Präsidentenwahl in Iran Zwischen Selfie und Gottesstaat

Irans reformfreudiger Präsident Rohani muss um die Wiederwahl bangen. Seine konservativen Gegner werfen ihm vor, sich dem Westen anzubiedern. Droht der Rückfall in finstere Zeiten?
Anhänger des iranischen Präsidenten Hassan Ruhani demonstrieren in Teheran

Anhänger des iranischen Präsidenten Hassan Ruhani demonstrieren in Teheran

Foto: Ebrahim Noroozi/ dpa

In einem sind sich die Iraner einig: Es muss wieder aufwärts gehen mit ihrem Land. Immerhin ist es eines der rohstoffreichsten Länder der Welt, mit einer knapp 83 Millionen Menschen starken, überdurchschnittlich gebildeten Bevölkerung. Nur: wie? Annäherung an den Westen? Oder doch Rückbesinnung auf die Religion?

Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Iran am Freitag ist die Stimmung angespannt. Wird Iran es schaffen, die Sanktionen abzuschütteln und wirtschaftlich aufzusteigen? Wird das Atomabkommen halten, das US-Präsident Donald Trump als "schlechtesten Deal, der je verhandelt wurde", bezeichnet?

Vier Jahre lang lagen alle Hoffnungen bei Hassan Rohani, 68 Jahre alt und seit 2013 Präsident der Islamischen Republik. Er möchte wiedergewählt werden. Inoffizielle Umfragen sehen ihn zwar vorne, jedoch lediglich bei deutlich unter 50 Prozent. Womöglich wird eine Stichwahl nötig.

Rohani, ein Geistlicher und Jurist, der in Glasgow über islamische Gesetzgebung in Iran promovierte, gilt als Reformer. Er hat den wirtschaftlichen Niedergang, den sein Vorgänger Mahmoud Ahmadinejad zu verantworten hat, gestoppt. In den Jahren 2012 und 2013 schrumpfte die iranische Wirtschaft erstmals seit zwei Jahrzehnten. Mit Rohanis Amtsantritt wuchs sie wieder, im abgelaufenen Jahr sogar um 6,4 Prozent.

Sein politisches Glanzstück ist aber das Atomabkommen, das er Anfang 2016 mit den Vetostaaten des Uno-Sicherheitsrats und Deutschland aushandelte. Damit erreichte er, dass nach und nach die Sanktionen vor allem im Energie- und Finanzsektor aufgehoben werden sollten. Endlich könnte das Land von seinen gigantischen Öl- und Gasvorkommen profitieren und sie wieder an westliche Staaten verkaufen.

Doch die Aufbruchstimmung ist einer gewissen Ernüchterung gewichen. Rohani, sagen viele, hätte viel mehr für die einfache Bevölkerung tun und sich weniger um internationale Politik kümmern müssen. "Er ist ein guter Mann, aber er spricht nicht unsere Sprache", sagt Hamed, Süßwarenhändler auf dem Großen Basar von Teheran. "Er rennt in die falsche Richtung, er orientiert sich nicht genug am Islam!", schimpft Said Hussein Moazen, ein Geistlicher aus einem Teheraner Randbezirk.

Menschenrechtsorganisationen bemängeln zudem, Rohani habe seine Versprechen von größerer Freiheit und der Entlassung politischer Gefangener nicht eingehalten. Rohanis Wahlkampfhelfer halten dagegen, es dauere eben, bis gute Politik ihre Wirkung zeige. Nach und nach werde man alle Probleme angehen.

Thema Nummer eins bleibt die wirtschaftliche Situation. Ausländische Investoren sind zögerlich, die Rohstoffverkäufe ins Ausland immer noch von Sanktionen betroffen. Die Geschäfte verliefen zäh, sagen deutsche Geschäftsleute auf der Iran Oil Show, einer Messe, bei der die Deutschen mit 114 Ausstellern vor Ort sind - man hofft, ganz vorne dabei zu sein, wenn es irgendwann boomt. Nur die Chinesen sind noch stärker vertreten.

