Irans Machtgefüge Ajatollahs, Philosophen und ein Milliardär
Hamburg - Der aktuelle Machtkampf in Iran dreht sich um Präsident Mahmud Ahmadinedschad, doch die Nummer eins im Land ist ein anderer: Ajatollah Ali Chamenei ist der auf Lebenszeit ernannte religiöse Führer. Er hat nicht nur die Deutungshoheit in religiösen Fragen, sondern setzt auch Richter und Armeeführung ein.
Somit ist er Oberbefehlshaber der Streitkräfte und der Revolutionswächter "Pasdaran". Er kontrolliert die Presse und bestimmt sechs der zwölf Mitglieder des Wächterrats, der Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem Islam prüft und bei allen Wahlen über die ideologische und religiöse Zuverlässigkeit der Kandidaten entscheidet.
Chamenei gilt als religiöser Hardliner und vertritt eine konservative Kleidervorschrift für Frauen. Er ist überzeugt, dass es "im Auge des reinen Islam keine Trennung zwischen Religion und Politik" gibt. Dabei verweist er auf Europa: Hier habe eine solche Trennung "zwei Weltkriege, Kommunismus, die Zerstörung der Familienkreise und sexuelle Korruption" gebracht. In der Amtszeit des reformorientierten Präsidenten Mohammed Chatami, der von 1997 bis 2005 regierte, ließ Chamenei fast alle Gesetzesvorlagen, die auf Liberalisierung im Inneren und Öffnung nach Außen zielten, durch den Wächterrat stoppen.
Chamenei war Schüler von Ajatollah Ruhollah Chomeini und Gegner der westlich orientierten Politik von Schah Mohammed Resa. Nach der islamischen Revolution 1979 gehörte Chamenei zunächst nicht zur engsten Führungsriege, stieg aber rasch auf, da viele Führungskräfte um Chomeini in Ungnade fielen oder bei Attentaten ums Leben kamen. Chamenei wurde mit Unterstützung Chomeinis 1981 Staatspräsident.
Nach dem Tod Chomeinis wählte der Expertenrat Chamenei im Juni 1989 zum neuen Revolutionsführer. Er erhielt den religiösen Titel eines Ajatollah und herrscht seither mit nahezu unbegrenzter Machtfülle in Iran. Laut Verfassung steht er über dem Recht.
Ultrakonservativer Populist - Mahmud Ahmadinedschad
Mit Mahmud Ahmadinedschad wurde 2005 der Wunschkandidat Chameneis Präsident. Damit avancierte ein ultrakonservativer Populist zum zweiten Mann im Staat, wie es die iranische Verfassung nennt. Der Präsident ist Regierungschef und darf maximal zwei Amtszeiten zu je vier Jahren im Amt bleiben.
Ahmadinedschad wurde vom iranischen Volk gewählt und gewann damals im zweiten Wahlgang. Wie auch bei seiner jetzigen Wiederwahl sah er sich damals mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs konfrontiert.
Ahmadinedschad gilt als ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der die Interessen der kleinen Leute vertritt. In Biografien heißt es, seine Eltern hätten gespart, um ihrem Sohn eine Ausbildung an einer teuren Privatschule zu ermöglichen. Ahmadinedschad studierte demnach Bauingenieurwesen. 2003 wurde er Bürgermeister der iranischen Hauptstadt Teheran.
Wie Chamenei tritt Ahmadinedschad für ein Leben nach den Gesetzen des Islam ein. Er verbot das Abspielen westlicher Musik in der Öffentlichkeit und fordert immer wieder die Rückkehr zu den Werten der islamischen Revolution. Gleichwohl kündigte er 2005 an, als Präsident eine "gemäßigte Politik" verfolgen zu wollen, die Extremisten keinen Platz einräume.
Oppositionelle Kreise sehen in Ahmadinedschad einen Machtmenschen, der sich für seine Ziele auch über das Recht hinwegsetzt. Er fühle sich durch den Rückhalt bei Chamenei in seinem Weg bestärkt, den er rücksichtslos verfolge, heißt es.
Beobachtern zufolge wächst aber die Zahl seiner Kritiker, insbesondere Intellektuelle und Studenten sind enttäuscht, weil eine Öffnung des Landes ausbleibt.
Milliardär in göttlicher Mission - Ali Akbar Haschemi Rafsandschani
Vorsitzender des Expertenrats und des Schlichtungsrats ist Ahmadinedschads Gegner Ali Akbar Haschemi Rafsandschani. Der Geistliche war ab 1989 als Nachfolger Chameneis Staatspräsident und durfte nach zwei Amtsperioden 1997 nicht zur Wiederwahl antreten.
