Iraner über Ende der Sanktionen
"Als würde neues Blut in unseren Körpern fließen"
Jahre der Abschottung sind vorbei - nun beginnt für Iran eine neue Epoche. Oder? Viele hoffen mit dem Ende der Sanktionen auf ein besseres Leben. Doch es gibt auch Skepsis. Wir haben Stimmen im Land gesammelt.
Frauen in Teheran: Der Atom-Deal bringt Hoffnung auf Veränderung
Foto: Abedin Taherkenareh/ dpa
Mit dem Fall der Sanktionen endet für Iran auch die langjährige Isolation vom Rest der Welt. Ein Erfolg für Politik und Diplomaten, gute Aussichten für Industrie und Großkonzerne - keine Frage.
Doch was ist mit dem Menschen im Land, die unter den harten Beschränkungen leiden mussten? Wie denken die Iraner selbst über die Zukunft ihres Landes? Was erhoffen sie sich vom Ende der Blockade?
Wir haben Einheimische per E-Mail und via Messenger befragt, was die neue Situation für sie bedeutet. Weil politische Äußerungen nicht ohne Risiko sind, wurden teilweise die Namen der Befragten geändert und die Nachnamen weggelassen. Die tatsächlichen Daten sind der Redaktion bekannt.
Feiernde in Teheran (im Juli 2015): "Nicht mehr von der Welt isoliert"
Foto: ATTA KENARE/ AFP
Viele gaben an, froh über den Wandel zu sein und neue Hoffnung zu schöpfen
"Das ist, als würde neues Blut in unseren Körpern fließen. In Teheran freuen sich die meisten über diesen Erfolg und hoffen auf eine Verbesserung der Bedingungen. Allerdings sind auch viele skeptisch, was die Vereinbarung angeht. Aber das ist nur, weil sie nicht glauben können, dass mal etwas Gutes in ihrem Leben passiert. Das Beste an dem Ganzen ist, dass wir nun nicht mehr von der Welt isoliert sein werden."
Shahab, 33, IT-Spezialist aus Teheran
"Die unfairen Sanktionen hatten einen destruktiven Effekt auf die Menschen, die Nuklearenergie nur als friedliche Energiequelle haben wollten. Es ist wohl nicht nötig, die schlimmen Auswirkungen der Sanktionen auf unsere Logistikmöglichkeiten und Industrie zu erläutern. Die Einigung schafft Hoffnung auf eine neue Zukunft, aber wir werden nie die Lektionen vergessen, die wir durch das Embargo gelernt haben. Unser Technologiepotenzial wurde nicht ausgenutzt und unterschätzt, sogar von uns selbst. Ohne die Sanktionen können wir nun sehen, wozu Iran in der Lage ist."
Hamed, 27, Ingenieur aus Isfahan
"Die Sanktionen waren von Anfang an unfair und unnötig. Aber ich bin froh, dass die Diplomatie gewonnen hat. Iran und die Welt sollten mehr miteinander sprechen, um zu verstehen, dass die Unterschiede nicht so groß sind und sich alle Frieden, Entwicklung und Fortschritt wünschen."
Sahar, 27, Chemikerin aus Tabriz
Junge Menschen in Shiraz: "Natürlich ist das eine positive Entwicklung"
Foto: Stephan Orth
Doch bei vielen herrscht auch Skepsis vor - schon zu oft haben insbesondere modern eingestellte Iraner erlebt, wie Hoffnungen von der Politik enttäuscht wurden
"Es ist immer besser, die positiven Aspekte politischer Entscheidungen zu sehen, um Hoffnung zu haben, unsere Ziele zu erreichen. Aber ich habe festgestellt, dass die meisten Politiker Lügner sind. Sie interessieren sich nicht für die Menschen, sondern nur für sich selbst und ihre Macht. Da gibt es keinen Unterschied zwischen der iranischen und der amerikanischen Regierung. Momentan gibt es zwei entgegengesetzte politische Strömungen - die einen sind froh über den Atomvertrag, die anderen sehr stark dagegen. Ich sehe keine Einigkeit. Eine der Nuklearanlagen befindet sich in der Nähe meiner Stadt. Hunderte Menschen sind deshalb an Krebs erkrankt. Die Verantwortlichen interessieren sich nicht für das Leben der Menschen."
Nilufar, 28, Lehrerin aus Isfahan
"Meine Familie und ich und viele andere haben den Atomdeal nicht gefeiert wie viele andere. Aber natürlich ist das eine positive Entwicklung, und alle sind glücklich. Iraner hoffen, dass die Wirtschaft einen Boom erleben wird, aber das wird noch einige Zeit dauern."
Reza, 41, Englischlehrer aus Shiraz
"Die Iraner haben teuer für die Politik dieses Regimes bezahlt. Das beste Ergebnis der Sanktionen wäre gewesen, wenn diese Regierung abgesetzt worden wäre. Denn die Machthaber repräsentieren nicht die Menschen in Iran. Die internationalen Großmächte haben eine lange Tradition, wenn es darum geht, diktatorische Regime für ihre eigenen Interessen zu unterstützen."
Mohammed, 60, Tischler aus Isfahan
Teheran bei Nacht: Es wird noch dauern, bis Veränderungen spürbar sind
Foto: Stephan Orth
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Malik; März 2015; broschiert; 240 Seiten; 14,99 Euro.