Iran-Politik Wider den Fatalismus!

Drohungen gegen Israel, atomare Prahlerei, willkürliche Repression - Irans Staatschef Ahmadinedschad liebt die Provokation. Da der fromme Eiferer innenpolitisch schwer unter Druck steht, könnte Europa den Hardliner weiter schwächen.

Berlin - "Einskommadrei!", rief mir eine junge Freundin stolz entgegen. Sie hatte gerade an der Universität eine mündliche Prüfung zum iranischen Atomprogramm mit einer sehr guten Note bestanden. Was ihre Grundthese gewesen sei, wollte ich wissen. "Wir müssen uns auf eine Atommacht Iran vorbereiten, statt mit ihnen zu verhandeln. Ahmadinedschad ist nicht mehr zu stoppen."

Na prima! Ich bin sicher, die Dame hat nach wissenschaftlichen Kriterien ihre Note verdient. Aber mich bringt dieser Fatalismus zur Verzweiflung. Schließlich greift diese "wir-haben-keine-Chance-Haltung" nicht nur an deutschen Hochschulen, sondern jenseits von bellizistischem Wahlkampfgetöse republikanischer Präsidentschaftskandidaten vor allem an Washingtoner Think Tanks um sich.

Die Ursache dafür ist eindeutig. Will man im Westen die Haltung Irans analysieren, nimmt man als Grundlage dafür die Reden des Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Im besten Falle schaut man sich die Verhandlungstaktik des Atom-Chefunterhändlers Laridschani an. Als Ausrede dafür, dass die iranische Innenpolitik ausgeblendet wird, muss immer wieder die innere Einheit der Iraner beim Streben nach ziviler wie militärischer Nutzung der Atomkraft herhalten. Zum Vergleich: Niemand käme aber auf die Idee, das Gebaren der Kaczynski-Zwillinge in Brüssel losgelöst vom innerpolnischen Kontext zu sehen, nur weil es in Polen einen Konsens bei der Ablehnung der Politik von Erika Steinbach gibt.

Diese Betrachtung greift zu kurz, denn die innenpolitische Dynamik erklärt immer wieder Aktionsmuster der iranischen Führung, die sonst kaum zu deuten wären. Beispielsweise schweigt ausgerechnet der iranische Staatspräsident zur Verleihung des Adelstitels an Salman Rushdie. Damit wird er dem westlichen Klischee des fanatischen Provokateurs nicht gerecht. Aber eine in Iran mittlerweile ritualisierte Verurteilung des britischen Schriftstellers brächte ihm wenig. Fanatismus und Pragmatismus widersprechen sich nicht unbedingt.

Ahmadinedschads Clique steht seit der Kommunalwahl im Dezember 2006 schwer unter Druck. Der Staatspräsident versuchte eine an sich schlüssige Strategie der "Provinzialisierung" der iranischen Innenpolitik, indem er die meiste Zeit durch kleinere Städte tourte - ein in der iranischen Geschichte einmaliger Vorgang. Bei der Kommunalwahl allerdings verlor er flächendeckend, also auch in Kleinstädten.

Auch sein religiöser Mentor Mohammad-Taghi Mesbah-Yazdi - ein klassischer Islamist - schnitt bei den Wahlen zum Expertenrat schwach ab. Der Grund sind nicht eingelöste ökonomische Versprechen. Ahmadinedschad weckte in der Provinz sehr hohe Erwartungen, die er nicht erfüllen kann. Und dass der Bau einer prestigeträchtigen Transrapid-Trasse nicht wirklich unter "Armutsbekämpfung" fällt, begreifen auch die schlechter gebildeten Wähler in der Peripherie sehr wohl. Dass die Menschen mit der ökonomischen Situation hochunzufrieden sind, sieht man auch an den gestrigen Ausschreitungen in Teheran wegen der Rationierung von Benzin.

Ahmadinedschad ist nervös. Seine Auftritte in der iranischen Provinz sind in letzter Zeit seltener, aber auch aggressiver geworden. Seit der Kommunalwahl gibt es ein funktionierendes Bündnis zwischen seinem Erzrivalen und pragmatischem Konservativen Hashemi Rafsandschani und den Reformern. Revolutionsführer Ali Chamenei - laut Verfassung die Nummer eins im Staat - ging in letzter Zeit immer mal wieder auf Distanz zum Staatspräsidenten. So rügte er in ungewohnt scharfem Ton die Wirtschaftspolitik der Regierung. Und Teherans durchaus beliebter Bürgermeister Bagher Ghalibaf schickt sich an, Mitte 2009 gegen Ahmadinedschad anzutreten. Der Präsident scheint im komplexen Machtgefüge Teherans derzeit schwer an Einfluss zu verlieren. Die Reaktion seiner Clique fällt erschreckend simpel aus.

