Iowa-Vorwahlen Triumph der Außenseiter

Die Sieger von Iowa heißen Barack Obama und Mike Huckabee. Der eine setzte sich mit Chuzpe und Charme gegen die Clinton-Maschine durch, der andere mit Wärme und Glaubensbekenntnissen gegen viel Geld. Das Rennen um die Präsidentschaft ist völlig offen.

Des Moines - Barack Obama muss jetzt einfach nur dastehen. Er braucht nicht einmal das gewaltige Schild mit dem "Change"-Slogan, das man hinter seinem Kopf drapiert hat. Er muss nur dastehen, um einen Hauch von Wandel zu verströmen. Er müsste überhaupt nichts sagen in diesem riesigen Konferenzzentrum in Des Moines: Seine Anhänger, die sich hier zu Tausenden versammelt haben, würden trotzdem jubeln. Aber dann spricht Barack Obama: über eine Sternstunde der Menschheit und die Hoffnung, Amerika zu vereinen. Schwarz und weiß, rot und blau.

Iowa-Sieger Obama, Huckabee: Die etablierten Konkurrenten deklassiert

Iowa-Sieger Obama, Huckabee: Die etablierten Konkurrenten deklassiert

Foto: REUTERS

Mitten in einem vorwiegend weißen Farmstaat der USA lacht ein junger schwarzer Amerikaner von einer Bühne. Vor drei Jahren kannte ihn kaum jemand außerhalb von Chicago. Und nun hat Obama vielleicht die erste wichtige Hürde genommen auf dem Weg ins Weiße Haus.

Mike Huckabee wiederum muss einfach nur reden. Er schaut zwar aus wie viele der republikanischen Bewerber in diesem Jahr. Mittelalt, schlecht sitzender Anzug. Aber wenn er den Mund öffnet, strömen Sätze heraus, die eher an Bibelgleichnisse erinnern. Und die Menschen wärmen wie ein weicher Handschuh. Der ehemalige Baptistenprediger Mike Huckabee spricht in einem Bankettsaal der Hauptstadt von Iowa und sagt: "Menschen sind wichtiger als Geld." Er macht eine Pause, lächelt in die Menge. "Ist das nicht ein schönes Gefühl?"

Das Establishment wird abgestraft

Barack Hussein Obama und Mike Huckabee heißen die großen Gewinner der Vorwahlen in Iowa - des Nadelöhrs der Bewerbung für die US-Präsidentschaft. Die Abstimmung in dem kleinen Agrarstaat des Mittleren Westens mit seinen gerade einmal drei Millionen Bewohnern gibt die Richtung vor für den kommenden Vorwahlkampf.

Der Senator aus Chicago und der Ex-Gouverneur von Arkansas haben einiges gemeinsam: Vor allem ihren ungewöhnlichen Aufstieg, der den beinahe revolutionären Charakter ihrer Bewerbung unterstreicht. "Seien wir doch mal ehrlich: Wer hat vor drei Jahren diesen schwarzen Senator gekannt?", sagt Samantha Power, eine von Obamas engsten Beratern, zu SPIEGEL ONLINE. "Barack Hussein Obama. Geht es noch etwas seltsamer?" Sie lacht.

Und Huckabee? George W. Bushs ehemaliger PR-Berater Dan Bartlett hat dazu noch vor kurzem erklärt: "Mit dem Namen kann man nicht Präsident werden." Ein armer Kandidat war er obendrein: Huckabee hat nur ein Zwanzigstel seiner republikanischen Rivalen in Iowa für Spots, Anzeigen und Helfer ausgeben können. Er habe nicht mit Geld, dafür aber die "Herzen und Seelen" der Menschen gewonnen, sagt Huckabee nach seinem Sieg.

Die beiden Außenseiterkandidaten haben die etablierten Konkurrenten nicht einfach abgehängt, sie haben sie deklassiert. Hillary Clinton, die große Favoritin in nationalen Umfragen, landete sogar nur auf dem dritten Platz, noch hinter Ex-Senator John Edwards. Huckabee hatte fast zehn Punkte Vorsprung auf Mitt Romney, den Ex-Gouverneur von Massachusetts, der das vergangene Jahr fast komplett in Iowa Wahlkampf machte.

Wendepunkt mit Wertewählern

Sein Triumph gehört zu den erstaunlichsten Ereignisse der US-Wahlkampfgeschichte. Mike Huckabee war noch im November bestenfalls bekannt dafür, wie ein gewisser Bill Clinton aus Hope, Arkansas, zu stammen. Dass er mal 45 Kilo abgespeckt hat. Dass er ein ordentlicher Redner ist. Dass er als Ex-Prediger über gute Kontakte zur einflussreichen religiösen Rechten der US-Konservativen verfügt.

