Irans Regierung in der Coronakrise Die Versager

Irans Präsident Rohani: Vertuschung und Verharmlosung
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Menschen können sich auf das Coronavirus testen lassen. Aber auch das Virus testet seinerseits Staaten und Regierungen darauf, wie schnell, rational und diszipliniert sie reagieren.
China, wo das neue Coronavirus seinen Ausgang nahm, hat Zehntausende Infizierte, mehrere Tausend Tote. Aber die Zahl der Neuansteckungen sinkt seit Tagen, so die Angaben der chinesischen Regierung. Iran hat, so die offiziellen Angaben vom Donnerstagmorgen, 10.000 Angesteckte und 429 Tote. Doch dort steigen die Zahlen dramatisch, sie sind nach Informationen von Ärzten aus verschiedenen Städten ohnehin gefälscht.
In Iran ist die Epidemie dabei, außer Kontrolle zu geraten. Wenige mutige Ärzte und Provinzverantwortliche machen immer wieder dramatische Lagebilder bekannt. Als am Sonntag die Zahl der Toten landesweit mit 194 angegeben wurde, meldete der Gesundheitsverantwortliche der Provinz Gilan am Kaspischen Meer öffentlich: Allein in seiner Provinz seien schon 200 Menschen gestorben.
"Wir schreien um Hilfe"
Stunden später verschwand sein Statement aus dem Netz, bei der Staatsagentur Farsnews korrigierte sich der Mann: Seine Zahlen hätten sich nicht auf Corona bezogen, sondern andere Atemwegserkrankungen. Warum die auf einmal dort grassieren sollten, erklärte er nicht.
In der nahen Provinz Golestan machte der Gesundheitschef am selben Tag seiner Wut auf einer Pressekonferenz Luft: "Wir schreien das Gesundheitsministerium um Hilfe an, dass wir schon 594 Coronafälle haben! Aber die sagen nur, dass ihnen von uns ja keine positiven Testergebnisse vorlägen, wir sollten warten", sagte der Arzt Abdulreza Fazel.
Im ganzen Norden seien die Krankenhäuser überfordert, erzählen Ärzte aus Gilan, Mazanderan. Sie würden nicht nur Infizierte, sondern selbst Erkrankte abweisen. Die meisten Mediziner wollen nur anonym Auskunft geben, da sie und das Pflegepersonal von den Sicherheitsbehörden bedroht würden, nichts nach außen dringen zu lassen: keine Fallzahlen, keinen Mangel an Betten oder Schutzkleidung. Dies sei "eine Frage der nationalen Sicherheit".

Arbeiter in Teheran desinfiziert den Schrein eines schiitischen Heiligen
Foto: Ebrahim Noroozi/ picture alliance/dpaÜberdies gibt es Berichte aus mehreren Städten, wie die Todesursache von Covid-19-Patienten systematisch verschwiegen werde: "Die Ärzte schreiben 'Atemstillstand' auf den Totenschein", twitterte der Abgeordnete Ahmed Farahani aus Ghom, wo die Epidemie in Iran ihren Ausgang nahm: "Aber sie wissen sehr wohl, dass die Patienten im Corona-Quarantänebereich gestorben sind." Die offiziellen Zahlen seien "ein Witz", viel niedriger als die echten, sekundierte ein Abgeordneter aus Gilan.
Die "Washington Post" veröffentlichte am Donnerstag Satellitenaufnahmen, die einen gigantischen Friedhof zeigen, den die iranischen Behörden südlich von Teheran offenbar für Corona-Opfer angelegt haben.
Die Führung der Islamischen Republik, um Staatsoberhaupt Ali Chamenei und Präsident Hassan Rohani, fährt seit einem Monat einen Schlingerkurs aus Vertuschung, Verschwörungsirrsinn und Verharmlosung. Dieser Kurs hat sie jene entscheidenden Wochen gekostet, in denen sich die Ausbreitung über alle 31 Provinzen hätte bremsen lassen. Sie tut dies aus der fatalen Gewohnheit, für jede Bedrohung einen äußeren Feind, im Zweifelsfall die USA, verantwortlich zu machen.
