Bis vor wenigen Tagen galt Muktada al-Sadr als einer der gefährlichsten Widersacher der Besatzungsmächte. Jetzt spekuliert er auf eine politische Karriere nach der Machtübergabe im Irak und zügelt deshalb seine Anhänger. Heute rief Sadr die Mitglieder seiner Miliz dazu auf, die Stadt Nadschaf zu verlassen.
Nadschaf - In einer Erklärung rief Sadr die Milizsoldaten heute auf, nach Hause zu gehen und dort wieder ihren normalen Pflichten nachzukommen. Die Mahdi-Miliz des Schiitenführers hatte sich in der heiligen Stadt Nadschaf und in Kerbala wochenlang Gefechte mit den US-geführten Besatzungstruppen geliefert.
Anfang des Monats stimmte Sadr dann einer Waffenruhe zu, nachdem sich die US-Streitkräfte bereit erklärt hatten, sich aus Nadschaf zurückzuziehen und die Verantwortung für die Sicherheit in der Stadt der lokalen Polizei zu übertragen. In der Stadt trafen heute weitere 475 Soldaten der neuen irakischen Armee ein, die zusammen mit der Polizei für Sicherheit in der Stadt sorgen sollen.
Der irakische Übergangspräsident Ghasi al-Jawir hatte am Vortag gesagt, Sadr könne in die Politik gehen, wenn er seine Miliz auflöse. US-Präsident George W. Bush kündigte gestern in Washington an, einen möglichen Wechsel Sadrs in die irakische Politik nicht blockieren zu wollen.
Nach der Ermordung von sechs Schiiten in der westirakischen Aufständischen-Hochburg Falludscha wies unterdessen ein sunnitischer Religionsgelehrter die Schuld für die Bluttat zurück. "Ich wusste nichts von der Tötung dieser jungen Männer", sagte Scheich Abdullah al-Dschanabi gestern Abend in Falludscha. Zuvor hatten Demonstranten Bilder der verstümmelten Leichen gezeigt und al-Dschanabi sowie einem zweiten Religionsgelehrten aus der von Sunniten dominierten Stadt mit Rache gedroht.
Die Männer waren vor rund einer Woche in Falludscha verstümmelt und getötet worden. Al-Dschanabi betonte, er habe die Bluttat nicht angeordnet. Die sechs Männer hätten als Fahrer für die US-Besatzungsarmee "Alkohol transportiert und andere unreine Geschäfte getätigt". Sie seien von den "Gotteskriegern" aus Falludscha mehrfach gewarnt worden, hätten aber nicht darauf reagiert.
24 Tote durch willkürliche Gewalt
Mehrere Akte willkürlicher Gewalt haben heute zudem zwei Ortschaften im Süden von Bagdad erschüttert. In einem Bach bei al-Latifiya, rund 30 Kilometer südlich der Hauptstadt, starben 18 Männer und Jugendliche durch einen Stromschlag, als Unbekannte ein großes Kabel ins Wasser legten. Wie der Arzt Ali Abdel Hussein im Krankenhaus von al-Latifiya erklärte, hatten die Arbeiter an einer Kampagne zur Beseitigung schädlicher Wasserpflanzen teilgenommen. Anwohner vermuteten, Aufständische hätten die Arbeiter wegen angeblicher Zusammenarbeit mit den Besatzern getötet, weil derartige Kampagnen meist von der US-Zivilverwaltung organisiert würden.
Sechs weitere Zivilisten wurden am Morgen nach Angaben von Ärzten in der nahe gelegenen Ortschaft Haswa bei zwei Angriffen von Unbekannten in ihren Autos erschossen, ohne dass zunächst ein Motiv ersichtlich gewesen wäre.