Iran Was hinter Teherans Strategie steckt

Militärparade in Teheran
Foto: HANDOUT/ REUTERSHabibullah Turk, der alte Mechaniker, ist jeden Donnerstag einer der ersten in "Zahras Paradies", dem Märtyrerfriedhof im Süden von Teheran. Das Grabmal seines Sohnes sticht schon von Weitem hervor, sein helles Konterfei auf schwarzem Marmor. Die roten Nelken darauf sind immer frisch.
Turks Sohn, der Revolutionsgardist Moharram, starb am 19. September 2011 in Damaskus. 30 Jahre alt wurde Moharram, er ist Irans erster "Märtyrer" im Syrienkrieg, in dem bis heute fast 2000 weitere Iraner fielen.
Aber warum kämpfte Turk damals überhaupt in Damaskus, 2500 Kilometer entfernt von Teheran? Und wieso schickt Iran bis heute Berater, Kämpfer, Waffen an ein halbes Dutzend Fronten in dieser aufgeladenen Region?
Ein Mann, der darauf Antworten hat, weil er immer schon zum inneren Zirkel der Macht gehörte in der Islamischen Republik, ist Hussein Sheikh al-Islam. Sheikh al-Islam ist der Nahostberater von Außenminister Javad Zarif. Zuvor diente er 16 Jahre lang als Vizeaußenminister. Er war Botschafter in Syrien und kennt die Welt. In New York vertrat er sein Land bei den Vereinten Nationen.
Sheikh al-Islam trägt die Uniform der Revolutionäre von 1979: einen grauen Nadelstreifenanzug, das weiße Stehkragenhemd ist am Hals zugeknöpft, dazu Vollbart. Grau und kurz getrimmt. Er sitzt in einem grünen Fauteuil im zweiten Stock des Außenministeriums in Teheran. Sein Arbeitszimmer gleicht eher einer Suite, ganz in Holz und schwerem Samt gehalten. "Niemand will ein Feuer in der Nachbarschaft, wenn es nicht kontrolliert wird, kommt es zu dir," sagt Sheikh al-Islam vieldeutig.
Nur, was bedeutet das konkret für Iran? Inzwischen ist Iran im Jemen, in Irak, im Libanon, in Bahrain und Syrien engagiert, aber auch in Afghanistan und neuerdings in Katar. Welche Strategie steckt dahinter?
Im Jemen unterstützt Teheran die Huthi-Rebellen, die dort gegen eine von Saudi-Arabien geführte Militärallianz kämpfen. Mit Fischerbooten schicken sie Medikamente, Lebensmittel, kleine Waffen durch die internationale Seeblockade, nicht ausreichend, um den Krieg zu gewinnen, aber genug, um die Regenten in Riad zur Weißglut zu treiben. In Syrien wiederum zeigt Teheran massiven Einsatz, iranische Revolutionswächter retteten Präsident Baschar al-Assads Herrschaft.
Es sind Stellvertreterkriege, die Iran jenseits seiner Landesgrenzen führt. Sheikh al-Islam behauptet, wenn Iran nicht von Anfang an in Syrien eingegriffen hätte, wäre Damaskus an den "Islamischen Staat" (IS) gefallen. Der IS hätte auch Bagdad und Erbil eingenommen, sagt der Diplomat. Deshalb entwickelte Teheran eine Doktrin, die besagt, dass der Feind an den Frontlinien weit außerhalb Irans zu schlagen sei, sagt Sheikh al-Islam.
Iran sieht sich in einem existenziellen Abwehrkampf gegen einen aufsteigenden, radikalen sunnitischen Islam. Die Quelle des Übels orten die Iraner in Riad. Der Wahhabismus, die wohl radikalste Lesart des sunnitischen Islam, ist dort Staatsdoktrin und viele sunnitische Dschihadisten in der Welt fühlen sich von dieser extremen Interpretation angesprochen.
Umgekehrt glauben sich die Herrscher in Riad herausgefordert, eingekreist von Iran und dessen Verbündeten. Im Inselstaat Bahrain begehrte 2011 die schiitische Mehrheit gegen die sunnitischen Herrscher auf, im Osten des Königreichs Saudi-Arabien, wo die schiitische Minderheit lebt, kommt es immer wieder zu Aufständen gegen die Monarchen in Riad. Und die Saudi-Araber behaupten, Iran hetze die schiitischen Glaubensbrüder gegen die sunnitische Regierung auf.
