Anti-Atom-Strategie gegen Iran Obama, Netanjahu und der Beinahe-Eklat

Was war denn das? Erst wirft Benjamin Netanjahu dem US-Präsidenten Zögerlichkeit gegenüber Iran vor, dann brüskiert Obama Israels Premier, indem er ein Treffen zu verweigern scheint. Am Ende rettet der US-Präsident die Lage gerade eben noch durch ein einstündiges Telefonat.
Netanjahu und Obama (Archivbild): Langes Telefonat

Netanjahu und Obama (Archivbild): Langes Telefonat

Foto: KEVIN LAMARQUE/ REUTERS

Es ist eine ungewöhnliche E-Mail zu einer ungewöhnlichen Zeit. Um 21.19 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit schickt das Weiße Haus in Washington ein paar Informationen über ein Telefongespräch zwischen US-Präsident Barack Obama und Israels Premier Benjamin Netanjahu raus. Da ist es in Tel Aviv schon bald halb fünf Uhr am Mittwochmorgen.

Inhalt der Neun-Zeilen-Nachricht: Die beiden Regierungschefs hätten an diesem Abend eine Stunde miteinander telefoniert, um "die von Irans Nuklear-Programm ausgehende Bedrohung und unsere enge Zusammenarbeit in Sachen Iran sowie weitere Sicherheitsfragen" zu diskutieren. Man habe sich gegenseitig der Einigkeit und Entschlossenheit versichert, Iran vom Bau einer Nuklearwaffe abzuhalten. Die "engen Beratungen" würden fortgesetzt.

Hört sich erstmal gar nicht überraschend an: enge Zusammenarbeit, Entschlossenheit, Einigkeit. Dennoch ist es bemerkenswert.

Denn am Dienstag wurde zuvor über mehrere Stunden spekuliert, wie es um das Verhältnis zwischen Obama und Netanjahu eigentlich bestellt sei. Bis zum Abend, vor dem kommunikativen Rettungsakt per E-Mail aus dem Weißen Haus, schienen Washington und Tel Aviv den fatalen Eindruck zu vermitteln, der US-Präsident habe wegen seiner Iran-Differenzen mit Netanjahu keinen Bedarf an einem persönlichen Treffen in nächster Zeit.

Harscher Auftritt von Netanjahu

Vorausgegangen war dem ein außergewöhnlich harscher Auftritt des israelischen Ministerpräsidenten, der seit Monaten auf ein schärferes, letztlich militärisches Vorgehen gegen Iran drängt. "Die Welt sagt Israel: 'Wartet, es ist noch Zeit'. Und ich sage: 'Warten worauf? Warten wie lange?'" Wenn Iran keine Fristen gesetzt würden, dann arbeite dieser ungehindert weiter daran, die Atomwaffenfähigkeit zu erlangen und dann die Atombombe, so der Premier.

Mit der "Welt" meint Netanjahu allerdings niemand anderen als den US-Präsidenten. Der hat zwar wieder und wieder klar gestellt, dass er eine atomare Bewaffnung des Iran nicht dulden und notfalls militärisch verhindern werde - doch hat er sich bisher geweigert, Iran öffentlich und definitiv rote Linien oder Fristen zu setzen. Noch setzt man in Washington auf die Wirkung der Sanktionen, auf Verhandlungen und ein Einlenken des Mullah-Regimes. Teheran seinerseits leugnet die Arbeit an Nuklearwaffen.

Doch die Zeit könnte der Weltgemeinschaft davonlaufen. Laut dem jüngsten Berichtet der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) von Ende August hat Iran den Ausbau seiner Atom-Anlagen massiv beschleunigt. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad, ein notorischer Holocaust-Leugner, hat in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass ihn Adolf Hitler fasziniert und er Israel am liebsten von der Landkarte tilgen will.

Netanjahus Regierung bringt seit Monaten einen militärischen Alleingang ins Gespräch, einen Solo-Schlag gegen die Atom-Anlagen Irans. "Bisher können wir sicher sagen, dass Diplomatie und Sanktionen keinen Erfolg hatten", so Netanjahu am Dienstag. Und weiter: "Diejenigen in der Weltgemeinschaft, die sich weigern, dem Iran rote Linien zu setzen, haben nicht das moralische Recht, Israel rotes Licht zu zeigen".

Botschaft an Obama: Wenn Ihr nicht mitziehen wollt, dann stoppt mich auch bitte nicht. Die israelische Zeitung "Haaretz" nannte dies eine "beispiellose verbale Attacke gegen die US-Regierung".

Die Reaktion aus Washington folgte prompt - jedenfalls schien es so.

