Geheimdienst über Atompläne Israels angeblicher Iran-Scoop - und was dahintersteckt

Benjamin Netanyahu
Foto: AMIR COHEN/ REUTERSAlles war vorbereitet - eigentlich: Die Kameras des israelischen Fernsehens liefen, Benjamin Netanyahu trat an sein Rednerpult, schwarzer Anzug, weißes Hemd, blaue Krawatte, der Blick entschlossen. Er sprach live über Irans Atomprogramm - aber niemand hörte ihn. Die Technik. Das Ansteckmikrofon funktionierte nicht, der Premier entkabelte sich sichtlich genervt selbst und bekam ein Handmikrofon gereicht.
Dann präsentierte er den jüngsten und zweifellos spektakulären Erfolg des Mossad: Demnach hat der israelische Auslandsgeheimdienst 55.000 Aktenseiten und 183 CD-Datenträger - der Großteil davon auf Farsi verfasst - aus einer Lagerhalle in der iranischen Hauptstadt Teheran gestohlen.
Der "New York Times" zufolge sollen Mossad-Spezialisten nach rund elf Monaten Überwachung im Januar dieses Jahres in einer nächtlichen Geheimaktion das Material des sogenannten Atom-Archivs entwendet haben. Netanyahu war sichtlich stolz. In seiner Powerpoint-Präsentation, in der er lediglich zu Beginn und zum Schluss auf Hebräisch, ansonsten auf Englisch sprach, warf er Iran vor, weiter den Bau einer Atombombe anzustreben.
Das Regime in Teheran habe die Dokumente und Unterlagen zur Entwicklung von Atomwaffen versteckt, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu nutzen, sagte er. Sein Fazit: "Iran hat gelogen." Die Islamische Republik könne jederzeit sein Atomprogramm wieder aktivieren.
Die EU reagierte zurückhaltend auf Netanyahus Äußerungen vom Montagabend. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erklärte, es gebe keine "glaubwürdigen Hinweise" auf ein iranisches Atomwaffenprogramm nach 2009. Ein ungenannter hochrangiger deutscher Diplomat sagte Barak Ravid, Journalist beim israelischen TV-Kanal 10, noch am Montagabend, Israels Ministerpräsident habe nichts über das iranische Atomprogramm gesagt, was der deutschen Regierung nicht bereits bekannt gewesen wäre.
"Für Trump war das fabelhaft"
Auch Eyal Zisser sagt, Netanyahu habe keine neuen Beweise vorgelegt. Zisser ist Vizerektor der Universität Tel Aviv und forscht seit fast drei Jahrzehnten zum Nahen Osten. Der israelische Premier habe bei seiner Rede einerseits die eigenen Wähler im Blick gehabt, schließlich könne er mit dem Thema Iran von den zahlreichen Polizeiermittlungen gegen ihn ablenken.
Andererseits ist Israel seiner Meinung nach im Konflikt mit Iran "vollständig" von den USA abhängig. Deshalb habe Netanyahu vor allem eine Person mit seiner Pressekonferenz, die Zisser eine Show nennt, ansprechen wollen: US-Präsident Donald Trump. Er wird am 12. Mai entscheiden müssen, ob die USA den Atom-Deal ihrerseits aufkündigen oder nicht.
Da könnte Netanyahus TV-Vortrag als Entscheidungshilfe gedacht gewesen sein. "Ich bin mir sicher, dass Trump nicht all diese Geheimdokumente lesen will. Für ihn war das fabelhaft - Netanyahu erklärte ihm in einfachem Englisch das Material und zog ein Fazit", sagt Zisser.
Einen Austritt der Vereinigten Staaten aus dem Atom-Deal, den Netanyahu sich wünscht und Trump erwägt, hält Zisser für falsch. Er plädiert dafür, Änderungen vorzunehmen, etwa das Raketenprogramm Irans zu sanktionieren, ebenso die Aufrüstung schiitischer Milizen im gesamten Nahen Osten, nicht aber den Atom-Deal aufzukündigen. Selbst Israels Generalstabschef Gadi Eizenkot erklärte noch im April - drei Monate, nachdem der Mossad das "Atom-Archiv" gestohlen hatte - im Interview mit der Tageszeitung "Haaretz", dass der Vertrag trotz seiner Schwächen gegenwärtig funktioniere.
