
Irans Reformer Karrubi "Geht hinaus, seid tapfer"
SPIEGEL ONLINE: Herr Karrubi, vor Ihrem Haus standen bis eben zwei Wachen. Hat das Regime Sie unter Hausarrest gestellt?
Karrubi: So würde ich das nicht nennen. Ich darf mein Haus ja verlassen. Aber sie haben meine Partei "Etemad-e Melli" ("Nationales Vertrauen") und mein Büro geschlossen, meine Zeitung gleichen Namens wurde verboten. Und ich habe ständig Polizei um mich herum. Wer mich besuchen will - Abgeordnete, Intellektuelle, Freunde - wird registriert, befragt und muss mit Konsequenzen rechnen.
SPIEGEL ONLINE: Werden Ihre Aktivitäten vom Geheimdienst überwacht?
Karrubi: Es gibt im Persischen ein schönes Bild: Die Wände haben Mäuse, die Mäuse haben Ohren, also können die Wände hören. Zudem hat das Regime 14 Leute zu meinem sogenannten Schutz abgestellt. Sie sollen mich "vor Terroristen schützen", wurde ich belehrt. Doch die eigentliche Aufgabe dieser Männer ist es, Informationen zu sammeln. Als ich aber vor einiger Zeit angegriffen wurde, haben diese Beschützer nichts unternommen, um mich zu verteidigen. Falls ich getötet werden sollte, kann ich nur empfehlen, erst einmal zu prüfen, ob der Täter nicht aus dem Umfeld meiner Beschützer kommt.
SPIEGEL ONLINE: Trotz der Repressionen in den vergangenen Monaten haben Sie ihren Humor nicht verloren.
Karrubi: Soll ich mich von meinen Gegnern zermürben lassen? Nein. Ich habe unter dem im Gefängnis gesessen, mit Imam für diese gekämpft. Dieser Staat ist mein Kind, das ich nicht aufgeben werde, so lange ich lebe.
"Meinen jüngsten Sohn haben sie schwer misshandelt"
SPIEGEL ONLINE: Viele Menschen können dem Druck des Regimes nicht so standhalten wie Sie, verspüren große Angst.
Karrubi: Ja, es lastet viel auf unserem Volk, und die Furcht ist groß. Die Menschen wissen, welches Aufgebot an Polizei und Milizen ihnen gegenübersteht. Sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie aufbegehren: Sie verlieren ihre Arbeit, ihre Ämter, ihre Zukunft. Es erwarten sie Prügel, Verhaftung, Verhöre und Schlimmeres. Deshalb ist es so ruhig geworden.
SPIEGEL ONLINE: Bleiben Sie dabei, dass verhaftete Oppositionelle zu Tode gefoltert wurden?
Karrubi: Natürlich war ich nicht Zeuge dieser Taten, aber ich vertraue den Quellen, aus denen die Informationen stammen. Ich weiß von vier Todesfällen durch Folter.
SPIEGEL ONLINE: Vor allem hat sich das Regime, das die Tugend so hoch hält, über Ihre Behauptung geärgert, es sei auch zu Vergewaltigungen gekommen.
Karrubi: Ich kenne fünf Fälle: drei Frauen und zwei Männern wurde das angetan. Was immer man mir androht: Ich bleibe bei meiner Aussage. Beim Freitagsgebet bin ich dafür tätlich angegriffen worden. Aber soll ich deswegen von meiner Überzeugung abweichen?
SPIEGEL ONLINE: Die Zustände in den Gefängnissen erinnern erschreckend an die schlimme Zeit unter Schah Mohammed Resa Pahlewi.
Karrubi: Zwei Unterschiede gibt es: Beim Schah wurde von "Experten" systematisch gefoltert. Das ist heute nicht so. Die Fälle sind Auswüchse, Verfehlungen Einzelner, die nicht im Auftrag der Führung gehandelt haben. Anders als heute durfte beim Schah aber zumindest öffentlich um die Opfer getrauert werden. Das hat den Seelen der Menschen gutgetan.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Angst, selbst Opfer dieser Folterknechte zu werden?
Karrubi: Nein, denn wir haben kein System der Folterer. Außerdem bin ich Schüler des Imam Chomeini, für den nur drei Handlungsmaximen galten: Standhaftigkeit, Ehrlichkeit, Kampfbereitschaft.
SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht nur eine Frage der Zeit, bis auch Sie abgeholt werden? Von Ihren Mitarbeitern sind die meisten bereits verhaftet.
Karrubi: Sie haben so viele weggegriffen, dass ich eine genaue Zahl gar nicht nennen kann. Ich schätze, 50 Mitstreiter hat es getroffen, darunter wichtige Helfer wie den Leiter meines Webblogs. Meinen jüngsten Sohn Ali, 37, haben sie schwer misshandelt.
"Sanktionen sind eine weitere Belastung für die Bevölkerung"
SPIEGEL ONLINE: Aber Ex-Premier , der ebenso wie Sie gegen bei der Präsidentschaftswahl am 12. Juni angetreten ist und vielen als der eigentliche Wahlsieger gilt, steht weiterhin an Ihrer Seite?