"Sie sind einfach nicht zur selben Zeit in der Stadt"

Während Netanjahus Reise zur Uno-Generalversammlung nach New York Ende September werde es nicht zu dem sonst meist üblichen Treffen mit Obama kommen, obwohl der Premier das vorgeschlagen habe. So berichteten es "Haaretz" und "Jerusalem Post" am Dienstag. Im Weißen Haus erklärten sie, es handele sich keineswegs um eine Zurückweisung Netanjahus und habe allein mit Termingründen zu tun. Die Israelis wüssten das auch schon seit Wochen: "Sie sind einfach nicht zur selben Zeit in der Stadt."

Soweit. Doch die folgenden Spekulationen über ein Zerwürfnis der beiden Regierungschefs dürften dann sowohl in Washington als auch Tel Aviv zu Besorgnis und schließlich zu jener beschwichtigenden E-Mail geführt haben. Dass das Feuer so schnell ausgetreten wurde, zeigt, wie angespannt die Lage mittlerweile ist. Denn ein Streit auf offener Bühne kann mit Blick auf die benötigte Drohkulisse gegenüber Teheran keinem der beiden Partner nutzen.

Dennoch: Mit seiner Anspielung auf rote Linien offenbart Netanjahu erneut grundlegende Differenzen in der Beurteilung von Irans Atomprogramm. Nicht nur, dass Obama in der Öffentlichkeit keine zeitlichen Fristen nennen möchte. Die Partner haben auch unterschiedliche Vorstellungen davon, an welchem Punkt die rote Linie denn eigentlich überschritten ist.

Wenn das Mullah-Regime den Entschluss fasst, die Bombe auch wirklich zusammen zu setzen? Oder schon dann, wenn es die Fähigkeit dazu besitzt? Erstere ist eher Obamas, letztere Netanjahus Einschätzung. Das Problem: Wollen die Israelis Irans Atomprogramm allein stoppen, können sie möglicherweise nicht mehr allzu lange warten. Denn das Teheraner Regime hat die für eine Atombombe nötige Uran-Anreicherung in unterirdische Bunker verlegt, die Israels Waffen bald kaum mehr erreichen können. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hat von einer "Zone der Immunität" gewarnt, in der das Regime zwar noch nicht über die Bombe verfügt, aber auch nicht mehr von ihrem Bau abzuhalten ist. Die bunkerbrechende Feuerkraft der Amerikaner dagegen ist größer - und entsprechend ist es Obamas Zeitfenster. Israels Bevölkerung derweil lehnt einen Alleingang mehrheitlich ab.

Netanjahu und Romney sind gute Freunde

Obama seinerseits steckt mitten im Präsidentschaftswahlkampf, eine überaus kritische Zeit für ihn. Sollte Netanjahu noch vor dem Wahltermin in Amerika auf eigenen Faust angreifen, käme der US-Präsident unter massiven Druck, einem seiner wichtigsten Verbündeten zur Seite zu stehen. In den vergangenen Monaten haben Medien in den USA und Israel darüber spekuliert, Netanjahu könnte genau diese Zwangslage Obamas einkalkulieren.

Längst gilt das Verhältnis der beiden Regierungschefs als angeschlagen. Ganz anders als jenes zwischen Netanjahu und Obama-Herausforderer Mitt Romney. Die beiden sind Freunde, kennen sich schon aus den siebziger Jahren, arbeiteten gleichzeitig als Unternehmensberater bei Boston Consulting. Romney hat es bisher stets vermieden, konkrete Vorschläge für eine neue Politik gegenüber Iran zu machen; gleichzeitig hat er den Amtsinhaber aber auf kaum einem anderen Feld massiver attackiert: "Wenn Barack Obama wiedergewählt wird, dann bekommt Iran seine Atombombe, und die Welt wird sich verändern", erklärte er schon während des republikanischen Vorwahlkampfes.

Und am vergangenen Wochenende betonte Romney im Interview mit dem TV-Sender NBC, dass die Fortschritte des iranischen Atomprogramms in den letzten Jahren "das größte Versagen" Obamas in der Außenpolitik gewesen seien. Iran sei jetzt "näher dran an der Atombombe" als vor vier Jahren. Die scharfen Sanktionen hätten, so Romney, schon viel früher in Kraft gesetzt werden müssen.

Wird Romney damit im Wahlkampf punkten können? Etwa bei der wichtigen Wählergruppe der jüdischen Amerikaner? Hier genießt Obama eine doppelt so hohe Zustimmung wie Romney. Dass der Präsident die nicht gefährden will, zeigt auch die rasche Deeskalation im Fall Netanjahu. Romney aber dürfte eher eine ganz andere Gruppe im Blick haben: die Evangelikalen. Scharfe Ansagen in Sachen Nahost kommen dort immer gut an.

Mit Material von Reuters, dpa, dapd
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