Überweisungen vom oder ins Ausland sind nach wie vor nicht möglich, nirgends in Iran kann man mit den überall sonst auf der Welt geläufigen Kreditkarten bezahlen. Geschäfte scheitern oft daran, dass man keine Rechnung begleichen kann. Immerhin ist die Zahl der Touristen spürbar gestiegen, doch sie müssen stapelweise Bargeld mitbringen, um damit vor Ort Hotels, Mietwagen und Einkäufe bezahlen zu können.

Die Konkurrenten von Rohani machen sich die Enttäuschung vieler Menschen zunutze. Hauptgegner ist Ebrahim Raisi, 56, wie Rohani ein graubärtiger Geistlicher und Jurist, ein ehemaliger Generalstaatsanwalt, der in der Vergangenheit für harte Strafen wie Steinigungen für Ehebrecher plädiert hat und 1988 einem Komitee angehörte, das den Tod von Tausenden politischen Gefangenen verantwortete.

Raisi ist ein Konservativer, der Rohani vorwirft, sich zu sehr dem Westen angebiedert und das Land zu stark geöffnet zu haben. Als Chef der durch Spenden sagenhaft reichen Stiftung Astane Qods-e Razavi gilt er als Liebling des Revolutionsführers Ajatollah Ali Khamenei, dem mächtigsten Mann des Landes. Die Stiftung verwaltet unter anderem den Imam-Resa-Schrein in der Pilgerstadt Maschhad, die heiligste religiöse Stätte der Schiiten in Iran. Sie ist das mächtigste Unternehmen Irans mit Banken, Fabriken und Hotels im In- und Ausland.

Anhängerin des konservativen Präsidentschaftskandidaten Raisi

Anhängerin des konservativen Präsidentschaftskandidaten Raisi

Foto: Ebrahim Noroozi/ AP

Raisis Chancen sind gestiegen, seitdem der konservative Teheraner Bürgermeister Mohammad Bagher Ghalibaf seine Kandidatur vier Tage vor dem Wahltermin zurückgezogen hat. Er empfiehlt seinen Anhängern, für Raisi zu stimmen.

Aufseiten der Reformer kandidiert neben dem Amtsinhaber der frühere Vizepräsident Mostafa Hashemitaba. Auch Vizepräsident Eshagh Jahangiri war ein Bewerber um das Präsidentenamt und hatte in den drei TV-Debatten eine gute Figur gemacht. Er hatte allerdings schon zu Beginn seiner Kandidatur angekündigt, er werde am Ende Rohani unterstützen. Am Dienstagabend zog er seine Kandidatur zurück und wirbt nun für den Amtsinhaber.

"Die wichtigste Frage in Iran ist natürlich, wer das Vertrauen von Khamenei hat", sagt Saeed Laylaz, Ökonomieprofessor in Teheran. "Aber Khamenei hat keine Wahlempfehlung abgegeben, sondern aus dem Fehler gelernt, Ahmadinejad unterstützt zu haben." Dass der Revolutionsführer gesagt habe, Iran bedürfe keiner Investitionen von außen, sondern einer "Widerstandswirtschaft", und dass "die Zukunft der Welt nicht nur den Verhandlungen, sondern auch den Raketen" gehöre, sei nicht als Kritik an Rohani zu verstehen. "Iran ist kein westliches Land. Khamenei muss den Menschen zeigen, wer der Revolutionsführer ist. Deshalb redet er so."

Anhänger Rohanis monieren, dass Khamenei den Präsidenten "nicht blühen" lasse. Gegen Raisi hingegen habe er keinerlei kritisches Wort verloren, sondern seinen Aufstieg zum Chefverwalter des Heiligtums in Maschhad befördert. Womöglich solle Raisi Khamenei beerben - schließlich wird Khamenei im Juli 78 Jahre alt und ist schon seit über 28 Jahren im Amt.