Der bisherige Höhepunkt der neuen Feindseligkeit zwischen Riad und Teheran war die Drohung des neuen, starken Mannes im Königreich Saudi-Arabiens, Kronprinz und Verteidigungsminister Mohammad bin Salman, "den Krieg nach Iran" zu tragen.
Der Anschlag auf das iranische Parlament und die Grabstätte des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini am 7. Juni wurde in Teheran prompt als Einlösung dieser Kampfansage verstanden. Bei dem Angriff starben 14 Menschen und 46 wurden verwundet. Viele Iraner glauben, dass die IS-Attentäter direkt aus Riad gesteuert wurden.

Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran waren nie einfach. Doch man sprach miteinander. Nun liegen die jeweiligen Botschaften in Riad und Teheran verwaist. Viel schlechter können Beziehungen nicht sein.
Wer sich umhört unter den Veteranen der Revolutionswächter erhält erstaunliche Informationen, wie Iran sich angeblich für alle Fälle rüstet. Ein ehemaliger Geheimdienstler behauptet, Iran habe "20.000 Raketen auf die Infrastruktur Saudi-Arabiens" gerichtet. Er sagt, "ein Knopfdruck und in 24 Stunden ist dort alles zerstört". Dabei drückt er auf den roten Deckel einer Wasserflasche in seiner Hand, als würde er gleich selbst die Explosion auslösen. Wahr oder nicht, die Iraner glauben gegenüber dem Königreich Saudi-Arabien, das Heft des Handelns in der Hand zu halten.
Am Telefon von Sheikh al-Islam ist jetzt der Botschafter aus Beirut, schon zum zweiten Mal an diesem Tag. Die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon bildet Irans Frontlinie zu Israel, Teherans größtem Feind. Die Straße von Beirut nach Teheran gehört deshalb zum Herzstück der iranischen Verteidigung. Sie führt über Damaskus.
Mit Syrien verbindet Iran eine alte Loyalität, die noch aus Zeiten von Hafiz al-Assad herrührt, dem Vater des heutigen Herrschers, Baschar. Er stand als einer der wenigen arabischen Staatsmänner den Iranern bei, als Saddam Hussein das Land 1980 überfiel.
Sheikh al-Islam sagt, Assad sei "ein Sieger". Katar habe ihm 20 Milliarden Dollar geboten, wenn er das Land verlässt und auch die Russen hätten dem Syrer ein komfortables Asyl offeriert. "Aber er blieb," sagt Sheikh al-Islam. "Es gibt jetzt gerade keinen Ersatz für Assad, aber er ist auch keine Lösung für immer."
Was heißt das konkret? "Syrien muss eine Demokratie werden," sagt Sheikh al-Islam. Natürlich könne Assad dann als gewählter Präsident im Amt bleiben, bis irgendwann ein anderer käme. Iran verfüge in Damaskus über ausreichend Einfluss, um abzusichern, dass Assad in diesem Fall auch tatsächlich abträte.
Nur Demokratien hätten dauerhaft Bestand, sagt Sheikh al-Islam, das gelte auch für Syrien, Jemen, natürlich auch für Saudi-Arabien. Was das dann für Demokratien wären, ob tatsächlich das Volk den Kurs bestimmen würde oder die Macht doch insgeheim in Händen autoritärer Strukturen läge, wie in Iran, darüber sagt er nichts.
Am Ende wollen auch die Iraner Lösungen in Syrien, im Jemen, in Irak. Um ihre Bedingungen durchzusetzen, brauchen sie die Amerikaner im Uno-Sicherheitsrat. Deshalb hätten sie noch ein As im Ärmel, sagt Sheikh al-Islam: "Die Russen."
Wladimir Putin schiele nach Militärbasen, er wolle mehr Macht und Einfluss im Nahen Osten, sagt Sheikh al-Islam. Eine Horrorvorstellung in Washington, natürlich.
Jetzt lehnt sich der Diplomat entspannt zurück. Teheran habe die Russen nach Syrien gebracht, sagt er, und man könne Putin jederzeit auch in den Persischen Golf bringen.
"Das würde alles noch viel komplizierter machen", sagt Sheikh al-Islam und lächelt fast glücklich: "Wäre das nicht herrlich?"