Doch in Umfragen, auch in Iowa, rangierte er unter "ferner liefen". Der Wendepunkt für Huckabee kam Anfang November. Da trafen sich die "Value Voters" in Washington, eine Versammlung der religiösen Fundamentalisten, die in Vorwahlen wie Iowa bei den Republikanern bis zu 40 Prozent der Wähler ausmachen. Die Medien konzentrierten sich bei der Veranstaltung auf Mitt Romney, der sich zu seinem mormonischen Glauben erklären wollte. Oder auf den ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani, der bei den Gläubigen Abbitte leisten wollte für drei Ehen und seine liberale Haltung zur Abtreibung. Doch Huckabee rief den "Value Voters" zu: "Ich komme nicht zu euch, ich komme von euch." Der Satz riss sie von den Sitzen.

Seither ging es stetig aufwärts für Huckabee. Weil er witzig war, weil er eine normale Sprache sprach, weil er einfühlsam zu sein schien - obwohl er ein strammer Konservativer ist. Zu seinen christlich geprägten Moralvorstellungen bekennt er sich und betont gleichzeitig: "Ich bin auf niemanden wütend." Er verurteilt Abtreibungen, doch er nimmt die Sozialpolitik der konservativen "Pro-Life"-Aktivisten auch ins Visier: "Es ist nicht gut, wenn der Eindruck entsteht, wir Republikaner würden uns nur um Kinder kümmern, solange sie noch im Mutterleib sind."

"Mein Glaube definiert mich"

Während seine Rivalen das Gespenst der illegalen Einwanderung gar nicht groß genug an die Wand malen können, setzt sich Huckabee sanft ab. Als Gouverneur von Arkansas hat er dafür gesorgt, dass die Kinder von illegalen Einwanderern auf die Schulen des Staates gehen dürfen. "Wir können doch bessere Menschen sein, als Kinder zu bestrafen." Und wenn es heikel wurde, weil jemand vom Ex-Prediger wissen wollte, wie Jesus sich zu Politikfragen äußern würde, hatte er eine blitzschnelle Antwort parat: "Jesus war immer zu schlau, sich für ein öffentliches Amt zu bewerben." Parallel schaltete Huckabee Werbespots, die auf die vielen Religiösen in Iowa maßgeschneidert waren. "Mein Glaube definiert mich", so fing einer davon an.

Was Huckabee und Obama nach ihrem Iowa-Sieg tun müssen

Huckabee wird nun freilich eine breitere Koalition schmieden müssen. In Iowa stellten die religiösen Rechten rund 40 Prozent der republikanischen Vorwähler. Schon in New Hampshire, dem nächsten Vorwahlstaat, sieht das anders aus. Er wird mehr Geld und ein professionelleres Team brauchen. Wenn man mit ihm reiste in diesen Tagen, fielen bei seinen Kampagnenhelfern schon mal die Internet-Verbindungen aus. In seinem winzigen Wahlkampfbüro in Iowa konnte man seinem Koordinator von draußen durch die Scheibe beim E-Mail-Schreiben zuschauen.

Aber genau dieser Graswurzel-Charme hat Huckabee siegen lassen. Welcher Republikaner soll ihn eigentlich stoppen? Mitt Romney hat die Bürger in Iowa umworben wie kein Zweiter, er hat Huckabee persönlich scharf attackiert - doch die Leute mögen ihn einfach nicht, wie Chris Matthews von CNBC ätzt: "Romney hat nur Unterstützer, die entweder unglaublich gutaussehend oder unglaublich reich sind." John McCain, Senator aus Arizona, hatte auf einen Aufschwung durch einen dritten Platz gehofft - aber er wurde noch vom schläfrigen Ex-Schauspieler Fred Thompson auf den vierten Rang verdrängt.

Der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani führt zwar immer noch in nationalen Umfragen, erhielt aber in Iowa weniger als vier Prozent der Stimmen. Er hält an seiner Florida-Strategie fest, die auf einen großen Sieg dort am 29. Januar und den Durchbruch in wichtigen Staaten wie Kalifornien oder New York baut. Aber damit verlässt er sich auf darauf, dass sich die anderen Kandidaten vorher zerfleischen und es keinen klaren Favoriten gibt. Kurz: Die Strategie verstößt gegen jede US-Vorwahllogik.

Clinton wurde deklassiert

Auch Barack Obama hat die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Trotz der riesigen Clinton-Maschine, die in Iowa angeworfen wurde, konnte Obama sich als ernsthafter Gegenkandidat etablieren. Er hat wie sie im vergangenen Jahr 100 Millionen Dollar eingesammelt. Und er hat mächtige Wahlkampfteams in fast allen weiteren wichtigen Vorwahlstaaten aufgebaut.

