Irak-Nordfront US-Truppenaufmarsch brüskiert türkisches Parlament
Kiziltepe - Arinc kritisierte die Aktivitäten der Amerikaner am Sonntag als Missachtung des Parlaments. Die Fernsehbilder störten ihn ungemein, wurde der Politiker am Sonntag in der türkischen Presse zitiert. Dieser habe die Abgeordneten der Opposition, die sich ebenfalls beunruhigt gezeigt hätten, aufgefordert, die Kontrollmechanismen des Parlaments in Gang zu setzen.
Nach einem Bericht der türkischen Zeitung "Cumhurriyet" sorgte darüber hinaus ein Zwischenfall in Iskenderun am Samstag für Irritationen: Am Ausgang des Hafen-Zollbereichs sollen sich plötzlich 700 amerikanische Soldaten und Einheiten der türkischen Armee einander gegenüber gestanden haben. Die türkische Armee habe sie daraufhin entwaffnet und zum Umkehren gezwungen.
Die US-Botschaft in Ankara versuchte derweil, die Sache herunterzuspielen. Es handele sich lediglich um militärisches Material und Soldaten, nicht um Kampftruppen. Deshalb sei auch nicht gegen das Parlamentsvotum verstoßen worden.
Stützpunkt direkt an der Granze zum Nordirak
Arincs Kritik bezieht sich insbesondere auf einen neuen Stützpunkt, mit dessen Aufbau die US-Streitkräfte nahe der irakischen Grenze begonnen haben. Die Anlage soll als logistische Basis für 62.000 US-Soldaten dienen, falls das türkische Parlament doch noch einer Stationierung zustimmt. Der Stützpunkt, den die Türkei vor zwei Monaten genehmigt hatte, liegt nach offiziellen Angaben etwa 160 Kilometer von der Grenze entfernt.
Etwa 30 Lastwagen mit Geländefahrzeugen und Ausrüstungsgegenständen hatten am Sonntag den türkischen Hafen Iskenderun verlassen und sollten 15 Stunden später den Stützpunkt erreichen. An der Operation sind 3500 Soldaten beteiligt. Ein ziviler Flughafen befindet sich wenige Kilometer von dem neuen Stützpunkt entfernt, direkt davor verläuft die wichtigste Straße in Richtung irakische Grenze.
Auch die türkische Armee bereitet sich auf eine Offensive vor
Ungeachtet des Neins des türkischen Parlaments zu einem Offensivkrieg gegen den Irak treibt aber auch die türkische Armee selbst ihre militärischen Vorbereitungen voran. Am Sonntag wurden Panzer in den Nordirak verlegt, wie der Nachrichtensender NTV berichtete. Die Panzer seien am Übergang Habur auf Sattelschleppern über die Grenze gebracht worden.
Der Konvoi hat demnach unter strenger Bewachung von Sicherheitskräften der Demokratischen Partei Kurdistans die Kleinstadt Dohuk passiert und einen türkischen Stützpunkt auf nordirakischem Gebiet angesteuert. Über die genaue Zahl der Panzer machte der Sender keine Angaben.
Die Türkei hatte in den vergangenen Tagen rund 500 Militärfahrzeuge, Panzer und anderes militärisches Gerät an die Grenze zum Irak verlegt. Der türkische Generalstab bezeichnete den Aufmarsch als Vorsorgemaßnahme.
Das Parlament der Türkei hatte in der vergangenen Woche den Wunsch nach einer Stationierung von US-Kampftruppen im Land abgewiesen. Die Regierung hatte bereits angedeutet, gegenenfalls eine neue Entscheidung herbeizuführen.
Regierungsumbildung könnte Weg in den Krieg eröffnen
Heute abgeschlossene Nachwahlen zum türkischen Parlament könnten die Entscheidung beschleunigen. Der Vorsitzende der türkischen Regierungspartei AKP, Recep Tayyip Erdogan, ist am Sonntag zum Abgeordneten gewählt worden und kann damit Ministerpräsident werden. Bei der Nachwahl in der südosttürkischen Provinz Siirt kam Erdogans Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) nach dem vorläufigen Ergebnis auf 84,7 Prozent der Stimmen und holte damit alle drei Mandate - zwei mehr als bei der Parlamentswahl im November 2002.
Mit der Wahl Erdogans zeichnet sich in der Türkei eine Neubildung der Regierung ab. Bei der Parlamentswahl im vergangenen November hatte Erdogan seine AKP an die Macht geführt. Er selbst hatte wegen einer Vorstrafe nicht kandidieren dürfen. Mit Verfassungs- und Gesetzesänderungen ebnete die AKP-Regierung ihrem Vorsitzenden den Weg in öffentliche Ämter.
Beobachter rechnen damit, dass Ministerpräsident Abdullah Gül noch in dieser Woche seinen Rücktritt einreicht und Erdogan dann eine neue Regierung bilden wird. Es wird angenommen, dass sich Erdogan für eine erneute Abstimmung im Parlament zur Frage der Stationierung von US-Truppen einsetzen wird. Nach türkischen Medienberichten dürfte er eine Regierungsumbildung dazu nutzen, Kabinettsmitglieder, die sich gegen die US-Stationierung gewandt hatten, zu ersetzen.
Die türkische Militärführung hatte sich in der vergangenen Woche nachdrücklich für eine Unterstützung der USA eingesetzt, um die bei einem Krieg zu befürchtenden ökonomischen Verluste zu begrenzen und die nationalen Interessen im Nordirak durchzusetzen.