Interview Sterben die Deutschen aus?
SPIEGEL ONLINE
: Laut einer neuen Uno-Studie braucht Deutschland 500.000 Zuwanderer pro Jahr bis 2025, um den Stand der Erwerbstätigen von 1995 zu halten. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?
Birg: Die 500.000, die immer wieder genannt werden, sind eine mittlere Zahl, die aber nur ein bestimmtes Jahr, nämlich die Zeit um 2025, genau beschreibt. Im Moment brauchen wir relativ wenig Zuwanderer, aber der Bedarf steigt in der Zukunft, weil sich das Geburtendefizit in den nächsten Jahrzehnten verfünffacht. Die genaue Bedarfsermittlung ist rechnerisch sehr kompliziert: Je länger man mit der Einwanderungspolitik wartet, desto stärker steigt der Bedarf, aber je früher man anfängt, desto mehr Geburtenüberschüsse der Eingewanderten muss man mit einrechnen.
SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist der von Ihnen errechnete Bedarf?
Birg: Ich müsste Ihnen für jedes Jahr eine andere Zahl nennen. Die Zahl, die für die Konstanz der Bevölkerung erforderlich ist, steigt von Jahr zu Jahr, von knapp 100.000 dieses Jahr bis auf 860.000 im Jahr 2050. Aber das Ergebnis hängt auch davon ab, wie viel Kinder pro Frau in Zukunft geboren werden, und das ist unbekannt. Im übrigen ist die Konstanz der Bevölkerung oder der Erwerbspersonen als Ziel sehr umstritten. Ich halte eine gemäßigte Schrumpfung für sinnvoller.
SPIEGEL ONLINE: Könnte auch Ihre Studie irren?
Birg: Die irrt mit Sicherheit in dem Sinne, dass sie nie genau ins Schwarze treffen kann. Das ist aber auch gar nicht der Anspruch. Diese Prognosen sollen ja gar nicht eintreffen. Politisches Handeln soll sie falsifizieren.
SPIEGEL ONLINE: Was müssten die Politiker machen?
Birg: Zwei Dinge. Zum einen müsste man ein "Bevölkerungsbewusstsein" schaffen, so wie in den siebziger Jahren das Umweltbewusstsein mit viel Aufklärung, aber auch mit schierer Propaganda erzeugt worden ist. Damit den Leuten deutlicher wird, dass ihre subjektive Entscheidung für oder gegen Kinder auch eine objektive Auswirkung hat, von der sie dann wieder als Einzelne unmittelbar betroffen sind. Dann kann man hoffen, dass der eine oder andere bei der Familienplanung auch an die Gesellschaft als Ganzes denkt. Aber vielleicht bleibt das noch lange eine demographische Utopie.
SPIEGEL ONLINE: Eine echte Lösung des Problems liegt also nicht in Zuwanderung, sondern darin, dass man die Deutschen zum Kinderkriegen anregt?
Birg: Genau. Auf die Dauer reichen ja auch die Kinder der Zuwanderer nicht aus, um deren Zahl konstant zu halten. Über Generationen hinweg ist keine andere Lösung als die Erhöhung der Geburtenrate möglich, vorausgesetzt, dass man der demographischen Schrumpfung und der mit ihr verbundenen Alterung der Gesellschaft wirksam begegnen will.
Es gibt zwar nirgendwo in der Welt eine Knappheit an Menschen, aber wir brauchen qualifizierte Leute. Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger lösen das Problem nicht, sondern verschlimmern es. Und bekanntlich haben die Eingewanderten schlechtere Qualifikationen als die Einheimischen. Die Deutschen haben in der wichtigen Altersgruppe der 20-25-Jährigen prozentual sechsmal so viele Studenten wie die Eingewanderten. Das ist ein Unterschied, der sich nicht von alleine verringern wird.
Damit komme ich zum zweiten Punkt: Zuwanderung hilft nur, wenn die hier lebenden Ausländer gut ausgebildet werden. Eine solche Bildungsoffensive ist teuer, zahlt sich aber ökonomisch aus. Aber darüber wird ja nicht mal geredet, geschweige denn entschieden.
SPIEGEL ONLINE: Werden die Politiker irgendwann aufwachen?
Birg: In Deutschland wahrscheinlich erst in zwei Jahrzehnten. Wenn es zu spät ist. Brutal gesagt: Es gibt keine Lösung.
SPIEGEL ONLINE: Es ist ein Illusion zu glauben, dass jetzt schon etwas geschehen könnte?
Birg: Die Politik ist nicht bereit, darauf zu reagieren. Und selbst wenn sie bereit wäre, könnte man den Bevölkerungsschwund höchstens abmildern. Denn durch die bereits erfolgte drastische Abnahme der Geburtenzahl in den letzten drei Jahrzehnten ist die Zahl der Eltern in der nächsten Generation so niedrig, dass ein abermaliger Rückgang der Geburtenzahl unvermeidlich ist. Natürlich ließe sich zahlenmäßig jedes Geburtendefizit durch Einwanderungen ausgleichen. Dann hätten wir vielleicht keine Arbeitsmarktprobleme, aber dafür Integrationsprobleme. Die sind allerdings jetzt schon groß genug.
Das Interview führte Carsten Volkery