Bei der Präsidentschaftswahl 2005 kandidierte er jedoch erneut und lag nach dem ersten Wahlgang mit 21 Prozent sogar vorne. Im zweiten, entscheidenden Durchgang unterlag er jedoch unerwartet Ahmadinedschad. Chamenei ernannte ihn daraufhin erneut zum Vorsitzenden des Schlichtungsrats mit seinen 28 Mitgliedern, der zwischen dem Parlament und dem Wächterrat vermittelt. Zudem wurde er 2007 zum Vorsitzenden des Expertenrats gewählt, der mit seinen 86 vom Volk gewählten Geistlichen den religiösen Führer des Landes bestimmt.
Rafsandschani war wie Chamenei Schüler von Chomeini, gilt aber als Pragmatiker und hat daher auch Sympathien in westlichen Regierungen. So kritisierte er Ahmadinedschads israelfeindliche Äußerungen und erklärte, man achte das Judentum und stelle das Existenzrecht und die Souveränität Israels nicht in Frage. Auch die strengen Kleidungsvorschriften für Frauen in Iran passten nicht in die Zeit, erklärte er.
Gleichwohl sieht er sich auf göttlicher Mission: Im Wahlkampf 2005 erklärte er beispielsweise, er habe sich "bis zum letzten Abend nicht entschließen können, die bittere Pille der Kandidatur noch einmal zu schlucken. Aber dann sah ich mich am Tag des Jüngsten Gerichts vor dem Herrgott stehen, und er fragte mich, warum ich nicht noch einmal angetreten bin". Umso schwerer hat er es verwunden, dass er dann gegen Ahmadinedschad scheiterte.
Seine Kritiker werfen ihm Korruption, Misswirtschaft und die Unterstützung von Terroristen vor. Der Milliardär - sein Vermögen speiste sich unter anderem aus Pistazienexporten und dem Engagement seiner Familie im Tourismus - sei in erster Linie ein Geschäftemacher. Politische Beobachter sehen in ihm und nicht in Ahmadinedschad den zweitmächtigsten Mann des Landes hinter Chamenei.
Oberster Wächter - Ajatollah Ahmed Dschannati
Dem zwölfköpfigen Wächterrat sitzt Ajatollah Ahmed Dschannati vor. Der 1926 geborene Geistliche ist seit der islamischen Revolution Mitglied dieses mächtigen Gremiums, zudem sitzt er im Expertenrat und Schlichtungsrat. Er gilt als ultrakonservativ und dem Westen gegenüber extrem kritisch eingestellt. So erklärte er im Oktober, nach Ausbruch der weltweiten Finanzkrise, diese sei "der strafende Finger Gottes", der die Menschen "die Früchte ihrer schlechten Tage ernten lässt".

Wächterratsvorsitzender Dschannati: Wahlempfehlung für Ahmadinedschad
Foto: VAHID SALEMI/ APBeobachter halten Dschannati für sehr einflussreich. Dass der Wächterrat das jetzt kritisierte offizielle Wahlergebnis nun überprüfen will, dürfte aber eher symbolischen Charakter haben. Dschannati hatte sich bereits vor der Wahl für Ahmadinedschad ausgesprochen.
Sämtliche reformorientierten Kandidaten zur Präsidentschaftswahl waren vom Wächterrat disqualifiziert worden. Zudem hat Chamenei Ahmadinedschad bereits zu seinem Wahlsieg gratuliert - dem Wächterrat steht es nicht zu, Entscheidungen des geistlichen Oberhauptes zu kritisieren oder gar zu widerrufen. Dschannati werden wegen seines fortgeschrittenen Alters wenig Ambitionen auf einen Machtzuwachs nachgesagt.
Konservativer mit Zukunft - Ali Laridschani
Parlamentspräsident Ali Laridschani dagegen gilt als Mann der Zukunft und als potentieller Nachfolger von Präsident Ahmadinedschad. 2005 kandidierte er erstmals für das Amt und galt als Favorit der Traditionalisten, doch als Chef des staatlichen Fernsehsenders IRBIB hatte er nur konservative Stimmen zu Wort kommen lassen - die Iraner straften den Gegner der Reformpolitik des beliebten ehemaligen Präsidenten Mohammed Chatami daher ab. Laridschani erzielte nur knapp sechs Prozent der Stimmen.
Unter Rafsandschani war Laridschani - der Mathematiker und Philosoph - Kulturminister. Als Chefunterhändler des iranischen Atomprogramms vertrat Laridschani später den harten Kurs Ahmadinedschads. Jedoch legte er aus Protest gegen den Politikstil Ahmadinedschads im November 2007 sein Amt nieder und wurde im Mai 2008 zum Parlamentspräsidenten gewählt.
Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE erklärte er noch im Februar 2009, er wisse nicht, ob er zur Präsidentenwahl antrete. Wegen der Unterstützung der mächtigen Geistlichen im Land für Ahmadinedschad verzichtete Laridschani dann auf eine Kandidatur.