Coronavirus: Coronaviren sind eine Virusfamilie, zu der auch das derzeit weltweit grassierende Virus Sars-CoV-2 gehört. Da es anfangs keinen Namen trug, sprach man in den ersten Wochen vom "neuartigen Coronavirus".
Sars-CoV-2: Die WHO gab dem neuartigen Coronavirus den Namen "Sars-CoV-2" ("Severe Acute Respiratory Syndrome"-Coronavirus-2). Mit der Bezeichnung ist das Virus gemeint, das Symptome verursachen kann, aber nicht muss.
Covid-19: Die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Atemwegskrankheit wurde "Covid-19" (Coronavirus-Disease-2019) genannt. Covid-19-Patienten sind dementsprechend Menschen, die das Virus Sars-CoV-2 in sich tragen und Symptome zeigen.
Vor Tagen verkündete der Chef der Pasdaran, der Revolutionswächter, in vollem Ernst: "Es könnte sich um einen Angriff der USA mit biologischen Waffen handeln." Iran befinde sich in einem biologischen Krieg, so Generalleutnant Hussein Salami: "Doch auch diesmal werden wir gewinnen. Die USA müssen wissen: Wenn sie das Virus verbreitet haben, wird es wieder zu ihnen zurückkehren."
Abgesehen von der geografischen Ignoranz, den chinesischen Ursprungsort Wuhan nach Amerika zu verlegen, offenbart sein Statement ein tiefliegendes Dilemma: Wenn das Virus ein Angriff der üblichen Gegner ist, bedeutet jede Notfallmaßnahme, jede Einschränkung ja eine Teilkapitulation vor dem "großen Satan" USA.
"Es könnte sich um einen Angriff der USA mit biologischen Waffen handeln"
So sind heilige Stätten in Ghom und Maschhad, Epizentren iranischen Selbstbewusstseins, zwar weit leerer als sonst, aber eben bis heute nicht geschlossen worden, obwohl durchströmende schiitische Pilger aus zig Ländern ein immenses Risiko bedeuten. Ebenso wenig, wie die ganze Stadt Ghom unter Quarantäne gestellt wurde. Das wäre ja eine Niederlage vor dem Feind.
Während China nach wenigen Anfangstagen der Vertuschung rigoros Städte unter Quarantäne stellte, hat diese Umkehr in Iran bis heute nicht stattgefunden. Wie üblich in den Kriegen versprach Revolutionsführer Khamenei stattdessen, die Toten des gegenwärtigen Abwehrkampfes unter dem medizinischen Personal als Märtyrer anzuerkennen.
Schon der Beginn der Epidemie war in den Augen Khameneis und seiner Gefolgschaft eine Verschwörung: "Die Feinde Irans" hätten "negative Propaganda über das Virus verbreitet", um die erwartbar niedrige Beteiligung an den Parlamentswahlen mit ihrer handverlesenen Kandidatenauswahl weiter zu senken.
Längst verbreitet sich das Virus von Iran aus in andere Länder, kamen zwei der drei ersten Infizierten in Hamburg direkt von dort, wurden allein am Mittwoch in Bahrain 77 Ankommende in einem einzigen Flugzeug aus Iran positiv getestet. Tags zuvor hatte die Gesundheitsbehörde der pakistanischen Provinz Sindh bekannt gegeben, sechs aus Syrien zurückgekehrte Männer positiv auf das Coronavirus getestet zu haben - mutmaßlich Söldner des multinationalen Milizverbands, der unter iranischer Führung seit 2012 in Syrien kämpft.
Womit auch das beharrliche Dementi des syrischen Regimes, im ganzen Land gebe es bis heute keinen Coronal-Fall, als Lüge entlarvt ist. Und womit die weitere Ausbreitung auch unter den Tausenden irakischen, afghanischen, libanesischen Kämpfern in Syrien bevorstehen dürfte, die das Virus anschließend in ihre Heimatländer tragen.
Darin, die Öffentlichkeit zu belügen, sind die Mullahs ausgerechnet ihrem Erzfeind ziemlich ähnlich: US-Präsident Donald Trump, der wochenlang versucht hat, Corona per Twitter kleinzureden.