Irak Alawi beklagt ethnische Säuberungen
Bagdad/Washington - An den gegenüberliegenden Ufern des Tigris haben sich zwei gegnerische Einflusssphären herausgebildet, berichtet der SPIEGEL. Die Schiiten kontrollieren Russafa, den Ostteil der Stadt, während der Westen, Karch, vorwiegend von Sunniten bewohnt wird. Auf beiden Seiten fliehen die jeweiligen Minderheiten vor Übergriffen.
Der sunnitische Widerstand konzentrierte sich seit der Invasion des Iraks vor allem in jenen Stadtteilen im Westen, in denen traditionell besonders loyale Anhänger des gestürzten Regimes von Saddam Hussein wohnen. In Ghasalija, das Saddam in den siebziger Jahren für Beamte des Präsidentenpalasts angelegt hatte, in Amirija, dem Viertel der Armeeoffiziere und Gemeindebediensteten, und in Dschihad, wo sich viele Geheimdienstler und Diplomaten niedergelassen haben. Diese Viertel im Westen der Hauptstadt seien eine "strategische Basis" für Widerstand und Terror, so ein Anwohner: "Die Kämpfer genießen hier die Unterstützung der lokalen Bevölkerung, und sie haben kurze Fluchtwege Richtung Abu Ghureib und Falludscha" - Hochburgen des Widerstands im angrenzenden Sunnitendreieck.
Im Osten der Hauptstadt liegt das Zentrum des schiitischen Widerstands, ein Widerstand, der vor allem von der Mahdi-Armee des radikalen Predigers Muktada al-Sadr getragen wird. In der Madinat al-Sadr, benannt nach Muktadas Vater, operieren schiitische Milizen, die mit jeder Woche ihren Einfluss ausweiten. "Wir verbringen im Augenblick viel Zeit mit dem Studium von Landkarten", berichtet der schiitische Parlamentarier Abbas al-Bajati aus den langwierigen Beratungen zur Regierungsbildung. Dort geht es inzwischen auch um Territorialdispute jenseits der Hauptstadt: Falls die Kurden im Nordirak auf Übernahme der Ölstadt Kirkuk beharren, überlegen die Schiiten, die Städte Samarra und Balad in eine neu zu schaffende Provinz Ost-Bagdad zu integrieren - die dann unter schiitische Kontrolle fiele.
Bagdad hat kaum Viertel, die ethnisch oder konfessionell homogen sind, der Großteil des Stadtgebiets ist gemischt besiedelt; an beiden Tigris-Ufern gibt es Exklaven der jeweils anderen Glaubensrichtung. Eine konfessionelle "Säuberung" hätte die Vertreibung von Millionen zur Folge - oder ein blutiges Patt, wie es sich im südlichen Stadtteil Daura abzeichnet: Dort kontrolliert die Mahdi-Armee mehrere schiitische Straßenzüge, während aus dem Umland immer wieder sunnitische Aufständische einsickern. Gemeinsam terrorisieren sie die Reste der christlichen Minderheit in Daura.
Iraks ehemaliger Premierminister Ijad Alawi beklagte, bereits jetzt habe man es mit "ethnischen Säuberungen" im Land zu tun. "In einigen Bereichen des Landes gibt es eindeutig ethnische Säuberungen. Wir sollten das nicht leugnen, sondern mutig genug sein, darüber zu sprechen", sagte Alawi gegenüber dem US-Sender NBC News. Zuvor hatte Alawi dem britischen TV-Sender BBC gesagt, der Irak befinde sich im "Bürgerkrieg", da es dort pro Tag "durchschnittlich 50 bis 60" Tote durch politisch motivierte Gewalt gebe.
US-Präsident George W. Bush dagegen erklärte, er finde den demokratischen Prozess nach den Wahlen im Irak Mitte Dezember "ermutigend". Bush verteidigte die Irak-Invasion erneut. Seine Regierung habe eine Strategie "zum Sieg im Irak". Der Sieg werde den Irak sicherer machen und Frieden für die kommenden Generationen bringen.
phw/AFP/AP