Nun hat er sie in die Schranken gewiesen. Hillary Clinton galt schon als gesetzte Kandidatin. Wahrscheinlich war es eben dieses Gefühl der Unvermeidlichkeit, das sie am Ende Stimmen gekostet hat. Das ließ sie lange auftreten, als kämpfe sie schon gegen die Republikaner und nicht ihre Parteirivalen. Obama gelang es, Clinton als Teil jenes Systems erscheinen zu lassen, dass man in den USA nun endlich überwinden will: hier der junge Strahlemann, da das alte Establishment.

Nach der Entscheidung war das in Des Moines noch einmal zu besichtigen. Clinton trat vor mehr als 1000 jubelnden Menschen auf. Alle waren da, Parteigrößen wie Madeleine Albright, natürlich Ehemann Bill, Tochter Chelsea. Sie sprach sanft, sie verhaspelte sich kein einziges Mal und versuchte, ihre Schlappe in einen Sieg für die Demokraten insgesamt umzumünzen.

Und doch wurde man das Gefühl nicht los, das alles schon mal gesehen zu haben. Dazu trug auch Bills Rolle bei. Er schien bei seinen Auftritten mehr über sein Vermächtnis zu sprechen als über seine Frau. Es schien zu glauben, ihr die Kandidatur zu schulden - und suggerierte, der Rest des Landes solle das gefälligst auch so sehen.

Als die Clintons zuletzt die Schwächen dieses Ansatzes spürten, begannen sie, die Botschaft der Kandidatin zu ändern - was in Wahlkämpfen immer für Verwirrung sorgt. Mal war Hillary nun die harte Führerin, die weiter aggressiv gegen Terroristen vorgeht. Mal die erfahrene Diplomatin. Und seit ein paar Wochen schaltete sie Videos mit ihrer Mutter und Freunden, die Auskunft gaben, was für ein guter Freund und ein netter Mensch sie eigentlich ist.

Es war wohl die TV-Debatte Ende Oktober in Philadelphia, als die Stimmung zu kippen begann. Obama hatte lange vergeblich versucht, zu Clinton aufzuschließen. Viele trauten ihm nicht mehr zu, wirklich anzugreifen. Er bestellte Journalisten der "New York Times" ein und versprach, das zu ändern. Richtig böse musste er aber gar nicht werden, denn Clinton versetzte sich den schlimmsten Stoß selber. Auf die harmlose Frage, ob illegale Einwanderer Führscheine bekommen dürfen oder nicht, eierte sie von einer Position zur nächsten. "Wenn ich mich nicht täusche, hat Hillary gerade in zwei Minuten zwei verschiedene Dinge gesagt", spottete John Edwards. Obama setzte nach: "Ich bin einfach verwirrt über ihre Antwort."

Wandel gegen Erfahrung

Seither hat Obama diesen Vorteil nicht mehr losgelassen. Wandel gegen Erfahrung. Die Reise in die Vergangenheit im Gegensatz zu der Hoffnung auf einen ganz neuen Anfang. Erst einmal hat die Hoffnung gesiegt. Peter Hart, der bekannte Meinungsforscher der Demokraten, fragte im Dezember Wähler der Partei: Wenn Washingtons Politik ein Buch wäre, wollten Sie dann lieber ein paar neue Seiten oder ein ganz neues Kapitel? Fast die Hälfte wünschte sich ein komplett neues Buch.

Der Dreikampf der Demokraten wird weitergehen. Mindestens bis zum "Super-Super-Tuesday" am 5. Februar, an dem mehr als 20 Bundesstaaten abstimmen. Für Edwards, der fast sein ganzes Geld auf Iowa gesetzt hat, könnte der deutliche Abstand zu Obama schon das Ende seiner Kandidatur bedeuten. Clinton hingegen muss jetzt das schaffen, was ihr Mann 1992 in New Hampshire vorgelebt hat. "Das Comeback Kid" zu werden. Man sollte die Clintons in dieser Kunst nie unterschätzen - zumal Obama nun als Spitzenreiter auch neuer Durchleuchtung durch die Medien ausgesetzt sein wird. Aber fest steht: Die Clinton-Strategie ist über den Haufen geworfen.

Auch Mike Huckabee hat sich bereits eine neue Taktik zurechtgelegt. Gestern Abend trat er beim beliebten TV-Komiker Jay Leno auf. Der fragte ihn, welchen Gegner er sich bei den Demokraten wünschen würde. Die Antwort war typisch Huckabee: "Mir wäre es am liebsten, wenn sie alle einfach aufgeben würden."

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