Ein Krieg mit Iran wird in Israel immer ernster diskutiert
Meir Javedanfar, Autor und Iran-Analyst am Forschungsinstitut IDC in Herzlija, warnt ebenfalls vor voreiligen Entscheidungen. "Dieser Deal ist gut für die Sicherheit des Staates Israel", sagt er. "Iran wird gegenwärtig wie kein anderes Land von der IAEA kontrolliert." Außerdem gebe es keine andere realistische Option, mit Iran weiter verhandeln zu können, wenn die USA den Atomvertrag aufkündigen. Die westliche Welt könne nicht erwarten, dass das Regime in Teheran dann noch bereit sei, wieder einen gänzlich neuen Vertrag auszuhandeln.
Javedanfar ist 1987 aus Iran mit einem Teil seiner Familie geflüchtet. Er ist einer von vielen. Lior Sternfeld von der Ben-Gurion-Universität in Beerscheva zufolge leben heute rund 200.000 Juden mit iranischen Wurzeln in Israel, vor allem in der kleinen Mittelmeerstadt Holon, in Tel Aviv und Jerusalem. Sternfeld sagt: "Wenn die Alternative zu diesem Vertrag ein Krieg ist, dann kann niemand sagen, dass dieser Deal schlechter als die Alternative ist."
Ein Krieg mit Iran wird in Israel immer ernster diskutiert. Das Schlachtfeld: Syrien. Iran unterstützt den Diktator von Damaskus, Baschar al-Assad. Erst am vergangenen Sonntag wurden syrische Militärbasen in den Provinzen Hama und Aleppo angegriffen. Das Ziel waren offenbar unter anderem iranische Flugabwehrraketen. US-Regierungsvertreter sagten dem US-Fernsehsender NBC am Dienstag, Israel habe die Angriffe durchgeführt. Rund zwei Dutzend Iraner sollen dabei ums Leben gekommen sein.
"Irans Präsenz in Syrien ist ein phänomenaler Erfolg für das Regime"
Das wäre eine ungewöhnlich hohe Zahl. Bislang haben die iranischen Revolutionsgarden, die in Syrien vor allem als Berater und Kommandeure im Einsatz sind, kaum Verluste erlitten. Anders hingegen die Zehntausenden schiitischen Milizionäre, die unter anderem aus Afghanistan stammen, und die das Regime in Teheran als Kanonenfutter in Syrien einsetzt.
"Irans Präsenz in Syrien ist ein phänomenaler Erfolg für das Regime, präzedenzlos in der iranischen Geschichte", sagt Iran-Analyst Javedanfar. "Im blutigen Irak-Iran-Krieg in den Achtzigerjahren verzeichnete Iran zwischen 200.000 und 300.000 Tote, eine halbe Millionen Verwundete - und ist dennoch nicht einmal bis zur irakischen Hafenstadt Basra gekommen, die am Persischen Golf liegt. Heute ist Iran aufgrund seiner Zusammenarbeit mit und der Förderung von schiitischen Milizen im Jemen, im Irak, im Libanon, in Syrien - und damit am Mittelmeer."
Israel ist alarmiert - und in dieser Frage über alle Parteigrenzen hinweg einig: "Selbst wenn Benjamin Netanyahu morgen von Tamar Zandberg, der Chefin der Linksaußen-Partei Meretz, abgelöst werden würde, würde das nichts an der israelischen Analyse der iranischen Bedrohung in Syrien ändern", sagt Javedanfar. Israel wird versuchen, Irans Präsenz in Syrien einzudämmen - und Netanyahu bei Trump bis zum 12. Mai weiter dafür werben, den Atom-Deal aufzukündigen.
Zehn Tage bleiben noch.