Karrubi: Wir haben noch immer engen Kontakt, schreiben uns, telefonieren miteinander. Zum vertraulichen Gespräch treffen wir uns mindestens einmal im Monat. Unsere Berater sehen sich viel öfter. Mussawi und ich arbeiten für die gleichen Ziele: Wir wollen kein anderes System. Unsere Verfassung garantiert ja Meinungsfreiheit und Demokratie. Wir wollen, dass diese Rechte verwirklicht werden.
SPIEGEL ONLINE: Doch um die Reformbewegung ist es still geworden.
Karrubi: Auf der Straße ist es ruhig. Aber täuschen Sie sich nicht. Die Reformgedanken verbreiten sich mit jedem Tag weiter. Die Menschen warten nur auf einen Funken.
SPIEGEL ONLINE: Und Sie werden diesen Funken schlagen?
Karrubi: Für den Jahrestag unserer Großkundgebung am 15. Juni, auf der rund drei Millionen Menschen gegen die Manipulation der Wahlergebnisse demonstrierten, rufen wir zu einer neuen friedlichen Versammlung auf. Der Antrag auf Genehmigung liegt bereits vor.
SPIEGEL ONLINE: Das Regime hat aus Angst vor Machtdemonstrationen Ihrer Bewegung ein Demonstrationsverbot erlassen, das bestimmt nicht zum Jahrestag aufgehoben wird.
Karrubi: Wichtig ist, dass wir die Menschen zu weiteren Protesten ermutigen. Ohne Gewalt, aber mit aller Kraft.
SPIEGEL ONLINE: Dann ist neues Blutvergießen programmiert.
Karrubi: Diese Regierung versteht es meisterlich, die Unzufriedenheit der Menschen zu verstärken. Deshalb werden sie zu gegebener Zeit trotz aller Bedenken aufbegehren, gegen diese aggressive Außenpolitik, die miserable Wirtschaftspolitik. Um jedes weitere Opfer tut es mir leid. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich das berührt. Aber was sollen wir machen? Aufgeben? Nein, die Menschen wären schwer enttäuscht, wenn wir sie aufrufen würden, zu Hause zu bleiben. Sie wollen, dass wir ihnen Mut machen, dass wir sagen: Geht hinaus, seid tapfer.
SPIEGEL ONLINE: Wie groß ist eigentlich noch Ihr und Mussawis Einfluss auf die Bewegung?
Karrubi: Was geschehen ist, war eine Folge des angestauten Unmuts. Die Demonstranten teilen unseren Ruf nach Freiheit, fordern nur ein, was ihnen zusteht.
"Ahmadinedschad ist ein Unglück für das Volk"
SPIEGEL ONLINE: Darüber hinaus wurden aber auch andere Forderungen erhoben: Das System solle abgeschafft werden, Revolutionsführer müsse zurücktreten.
Karrubi: Es sind nur wenige, die so weit gehen. Die große Mehrheit sagt: Wir haben eine Revolution gemacht, das reicht uns. Wir wollen keinen völlig neuen Kurs einschlagen, sondern den bisherigen korrigieren.
SPIEGEL ONLINE: Der Uno-Sicherheitsrat wird wohl demnächst eine neue Resolution mit schärferen Sanktionen beschließen, weil das Regime im Nuklear-Konflikt nicht einlenkt. Begrüßen Sie das?
Karrubi: Auf gar keinen Fall. Sanktionen sind eine weitere Belastung für die Bevölkerung. Wenn das Ausland uns helfen will, soll es die Beachtung der Menschenrechte einfordern. Aber eigentlich brauchen wir das Ausland nicht. Wir haben gelernt, auf unseren eigenen Füßen zu stehen.
SPIEGEL ONLINE: Sollte die Welt überhaupt noch mit diesem Präsidenten reden?
Karrubi: Dieser Mann ist ein Unglück für das Volk. Aber er ist nun mal im Amt, da kann man ihn nicht ignorieren.
SPIEGEL ONLINE: Akzeptieren Sie Ahmadinedschad aber als Präsidenten?
Karrubi: Nein. Die Wahlergebnisse wurden gefälscht. Doch er ist in dieser Funktion, und deshalb muss er zur Verantwortung gezogen werden, für das, was passiert.
SPIEGEL ONLINE: Der Revolutionsführer hat die Wahl für rechtens erklärt. Wer Ahmadinedschads Präsidentschaft anzweifelt, stellt damit auch die Autorität Chameneis in Frage.
Karrubi: Interpretieren Sie das, wie Sie wollen. Ich möchte mich nicht zum Revolutionsführer äußern.
SPIEGEL ONLINE: Rechnen Sie mit einem Einlenken der Führung?
Karrubi: Ich sehe nicht, dass Ahmadinedschad seine volle Amtszeit von vier Jahren durchsteht. Er stiftet jeden Tag neue Unruhe. Selbst dieses konservative Parlament liegt mit ihm im Streit. Nein, so wie jetzt kann es nicht weitergehen.
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie noch an die Zukunft des Gottesstaates?
Karrubi: Ja, aber nicht an den Gottesstaat des Dr. Ahmadinedschad. In meinem Gottesstaat sind die Menschen frei, und die Regierung wird vom Volk gewählt.
Das Gespräch führte Dieter Bednarz in Teheran