Iraks Armee und Kurden in Kirkuk Kampf um die Stadt des Öls

Irakische Armeekräfte am Südrand von Kirkuk
Foto: AHMAD AL-RUBAYE/ AFPSeit Mitternacht rollen die Panzer: Schwere Truppenverbände der irakischen Armee, der militärisch hochgerüsteten Nationalpolizei sowie der schiitischen Milizen haben mit ihrem Angriff auf die umstrittene Ölmetropole Kirkuk begonnen. Bis Montagmittag nahmen sie mehrere Stützpunkte der kurdischen Truppen, Ortschaften, Ölfelder und, so Zeugen, die Verbindungsstraße von Kirkuk zur kurdischen Hauptstadt Arbil ein.

Während die Regierung in Bagdad das Ausmaß der Offensive herunterspielt und verkündet, es habe keine Schusswechsel gegeben, berichten Augenzeugen anderes. Ein SPIEGEL-Mitarbeiter aus Kirkuk gab vor dem Zusammenbruch der Kommunikationsverbindungen in den Morgenstunden noch durch: "Wir hören seit Stunden schwere Explosionen vom südlichen Stadtrand. Die Stromversorgung ist zusammengebrochen, da ein wichtiges Kraftwerk zerstört wurde. Viele Menschen fliehen nach Norden. Viele Peschmerga." Die kurdischen Kämpfer hätten ihre Stellungen verlassen, "soweit ich das überschauen kann. Im Morgengrauen habe ich Kolonnen von ihnen in Richtung Sulimaniye fahren sehen", der zweiten Großstadt des kurdischen Autonomiegebiets.
Beide Seiten waren bis vor Kurzem eigentlich Verbündete im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS), aufgerüstet von den USA. Und beide Seiten beschießen einander seit der vergangenen Nacht mit amerikanischem Militärgerät. Um 7.49 Uhr Ortszeit vermeldete die kurdische Militärführung, "mindestens fünf US-Humvees" der irakischen Milizen zerstört zu haben.
Der dramatische Angriff kommt zwar nicht unerwartet - aber doch heftiger und früher, als viele vermuteten und wohl auch als Bagdad in Verhandlungen andeutete. Er ist die Antwort auf das Unabhängigkeitsreferendum vom 25. September in Irakisch-Kurdistan, das von sämtlichen Nachbarstaaten, den USA, Russland und der irakischen Zentralregierung abgelehnt wurde und selbst innerhalb der kurdischen Bevölkerung hochumstritten war. Aber Kurdenpräsident Masoud Barzani setzte sich durch, bekam nach Angaben der von ihm kontrollierten Wahlbehörde 92,7 Prozent der Stimmen für die vollständige Unabhängigkeit - und steht nun vor den Scherben seiner Politik.
Denn jetzt rächt sich, dass es in diesem Referendum eben nicht nur um den Status der traditionellen kurdischen Kerngebiete ging, sondern auch um jene Städte und Gebiete, die sich Kurdistans Autonomieregierung erst im Juni 2014 einverleibt hatte - im Windschatten des IS-Eroberungszugs durch den Westirak. Vor allem die damalige Besetzung der multiethnischen Ölstadt Kirkuk, die sowohl Kurden als auch Araber und Turkmenen für sich beanspruchen, wurde von Bagdad damals hingenommen, aber nie akzeptiert. Iraks Kurden nun abstimmen zu lassen über eine Stadt, die ihnen gar nicht gehört, war für Iraks Regierung unter Premier Haidar al-Abadi eine Kriegserklärung.
Schon in den vergangenen Wochen erfuhren die Menschen im Kurdengebiet, wie leicht sie wirtschaftlich und politisch zu strangulieren sind: Auf Druck aus Bagdad war eine internationale Fluglinie nicht mehr bereit, Arbil anzufliegen, sämtlicher Verkehr läuft nur noch über Bagdad. Und die Türkei behält sich vor, die einzige Pipeline zu sperren, über die Arbil bislang sein Öl exportiert. Ein Großteil dieses Öls wird bisher in den ergiebigen Ölfeldern südlich von Kirkuk gefördert. Aber diese Felder sind fast alle seit den Vormittagsstunden wieder in der Hand des angreifenden Truppen-Konsortiums.
Alte Brüche werden wieder sichtbar
Washington, seit 1991 Schutzgarant des kurdischen Autonomiegebiets, hatte vor dem Referendum in dramatischem Ton gewarnt. In den vergangenen Tagen beobachteten Augenzeugen immer wieder US-Jets über den vorrückenden irakischen Truppen. Aber nicht, um selbige zu stoppen, sondern um sie zu eskortieren. Das US-Außenministerium kommentierte in den Morgenstunden entsprechend: "Wir sind sehr besorgt über diese Konfrontation. Und wir unterstützen die friedliche, gemeinsame Verwaltung der umstrittenen Gebiete durch die kurdische und die Zentralregierung." Also das, was keine von beiden Seiten mehr will.
Während es in den Morgenstunden noch so aussah, als ob einige kurdische Einheiten im Inneren Kirkuks und in vorgelagerten Orten wie Tus Churmatu zur Verteidigung der Stadt entschlossen scheinen, sind andere kampflos abgezogen. Nach Aussagen von Bewohnern rollen seit den Nachmittagsstunden die irakischen Truppen auch durchs Stadtzentrum. Sämtliche Peschmerga seien geflohen, der Gouverneur - vehementer Verfechter einer kurdischen Machtübernahme - sei abgesetzt worden.
Für das Referendum war es Barzani gelungen, die Spaltung innerhalb Kurdistans mit den Beschwörungen kurdischer Unabhängigkeit zu übertünchen - gegen alle Warnungen, dass sich diese Form der Annexion Kirkuks durch die Hintertür nicht gegen den Rest der Welt durchsetzen lassen werde.
Im Kampf nun bricht die Kluft auf: Barzanis Partei, die KDP, versucht verzweifelt, weitere Truppen in Richtung Kirkuk zu schicken. Gleichzeitig kampflos abgezogen sind die Truppen der anderen großen Kurdenpartei, der PUK aus Sulimaniye, in der eine große Fraktion von vornherein gegen das Referendum gewesen war. Verlieren werden sie nun beide: Ohne Kirkuks Ölfelder ist Kurdistan in absehbarer Zeit pleite.