Repression heißt die Devise. Die Gelassenheit, mit der Ahmadinedschad in den ersten Monaten seiner Amtszeit auf den "Sittenverfall" der Jugend - westliche Kleidungsstile - reagiert hat, gibt es so nicht mehr. Sittenwächter gehen mit einer Härte gegen junge Menschen vor, wie es sie seit über zehn Jahren nicht mehr gab. Auch Blogger und freie Journalisten werden massiv verfolgt. Die Zahl der Todesurteile ist in diesem Jahr signifikant angestiegen.

Wie der Westen in Iran Verbündete finden könnte

Ganz besonders markant ist, dass die Repression nicht nur gegen die "üblichen anti-revolutionären Kräfte" - also Liberale, Säkulare oder Monarchisten - gerichtet ist. In erster Linie sind diesmal die inner-systemischen Gegner Ahmadineschads im Visier der Verfolger. Hossein Moussavian, Atom-Chefunterhändler zu Zeiten des gescheiterten Reformer-Präsidenten Mohammed Chatami, steht zurzeit wegen angeblichem Hochverrat vor Gericht, weil er die Verhandlungsstrategie seines Nachfolgers kritisiert hat. Der langjährige Uno-Botschafter Irans Javad Zarif, ein gerade von den europäischen Diplomaten als sehr umsichtig und verbindlich geachteter Vertrauter Chatamis, wurde dieser Tage nach Teheran abberufen.

Auch die Auswahl der drei in Iran derzeit inhaftierten und angeklagten Irano-Amerikanerinnen ist nicht willkürlich. Vor allem die 67-jährige Princeton-Professorin Haleh Esfandiari war in den letzten Jahren immer wieder um Dialog und Ausgleich zwischen den USA und der iranischen Seite bemüht und wurde dafür in Amerika immer wieder scharf kritisiert. Dass einem John McCain als Antwort darauf nichts anderes als die plumpe Androhung militärischer Gewalt einfällt, ist für den Provokateur Ahmadinedschad eine willkommene Nebenwirkung. Die Hauptwirkung soll aber innenpolitisch sein.

"Wie bewertest du die Haltung der Bundesregierung im Atomstreit mit Iran?", fragte mich neulich ein Kollege. Ich musste lange nachdenken. Die Rolle Deutschlands als rationaler Brückenbauer zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates ist sicher sehr positiv zu bewerten. Und dass die Bundesregierung trotz besseren Wissens nicht auf die Forderung des Stopps der Uran-Anreicherung durch die Iraner verzichtet, um die Geschlossenheit der Weltgemeinschaft nicht zu zerrütten, spricht doch für Weitsicht. Der Kardinalfehler der Bundesregierung ist, dass sie innerhalb Irans nicht nach alternativen Gesprächspartnern jenseits von Ahmadinedschad sucht.

Starke Reformer sind das beste Mittel gegen die Bombe

Solange der Reformer Chatami Präsident war, hieß es: 'Schaut in die iranische Verfassung, dann werdet ihr feststellen, dass das Präsidentenamt ein schwaches ist. Chatami ist nicht ernstzunehmen.' Nun ist ein anderer Staatspräsident und er hat dieselben konstitutionellen Befugnisse. Doch alle starren auf ihn, als gäbe es niemand anderen in Iran. "Das ist irrational", sagte mir Vali Nasr, der große amerikanische Islam-Wissenschaftler und Iran-Experte. Er hat Recht. Potentielle Verbündete gibt es in Iran zuhauf, teilweise dort, wo man sie nicht erwartet.

"Wisset, Islam ist nicht die Religion er Unterdrückung. Das ist nicht der Islam", brüllt Ajatollah Hossein Kazemeyni Boroujerdi in einem Youtube-Video ins Mikrofon, nachdem sein Haus von Sicherheitskräften angegriffen wurde. Boroujerdi - mittlerweile in Haft - wird aufgrund seiner quietistischen Haltung angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, er gefährde die Sicherheit des Landes.

Aus Europa gab es bisher keine Stimme der Unterstützung für Boroujerdi, die Bundesregierung hat gegen die Menschenrechtsverletzungen, die in den letzten Monaten gegen ihn und seine Anhänger verübt wurden, nicht protestiert. Die Suche nach Partnern gegen Ahmadinedschad muss auch eine Suche nach seinen Opfern innerhalb des Establishments sein. An dieser Stelle wird Menschenrechtspolitik knallharte Sicherheitspolitik. Denn starke Reformkräfte in Iran sind das beste Mittel gegen die Bombe - und gegen den eigenen Fatalismus.

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