Irak-Krieg "Wir haben bislang nur den ersten Teil des Horrorfilms gesehen"
Iraks Außenminister und der Vertreter Washingtons in Bagdad schlagen Alarm: Bei einem Teil-Rückzug der US-Truppen könnte das Land vollends in Terror und Gewalt versinken. Auch die Nachbarstaaten könnten in den Krieg hineingezogen werden.
Bagdad/Washington - Noch mehr Chaos, noch mehr Gewalt, noch mehr Tote: Das wären die Konsequenzen eines vorzeitigen Rückzugs aus dem Irak, glauben US-Botschafter Ryan C. Crocker und Iraks Außenminister Hoschjar Sebari einem Bericht der "New York Times" zufolge. Eine solche Entscheidung könne das Land in eine noch viel tiefere Krise stürzen. Gestern hatten sowohl die "NYT" als auch die "Washington Post" berichtet, dass man im Weißen Haus inzwischen erwäge, einen Teil der US-Truppen bald zurückzuholen.
US-Soldaten im Irak: Diskussionen über Truppenrückzug
Crocker soll gemeinsam mit dem Befehlshaber der US-Streitkräfte im Irak, General David. H. Petraeus, im September einen ausführlichen Bericht zur Lage in dem Land und die politischen Fortschritte vorlegen. Bisher hatte Präsident Bush gehofft, die Diskussion über einen grundsätzlichen Strategiewechsel bis dahin unterdrücken zu können.
Iraks Außenminister Sebari warnte, die irakischen Streitkräfte seien noch nicht in der Lage, selbst die Verantwortung im Irak zu übernehmen. Ein verfrühter Rückzug der US-Truppen könne das Ende der staatlichen Einheit des Irak bedeuten und einen schlimmeren Bürgerkrieg oder einen regionalen Krieg nach sich ziehen. "Wir halten die Gefahr für gewaltig", sagte Sebari der "NYT" zufolge.
Weißes Haus dementiert Berichte
Unterdessen bemühte sich das Weiße Haus, Berichte über einen vorzeitigen Rückzug zu widerlegen. Präsidenten-Sprecher Tony Snow sagte laut der englischen Zeitung "The Times", es sei noch zu früh, über einen Truppenabzug zu reden. "Erwarten Sie nicht, dass wir den Schleier heben und eine völlig andere Strategie haben", sagte Snow der "NYT" zufolge.
Wie die Zeitung ebenfalls berichtet, versucht Bush nun, kritische Senatoren aus seiner Republikanischen Partei wieder einzufangen. John W. Warner, Chef des Militär-Ausschusses im Senat, wurde demnach zu vertraulichen Gesprächen ins Weiße Haus eingeladen. Außer Warner hatten in den vergangenen Tagen eine Reihe prominenter Republikaner öffentlich mit der Irak-Politik des Präsidenten gebrochen - darunter einflussreiche Senatoren wie Lamar Alexander, Richard Lugar und Chuck Hagel.
Die "New York Times" hatte berichtet, Bush und seine engsten Berater fürchteten inzwischen, auch noch die wenigen verbliebenen Unterstützer ihrer Irak-Politik zu verlieren. "Wenn man diejenigen Stimmen zählt, die wir verloren haben, und jene, die wir über die nächsten paar Wochen verlieren werden, sieht es ziemlich finster aus", zitierte sie einen hohen Regierungs-Beamten. US-Verteidigungsminister Robert Gates habe angesichts des wachsenden Drucks sogar eine geplante Südamerikareise kurzfristig abgesagt.
flo/dpa