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Irans Ultimatum im Atomstreit Rohani gibt Europa 60 Tage

Irans Präsident setzt auf Eskalation - und den Europäern eine Frist: Deutschland, Frankreich und Großbritannien sollen binnen zwei Monaten das Atomabkommen retten. Er droht, sonst Flüchtlinge und Drogen aus Afghanistan durchzuwinken.

Genau ein Jahr hat sich Iran Zeit gelassen, um auf die Aufkündigung des Atomabkommens (JCPOA) durch Donald Trump zu reagieren. Obwohl der US-Präsident am 8. Mai 2018 den Ausstieg der Vereinigten Staaten aus dem Deal verkündete, hat sich Teheran bislang weiterhin an die Vereinbarung gehalten - das hat die Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) in bislang 14 Berichten bestätigt.

Damit soll nun Schluss sein. Iran steigt zwar nicht aus dem Deal aus, will aber zwei Punkte aus der Vereinbarung mit Deutschland sowie den Uno-Vetomächten China, Russland, Großbritannien und Frankreich in den nächsten 60 Tagen nicht länger umsetzen. Das kündigte Präsident Hassan Rohani am Mittwoch in einem Schreiben an die anderen Vertragspartner sowie in einer TV-Ansprache an.

Konkret geht es um die Verpflichtung, nicht mehr als 300 Kilogramm Uran zu besitzen, das auf 3,67 Prozent angereichert ist. Der Überschuss, der bei der Urananreicherung in der Nuklearanlage Natans anfällt, wurde bisher an Drittländer verkauft. Diesen Verkauf setzt Iran nun für zwei Monate aus. Zudem will sich das Land laut Rohani vorerst nicht mehr an das Verbot halten, mehr als 130 Tonnen Schwerwasser zu behalten, das in Atomreaktoren eingesetzt wird.

Iranische Atomanlage Bushehr

Iranische Atomanlage Bushehr

Foto: Majid Asgaripour/REUTERS/ Mehr News Agency

Rohani: Handeln im rechtlichen Rahmen des JCPOA

Die angekündigten Maßnahmen sind relativ milde Verletzungen des JCPOA. Rohani hätte etwa die IAEA-Inspektoren aus dem Land werfen oder den Bau neuer Zentrifugen zur Urananreicherung verkünden können. Damit hätte er das Signal ausgesendet, dass er die schnelle Wiederaufnahme des Atomprogramms auf den Umfang vor Inkrafttreten des Deals 2015 anstrebt.

Zudem spricht manches dafür, dass Iran auch nach dem Ende der 60-Tages-Frist die im JCPOA festgelegten Grenzwerte einhält. Am 19. Februar besaß Teheran nach Angaben der IAEA gerade einmal 163,8 Kilogramm auf 3,67 Prozent angereicherten Urans und 124,8 Tonnen Schwerwasser.

Rohani betont, dass er in Übereinstimmung mit dem JCPOA handele - er beruft sich auf die Artikel 26 und 36 des Dokuments . In Artikel 26 ist festgeschrieben, dass Iran bei einer Wiedereinsetzung von Sanktionen aufhören werde, seine Verpflichtungen gemäß dem JCPOA ganz oder teilweise umzusetzen. Artikel 36 sieht vor, dass die Gemeinsame Kommission des JCPOA - ein Gremium, in dem die Außenminister der Unterzeichnerstaaten vertreten sind - nun über den Streit beraten und eine Lösung finden soll.

Lippenbekenntnisse der Europäer?

Der Präsident nimmt Russland und China von seiner Kritik aus. Außenminister Zarif suchte während der Ankündigung seines Regierungschefs sogar demonstrativ den Schulterschluss mit dem Kreml. Er besuchte am Mittwoch Moskau und betonte: "Iran betrachtet die fünf Vertragsstaaten unterschiedlich." Teheran setzt darauf, dass Russland und China im Uno-Sicherheitsrat weitere Strafmaßnahmen gegen Iran mit ihrem Veto verhindern.

Stattdessen nimmt Rohani in erster Linie die Europäer in die Pflicht. Deutschland, Frankreich und Großbritannien hätten zwar immer wieder betont, dass sie trotz des US-Rückzugs aus dem JCPOA an dem Atomabkommen festhalten wollten - das seien jedoch nicht mehr als Lippenbekenntnisse gewesen.

Das Kernproblem ist: Trump erließ nach seinem Rückzug aus dem Deal die in seinen Worten "schärfsten Sanktionen aller Zeiten". Sie richten sich vor allem gegen die iranische Ölindustrie und andere ausgewählte Sektoren - und können jeden treffen, der mit Teheran Handel treibt.

Eigentlich dürfen europäische Unternehmen alle Waren, die nicht den Sanktionen unterliegen, weiter nach Iran exportieren. Allerdings lehnen fast alle Banken in Europa ab, den Zahlungsverkehr für solche Geschäfte abzuwickeln - aus Angst, sie könnten in den USA bestraft werden. "Overcompliance" von Sanktionen nennen das EU-Diplomaten: Übererfüllung.

60 Tage werden kaum reichen

Zwar haben die Regierungen in Berlin, Paris und London im Februar die Zweckgesellschaft Instex gegründet, die europäische Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen nach Iran vor US-Sanktionen schützen soll. Instex soll eine Art Tauschbörse sein, in der die Forderungen von iranischen und europäischen Unternehmen miteinander verrechnet werden. Geld, das Iran zum Beispiel für Öllieferungen nach Europa in Rechnung stellt, könnte direkt an europäische Firmen fließen, die Produkte nach Iran verkaufen. Doch vier Monate nach der Gründung ist Instex immer noch nicht operational tätig.

Rohani setzt den Europäern nun ein Ultimatum: "Wenn unsere Hauptinteressen, besonders Ölverkauf und die Aufhebung der Sanktionen, binnen 60 Tagen erfüllt werden, kehren wir in die vorherige Situation zurück", verkündete der iranische Regierungschef. Allerdings dürfte diese Zeitspanne kaum reichen, um Teherans Forderungen zu erfüllen.

Er beklagt, dass derzeit nur die Europäer von dem Abkommen profitierten: "Wir werden nicht zulassen, dass die USA den Deal in einen Win-Lose-Deal verwandeln. Das JCPOA ist entweder ein Win-Win-Deal oder ein Lose-Lose-Deal."

Iran hat Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen

Recht unverhohlen drohte der iranische Präsident den Europäern. "Wir unternehmen große Anstrengungen gegen den Drogenschmuggel und haben die Flutwelle von Flüchtlingen nach Europa gestoppt. Das hat uns Milliarden Dollar gekostet, und wir können nicht länger dafür aufkommen angesichts der Bedingungen, die die USA geschaffen haben", sagte Rohani in seiner Rede.

Tatsächlich ist Iran das wichtigste Transitland für Heroin und andere Drogen, die aus Afghanistan nach Europa geschmuggelt werden. Vor allem aber hat Teheran rund drei Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Angesichts der verheerenden Wirtschaftslage in Iran - maßgeblich eine Folge der US-Sanktionen - wächst im Land der Druck auf die Regierung, eine Lösung für dieses Problem zu finden.

Zehntausende Afghanen sind wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation, aber auch wegen des immer feindseligeren gesellschaftlichen Klimas gegen Flüchtlinge in Iran in den vergangenen Monaten in ihr Heimatland zurückgekehrt. Viele andere könnten jedoch versuchen, nach Europa zu gelangen - mit Billigung oder gar aktiver Unterstützung des iranischen Regimes.

Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel wäre das eine Horrorvorstellung.

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