Republik Iran

Und so deutet im politischen Teheran jeder jedes Wort, jede Tat, jedes Ereignis so, wie es gerade ins eigene Bild passt. Der Wächterrat hat Expräsident Ahmadinejad diesmal nicht zur Wahl zugelassen? Ein deutliches Zeichen dafür, dass Khamenei verärgert sei über das konservative Lager und deshalb an Rohani und dessen prowestlichen Kurs festhalte, sagen die einen. Kein Zweifel, Khamenei wolle Raisi stärken und dulde daher keine weitere Zersplitterung, sagen die anderen.

Die Konservativen setzen vor allem auf mehr staatliche Sozialleistungen, die eigentlich nur für die Armen gedacht sind, die aber von nahezu allen Iranern in Anspruch genommen werden. Derzeit erhalten sie umgerechnet knapp 13 Euro im Monat - wenig Geld für Großstädter, aber viel für eine kinderreiche Familie auf dem Lande. Aus dem konservativen Lager ist zu hören, man plane, die Zahlungen zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen.

Auf diese Weise will man unter den insgesamt etwa 56 Millionen Wahlberechtigen jene überzeugen, die noch nicht wissen, ob und wen sie wählen. Rohanis Wähler leben vor allem in den Großstädten. Doch auch hier sind die Konservativen nicht zu übersehen und zu überhören. "Tod den USA" steht an vielen Hochhausfassaden. Beim Freitagsgebet in Teheran ruft der Prediger: "Tod den USA, Tod Großbritannien, Tod Israel, Tod Saudi-Arabien!" Tausende Gläubige rufen es ihm nach.

Foad Izadi seufzt. "Ach", sagt er, "das ist ja nicht so gemeint." Izadi ist Politikprofessor an der Universität von Teheran und hat selbst viele Jahre in den USA gelebt und studiert. Er war Berater im Team von Ahmadinejad, mit antiwestlichen Tönen kennt er sich aus. Die Wut der Menschen richte sich gegen die US-Außenpolitik, nicht gegen die USA, sagt er. Verkürzt werde daraus "Tod den USA". "Gegen Amerika haben die Iraner nichts, im Gegenteil, wenn sie einen amerikanischen Touristen erblicken, machen sie Selfies mit ihm."

Die feindseligen Töne seien außerdem nicht ans Ausland gerichtet, sondern nach innen. "Iran befindet sich im Zentrum einer von Kriegen und Krisen erschütterten Region. Der Irak, Syrien und Afghanistan sind unsere Nachbarn. Und ausgerechnet in dieser Situation hat Iran keine Freunde. Wir pflegen zwar gute Beziehungen zu Russland und China, aber zuverlässige Verbündete? Nein."

Das sehen auch junge Iraner so. Ein paar Studenten diskutieren auf der Teheraner Buchmesse über die Gründe. "Die Briten haben Jahrzehnte lang unser Erdöl für sich beansprucht", sagt Politikstudentin Mehtab, die gekommen ist, um Bücher für ihr Studium zu kaufen. "Als unser liberaler Regierungschef Mohammad Mossadegh die Ölquellen verstaatlichte, wurde er 1953 mithilfe der CIA gestürzt. Die Amerikaner unterstützten bis 1979 das autokratische Schah-System. Nach der islamischen Revolution halfen sie Saddam Hussein, Krieg gegen uns zu führen. Als Saddam ihnen nicht mehr gefiel, marschierten sie in den Irak ein. Und wir sollen keine Angst vor der amerikanischen Politik haben."

Wer auch immer Präsident in Iran sei, er werde nicht alleine Frieden schaffen können in der Region, sind sich die Studenten einig. Dazu bedürfe es einer internationalen Anstrengung. Der Präsident könne nur dafür sorgen, dass Iran einen Ton anschlägt, der Friedensbereitschaft signalisiere.

Und da habe Rohani, finden sie, in den vergangenen vier Jahren doch ganz gute Arbeit geleistet.

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