Hinrichtungsszenen Iraks Regierung blockiert Massaker-Bilder im Internet

Propagandamaterial: Angebliche Verhaftung von Soldaten durch ISIS-Kämpfer
Foto: DPA/ WELAYAT SALAHADDENBagdad - Im Kampf gegen die islamistische Terrorgruppe ISIS versucht die irakische Regierung offenbar, Teile des Internets zu blockieren. Martin Frank, Chef des im Irak tätigen Providers IQ Network, sagte der Nachrichtenagentur AP, die Behörden hätten die Sperrung von Seiten wie YouTube, Facebook und Twitter angeordnet. Am Sonntag seien die Vorgaben verschärft worden. In von ISIS-Rebellen eingenommenen Städten wie Mossul wurde der Internetverkehr laut Frank komplett unterbrochen.
Die Gruppe "Islamischer Staat im Irak und der Levante", kurz ISIS, hatten in den vergangenen Tagen eine Provinz und Teile von drei weiteren Provinzen im Norden des Irak eingenommen. ISIS nutzt das Internet für Propaganda: Nach eigenen Angaben hat ISIS Hunderte von Soldaten hingerichtet. Am Sonntag im Internet verbreitete Fotos zeigen Dutzende Leichen. Die Echtheit der Bilder, die in der Provinz Saleheddin nördlich von Bagdad gemacht worden sein sollen, konnte nicht überprüft werden. Bereits am Donnerstag hatte ISIS auf Twitter behauptet, 1700 irakische Soldaten getötet zu haben.
Wenig Widerstand durch Sicherheitskräfte
Eines der veröffentlichten Fotos zeigt eine Reihe gefesselter Männer in Zivilkleidung mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Auf einem zweiten Bild werden die Männer auf Lastwagen geladen. Auf einem weiteren Foto ist zu sehen, wie die Männer gezwungen werden, sich in einer flachen Grube auf den Boden zu legen, während Kämpfer mit der ISIS-Fahne zuschauen. Dann wird gezeigt, wie die mit Sturmgewehren bewaffneten ISIS-Kämpfer offenbar in die Grube feuern. Am Samstag hatten irakische Sicherheitskräfte bei der Rückeroberung der Stadt Ischaki nördlich von Bagdad die verkohlten Leichen von zwölf Polizisten entdeckt, die offenbar von ISIS-Kämpfern getötet worden waren.
Die irakischen Sicherheitskräfte hatten ISIS zunächst wenig Widerstand entgegengesetzt. Inzwischen konnte die Gruppe von Soldaten, Freiwilligen und kurdischen Peschmerga-Truppen gebietsweise zurückgeschlagen werden. Die Armee vermeldete die Rückeroberung dreier Städte nahe Bagdad. Zudem hieß es aus Armeekreisen, eine größere Offensive gegen die radikalsunnitische Gruppierung werde vorbereitet.
Im Nordwesten des Irak haben nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Augenzeugen ISIS-Kämpfer die Stadt Tal Afar eingenommen. Vorausgegangen waren Kämpfe mit Sicherheitskräften, berichteten Bewohner in Telefonaten am Sonntagabend.
Tal Afar liegt in der Grenzregion zu Syrien, mehr als 200.000 Menschen leben hier. Die Lage sei desaströs, es habe heftige Gefechte gegeben, sagten örtliche Behördenvertreter. Die meisten Familien seien in ihren Häusern gefangen, vielen Zivilisten drohe der Tod.
ISIS meldet Angriff auf Militärbasis
Die Dschihadisten meldeten hingegen einen Angriff auf die nur 25 Kilometer nördlich von Bagdad gelegene Armeebasis Tadschi. Sie gehört zu den größten Militärstützpunkten des Irak. In den vergangenen Tagen hatten sich dort Tausende Freiwillige gemeldet, um gegen die ISIS zu kämpfen.
Bei heftigen Gefechten kamen mehr als 30 Menschen ums Leben, darunter mindestens zehn Zivilisten. Auch in Bagdad starben bei Selbstmordanschlägen mindestens 20 Menschen. Experten warnten vor einem Kollaps des multiethnischen Staates Irak - mit Erschütterungen weit über die Krisenregion Nahost hinaus.
Als Reaktion auf die Eskalation verschärften die USA die Sicherheitsbestimmungen ihrer Botschaft in Bagdad. Sicherheitskräfte sollen das Personal schützen, ein Teil der Belegschaft wechselt an andere Standorte.
Außerdem sind amerikanische Kriegsschiffe auf dem Weg in den Persischen Golf. Der Flugzeugträger USS "George H.W. Bush" wurde von einem Lenkwaffenkreuzer und einem Zerstörer begleitet. Damit solle Präsident Barack Obama zusätzliche Flexibilität gegeben werden, sollte ein Militäreinsatz nötig werden, um US-Interessen im Irak zu schützen, erklärte das Verteidigungsministerium. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wolle am Montag mit der türkischen Regierung in Ankara die Bedrohungslage besprechen.
Der iranische Präsident Hassan Rohani zeigte sich offen für eine Zusammenarbeit mit den USA im Kampf gegen die ISIS. Allerdings müsse die Initiative von den Amerikanern ausgehen. US-Außenminister John Kerry betonte in einem Telefonat mit seinem irakischen Kollegen Hoschiar Sebari, Hilfe durch die USA würde nichts bringen, solange die verschiedenen Gruppen im Irak nicht ihre Differenzen überwänden und zur nationalen Einheit fänden.
Blair fordert Westen zum Eingreifen auf
Der frühere britische Premierminister Tony Blair sprach sich dafür aus, dass der Westen mit dem Einverständnis der arabischen Welt gegen Islamisten in Irak und Syrien vorgehen solle. "Man kann weiter darüber diskutieren, ob wir 2003 das Richtige oder Falsche getan haben, aber es wird immer das Problem tiefer Instabilität in der Region geben", sagte Blair dem Sender Sky News. Der damalige US-Präsident George W. Bush hatte im März 2003 ohne Mandat der Vereinten Nationen den Einmarsch in den Irak angeordnet. Zu seiner "Koalition der Willigen" gehörte auch das damals von Blair regierte Großbritannien. Nach achtjähriger Besatzung verließen Ende 2011 die letzten US-Soldaten den Irak.
US-Präsident Obama hatte eine Rückkehr von US-Kampftruppen in das Land ausgeschlossen. Andere militärische Mittel hielt er sich aber offen. Die oppositionellen Republikaner riefen Obama zu einem entschiedeneren Vorgehen auf. John McCain, einflussreicher Senator aus Arizona, drängte Obama zu sofortigen Luftangriffen, um den Vormarsch der Dschihadisten zu stoppen.
Die sunnitische ISIS kämpft gegen Schiiten, die sie als "Abweichler" von der wahren Lehre des Islams ansieht. Kritiker werfen dem schiitischen irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki vor, über Jahre die sunnitische Minderheit im Land diskriminiert und damit zu einer Spaltung des Irak beigetragen zu haben. Die Sunniten waren früher die Machtbasis des Diktators Saddam Hussein, der wiederum Schiiten brutal unterdrückte.