Irak-Debatte "Weder Lakai noch Verräter"
Paris - "Ich muss ihnen nicht sagen, dass ich das Regime im Irak verurteile", sagte Chirac in einem Interview mit der "New York Times". "Aber um die Angelegenheiten in der Welt zu regeln, bedarf es einiger Prinzipien und ein wenig Ordnung", fügte Frankreichs Staatspräsident hinzu und übte damit indirekt Kritik am harten Kurs von US-Präsident George W. Bush.
Einen Alleingang der USA gegen den Irak verurteilte Cirac scharf und fragte: "Wohin soll dieser Weg führen?". Er lehne "Unilateralismus in der modernen Welt vollkommen ab", sagte er. Der US-Präsident hatte in den vergangenen Tagen mit den anderen vier ständigen Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrates, Großbritannien, China, Russland und Frankreich über das weitere Vorgehen gegen Irak beraten.
Chirac schlägt nun vor, auf Uno-Ebene in zwei Stufen gegen Irak vorzugehen. Zunächst müsse der Uno-Sicherheitsrat Irak eine dreiwöchige Frist setzen, in der das Land einer bedingungslosen Rückkehr der Uno-Waffeninspektoren zustimmen soll.
Die Waffenkontrolleure hatten Irak im Dezember 1998 verlassen, weil sie in ihrer Arbeit massiv behindert worden waren.
Sollte Irak nicht auf diese Resolution reagieren, müsse der Uno-Sicherheitsrat eine weitere Resolution verabschieden, die auch ein militärisches Vorgehen zur Durchsetzung dieses Ziels vorsehe, fügte Chirac hinzu.
Unklare französische Position
Aber erst nach dieser zweiten Resolution werde Frankreich als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat definitiv seine Position deutlich machen. Damit ließ Chirac die Frage offen, ob sich Paris an einer militärischen Aktion beteiligen könnte.
Der Sicherheitsrat oder die internationale Gemeinschaft hätten nicht das Recht, das Regime in Bagdad auszuwechseln, sagte Chirac. "Das kann man wünschen, und ich wünsche das natürlich." Das einzige Ziel sei es vielmehr, "dass die Waffeninspekteure frei und ohne jede Einschränkungen und Bedingungen" dort arbeiten könnten.
Dabei militärisch vorzugehen sei nicht ausgeschlossen, aber nur, wenn der Beschluss von der internationalen Gemeinschaft auf der Basis zweifelsfreier Beweise erfolge. Im Moment gebe es aber weder Beweise noch Beschlüsse, sagte Chirac.
Warnung vor Präventivschlag
Die von US-Vizepräsident Dick Cheney ins Gespräch gebrachte Möglichkeit eines Präventivschlags gegen Irak bezeichnete Chirac dagegen als außerordentlich gefährlich. Was wäre, wenn China präventiv gegen Taiwan vorgehen würde, mit der Begründung, Taiwan bedrohe das Land? Oder wenn Indien präventiv Pakistan angreifen würde oder umgekehrt, fragte Chirac. "Wie würden dann die Amerikaner, Europäer und andere reagieren?"
Chirac war am Wochenende mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammengekommen. Chirac hatte bei dem Treffen die Beteiligung an einer militärischen Aktion gegen den Irak nicht ausgeschlossen. Frankreich sei aber weder Lakai noch Verräter der Vereinigten Staaten, betonte Chirac, sondern stehe nach wie vor als guter Freund an der Seite der USA.
In der Irak-Frage sei es aber nicht so, dass gegenwärtig "Schröder und ich auf der einen Seite stehen und Bush und Blair auf der anderen; es sind Bush und Blair auf der einen und alle anderen auf der anderen Seite", zitiert die "New York Times" Chirac.
Auch Kanada geht auf Distanz
Auch das amerikanische Nachbarland Kanada ist unterdessen von einer rückhaltlosen Unterstützung des US-Kurses abgerückt. Nach den Worten des stellvertretenden Ministerpräsidenten John Manley werde sich Kanada nicht an einem militärischen Präventivschlag beteiligen, weil die Beweise nicht ausreichten, dass der Irak - wie von den USA behauptet - Massenvernichtungswaffen entwickele.
Neuseeland nahm unterdessen eine ähnliche Position wie Frankreich ein. Die Entscheidung über einen möglichen Angriff auf den Irak sollte nach Ansicht der neuseeländischen Regierung von den Vereinten Nationen getroffen werden. Bislang lägen aber keine überzeugenden Beweise vor, die einen Militärschlag rechtfertigen würden, erklärte Ministerpräsidentin Helen Clark am Montag in Wellington. Ihr Land sei gegen eine einseitige Intervention in Irak. Sollten sich die Uno allerdings für eine Intervention aussprechen, würde sich Neuseeland bemühen, dazu etwas beizutragen, sagte Clark.
Holland sieht Angriff als "letztes" Mittel
Die niederländische Regierung würde eine Militäraktion zur Entmachtung des irakischen Staatschefs Saddam Hussein nur "als letztes Mittel" unterstützen, erklärte Ministerpräsident Jan-Peter Balkenende am Montag. Sollte sich aber herausstellen, dass Saddam Hussein tatsächlich über Massenvernichtungswaffen verfüge, müsse er schwer getroffen werden, zitierte die Zeitung "Het Parool" Balkenende.
In diesem Punkt könne dem Machthaber nicht vertraut werden. Auch eine bewiesene Verbindung zwischen dem Terrornetzwerk al-Qaida und dem Irak würde laut Balkenende ausreichen, "den Kampf gegen den Terrorismus auf den Irak auszuweiten".
Spanien kritisiert Schröder
Spaniens konservative Regierung ging unterdessen auf Distanz zu Bundeskanzler Gerhard Schröders Irak-Position. Madrid teile nicht die Haltung der Bundesregierung, einen Militäreinsatz gegen den Irak grundsätzlich abzulehnen, sagte die spanische Außenministerin Ana Palacio am Montag dem Fernsehsender Telecinco.
Spanien trete dafür ein, alle Möglichkeiten der Diplomatie auszuschöpfen. Wenn dies keinen Erfolg habe, müsse entschieden werden, ob militärische Gewalt angewandt werde. Man dürfe die Gewalt aber nicht von vornherein ausschließen. Der irakische Staatschef Saddam Hussein sei ein "blutrünstiger Diktator", der gegen neun Resolutionen der Vereinten Nationen verstoße. "Wenn wir wollen, dass die Uno funktionieren, müssen wir dafür sorgen, dass die Resolutionen respektiert werden", sagte die Ministerin.
Bush-Erklärung am Donnerstag
US-Präsident Bush, der erklärtermaßen die Regierung von Präsident Saddam Hussein stürzen will, will am Donnerstag vor den Vereinten Nationen in New York seine Irak-Politik darlegen.