
Kämpfe vor Bagdad Iraks Sunniten paktieren mit Isis-Terroristen
Das Hauptquartier des größten sunnitischen Blocks im irakischen Parlament ist ein pompöses Vorzeigestück arabischer Prunkarchitektur: Kronenleuchter hängen von der perlmuttbesetzten Decke, Sofas thronen auf goldenen Löwenfüßen. "Alter Glanz", flüstert einer der Höflinge: Die Villa stammt noch aus der Zeit unter Saddam Hussein, der die wichtigsten Posten in seinem Herrschaftssystem mit Sunniten besetzte. Diese Zeit ist lange vorbei, heute lenkt die Mehrheit der Schiiten die Geschicke des Iraks.
Die Frage ist aber: Wie lange noch?
Vor zehn Tagen begann ein Verband sunnitischer Milizen unter der Führung der radikalislamischen Isis-Truppe seinen Marsch auf Bagdad. Iraks schiitischer Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat die Kontrolle über einen großen Teil des Landes verloren.
"Die Stämme und Isis verfolgen dasselbe Ziel"
Die Sunniten-Fraktion in ihrem Bagdader Prunkbau hingegen fühlt sich jetzt stündlich stärker: "Wir wollen nicht nur den Rücktritt Malikis, wir fordern das Ende der sektiererischen Politik, für die er steht", sagt Bahaa al-Nakschabendi, stellvertretender Generalsekretär der Islamischen Partei Iraks. Nakschabendi fordert eine Regierung der nationalen Einheit, die dann die Versöhnung des Landes vorantreiben soll.
Viele sunnitische Stämme im Norden des Landes haben sich auf die Seite der Isis-Rebellen geschlagen. "Die Stämme und Isis verfolgen dasselbe Ziel", räumt Alaa al-Obeidi ein, ein ehemaliger Brigadegeneral und Berater des Sunniten-Blocks im Parlament.
Der Zorn der Sunniten - sie machen etwa 35 Prozent der Bevölkerung zwischen Euphrat und Tigris aus - ist seit ihrer Niederlage im Bürgerkrieg nach der Absetzung Saddam Husseins stetig gewachsen. Sie beklagen, bei der Vergabe von Posten in der Verwaltung und vor allem bei Polizei und Militär diskriminiert zu werden. Tausende Sunniten werden ohne Anklage in irakischen Gefängnissen festgehalten, viele gefoltert, sagen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Bei friedlichen Demonstrationen starben in den vergangenen Jahren etliche Sunniten durch Polizeikugeln.

Deshalb hätten viele Sunniten nur darauf gewartet, den bewaffneten Kampf gegen die Zentralregierung aufzunehmen, sagt General a.D. Obeidi. Die Einmischung von Isis in den schwelenden innerirakischen Konflikt habe jetzt den nötigen Funken geschlagen. "Die Übernahme von Mosul war von einheimischen Stämmen vorbereitet. Isis hat die Sache dann nur noch ausgeführt." Die Rebellion der Isis sei in Wahrheit "die Revolte der Stämme", sagt Obeidi.
Die Zusammenarbeit der nordirakischen Sunniten mit Isis ist für beide Seiten von Nutzen. Die Stämme setzen auf die Angst des Westens vor dem Terror, für den Isis steht. Sie hoffen, dass die USA und Europa Maliki zum Rücktritt bewegen.
Für Isis ist die Koalition mit den Einheimischen eine Art Schutzschild: Sie mischen sich unter die nicht-islamistischen Sunniten-Stämme und hoffen, dass die USA darauf verzichten, Luftangriffe zu fliegen, um die sunnitische Bevölkerung nicht zu radikalisieren.
"Die Stämme werden Isis in Schach halten"
Derzeit wird um eine politische Lösung gerungen. Am Wochenende will Außenminister John Kerry zu einer Nahost- und Europa-Reise aufbrechen. Vertreter der irakischen Sunniten warnen, dass "eine Katastrophe" drohe, sollte sich Maliki einem Kompromiss verschließen.
Nur, wer garantiert, dass ein solcher Kompromiss möglich ist, solange Isis unter Waffen steht? "Die Stämme werden Isis in Schach halten, die haben Erfahrung mit al-Qaida", sagt der sunnitische Politiker al-Nakschabendi. Tatsächlich hatten die Stämme des Nordirak dem Isis-Vorläufer "Al-Qaida im Irak" in den Jahren 2007 und 2008 eine Abfuhr erteilt. Damals hatten die Stammesführer sich von den Extremisten, mit denen sie anfangs kooperiert hatten, abgewandt und einen Kompromiss mit den USA gesucht.
Die Lage ist brisant. Nach großen Gebietsverlusten und der Desertion Tausender Soldaten will die irakische Regierung laut Nachrichtenagentur Reuters den Vormarsch der Isis rund hundert Kilometer vor Bagdad stoppen. In dem Gebiet zog das Militär laut Regierungsmitarbeitern am Freitag frische Truppen zusammen.
An den Ölmärkten erreichten die Preise mit 115 Dollar pro Fass fast ein Neun-Monatshoch. Grund ist die Sorge vor Versorgungsengpässen. Zwar sind die Ölfelder im Süden Bagdads, von denen aus täglich 2,5 Millionen Fass in den Export gehen, von den Kämpfen nicht betroffen. Aber ausländische Firmen haben bereits begonnen, Personal abzuziehen. Seit März ist bereits der Export aus den nördlichen Ölfeldern zum Erliegen gekommen.