen sie in israelischen Gefängnissen saßen, zu verhaften, während tagtäglich ihre eigenen Waffen, Gebäude, Computer von der israelischen Armee zerstört werden. Sollten palästinensische Polizisten in dieser Situation Leute aus dem eigenen Volk verhaften, würden sie sich zu Kollaborateuren der Besatzer machen. Man kann dann von ihnen erwarten, ihre einstigen Kameraden zu verhaften, wenn sie den berechtigten Glauben haben können, dass es dem nationalen Interesse im Sinne eines eigenen Staates dient. Und der muss von der Staatengemeinschaft garantiert werden. Dazu bedarf es eines klaren Planes.
SPIEGEL ONLINE: Wie muss der aussehen?
Avnery: Internationale Organe müssen dem palästinensischem Volk garantieren: Wenn ihr den Gewaltakten ein Ende setzt, wird die israelische Besatzung innerhalb eines Jahres abgezogen, und im gleichen Zeitraum wird es einen palästinensischen Staat geben - unter dem Schutz einer internationalen Truppe. Dann wird die Gewalt aufhören.
SPIEGEL ONLINE: Fast jede neue Friedensinitiative wurde von Suizidattentätern torpediert.
Avnery: Es gibt natürlich Kräfte, die einen Frieden verhindern wollen - auf beiden Seiten. Doch sobald die große Masse der beiden Völker in Frieden leben wird, werden die Extremisten zu Randerscheinungen.
SPIEGEL ONLINE: Was gibt Ihnen diese Gewissheit?
Avnery: Ich kenne das aus meiner eigenen Geschichte als Mitglied einer Untergrundorganisation, die von der englischen Regierung als Terrororganisation bezeichnet wurde. Außerdem hatten wir den Fall bereits. Der Terror hat ja nach Oslo aufgehört. Zwei Jahre lang hatten wir nicht einen einzigen Terroranschlag gehabt. Die Palästinenser haben nach Oslo geglaubt, die israelische Armee wird sich jetzt zurückziehen. Sie würden - wie versprochen - innerhalb von fünf Jahren einen eigenen Staat haben. Damit war der Terror zu Ende.
SPIEGEL ONLINE: Dann fing er wieder an.
Avnery: Nach einer dreijährigen Pause hat er wieder angefangen, nachdem Rabin ermordet worden war, und der vollkommen unfähige Peres an die Regierung kam.
SPIEGEL ONLINE: Welche Fehler hat Schimon Peres gemacht?
Avnery: Der unglückselige Peres hat erstens seinem Sicherheitsdienst erlaubt, den Hamasführer Jichjeh Ajasch, den so genannten Ingenieur, in Gaza umbringen zu lassen. Das war 1996. Daraufhin hat die Hamas drei große Racheakte in Jerusalem und Tel Aviv mit mehreren Dutzend Toten verübt, und damit war die Ruhe vorbei. Außerdem hat er einen Krieg im Libanon angefangen. Er versuchte, 500.000 Libanesen aus dem Süden des Libanon zu vertreiben. Das hat mit dem Bombardement des Lagers in Kafer Kanaa geendet. Damit hat Peres den Weg für Netanjahu geebnet.
SPIEGEL ONLINE: Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.
Avnery: Es war wie später beim Wechsel von Barak zu Scharon: Wenn keine Hoffnung auf Frieden besteht, dann wählen die Israeli lieber den Likud, der kann wenigstens besser Krieg führen als die Arbeiterpartei.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass es ein zweites Oslo geben kann?
Avnery: Ein zweites Oslo, das heißt ein Zwischenabkommen, ist heute nicht mehr möglich. Kein Palästinenser glaubt heute noch israelischen Versprechungen. Israel hat in Oslo alles versprochen und sehr wenig gehalten. Der Hauptrückzug hat nicht stattgefunden. Der Siedlungsbau ist nicht eingestellt worden. Heute kann man nur über eine endgültige Regelung sprechen, über das, was man bei uns "permanenten Status" nennt.
SPIEGEL ONLINE: Es geht um alles oder nichts.
Avnery: Es geht um alles! Und man hat schon so viel geredet, dass die Parameter einer Friedenlösung klar sind. Wir in Gush Schalom haben einen detaillierten Friedensvertrag aufgestellt. Im bin sicher, dass dieser Friedensvertrag einmal realisiert werden wird. Aus einem Grund: Weil es keine andere Lösung gibt.
SPIEGEL ONLINE: Wie sieht Ihre Lösung aus?
Avnery: Ein Staat Palästina in den Grenzen von vor 1967 muss neben Israel entstehen. Das sind 22 Prozent des gesamten Landes. Jerusalem muss gemeinsame Hauptstadt beider Staaten werden. Alle israelischen Siedlungen auf palästinensischen Gebieten müssen evakuiert werden. Und es gilt eine moralisch gerechte, aber auch praktische Lösung in der Flüchtlingsfrage zu finden.
Das Gespräch führte Alexander Schwabe