Sexuelle Sklaverei unter dem IS "Dies ist ein Krieg gegen Frauen"

Gefangene Frauen erwartet beim IS ein grausames Schicksal: Viele werden versklavt und gefoltert. Die Uno-Sonderbeauftragte Zainab Hawa Bangura hat mit Überlebenden gesprochen. Sie erklärt die Taktik hinter der Gewalt.
Jesidische Frauen in Kirkuk (Symbolbild): Oft wartet ein Leben in der Sklaverei

Jesidische Frauen in Kirkuk (Symbolbild): Oft wartet ein Leben in der Sklaverei

Foto: STRINGER/IRAQ/ REUTERS
Zur Person

Zainab Hawa Bangura, 55, ist die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten. Zuvor war sie, als erst zweite Frau auf diesem Posten, Gesundheitsministerin in ihrem Heimatland Sierra Leone. Als langjährige Aktivistin für Konfliktlösung und Versöhnung in Afrika wurde sie mit mehreren Menschenrechtspreisen ausgezeichnet. Sie studierte in London, Nottingham und an der University of Sierra Leone und ist Muslimin.

SPIEGEL ONLINE: Frau Bangura, Sie waren gerade im Nahen Osten, um Berichten über sexuelle Gewalt des 'Islamischen Staats' (IS) gegen Frauen nachzugehen. Was haben Sie herausgefunden?

Bangura: Dies ist ein Krieg gegen Frauen. Viele Opfer in den Gebieten unter Kontrolle des IS sind Frauen und Mädchen, meist aus religiösen und ethnischen Minderheiten. Sie werden Vergewaltigungen, Zwangsehen, Zwangsabtreibungen und sexueller Sklaverei unterworfen.

SPIEGEL ONLINE: Was genau passiert mit diesen Frauen?

Bangura: Die Gewalt ist institutionalisiert und mittelalterlich. Wenn IS-Einheiten zum Beispiel in eine Jesiden-Gemeinde kommen, treiben sie alle Bürger zusammen. Männer über 14 Jahren werden getötet, die Frauen ausgesondert. Sie untersuchen die Frauen, ziehen sie nackt aus, waschen sie. Sie wissen, wer Jungfrau ist, und wer nicht. Die 'wertvollsten' werden nach Rakka gebracht, in ihre 'Hauptstadt'. Der Rest wird auf öffentlichen Märkten verkauft. Manche werden für Hunderte oder Tausende Dollar verkauft, andere für eine Schachtel Zigaretten.

SPIEGEL ONLINE: Wer kauft die Frauen?

Bangura: Es gibt eine Hierarchie: Erst die höheren Ränge, dann die Kämpfer. Sie benutzen die Frauen auch, um junge Kämpfer aus dem Ausland anzulocken. Die Botschaft: 'Wir haben Frauen, die Ihr heiraten könnt.'

SPIEGEL ONLINE: Was erwartet die Frauen nach dem Verkauf?

Bangura: Einige sind gerade mal 12, 14 Jahre alt, die Männer sind nicht selten 50 oder 60. Die Frauen werden vergewaltigt. Sie werden grausamen sexuellen Praktiken unterworfen. Wenn sie sich verweigern, werden sie bestraft, manchmal mit dem Tode. Wir haben von einem 20-jährigen Mädchen gehört, das bei lebendigem Leib verbrannt wurde, weil es sich geweigert hatte, einen extremen Sexualakt zu vollziehen. Mehrere Frauen haben in der Gefangenschaft Suizid begangen oder versucht, sich umzubringen.

SPIEGEL ONLINE: Warum richtet sich der IS gezielt gegen Frauen?

Bangura: Das sind keine willkürlichen Akte. Frauen werden ganz systematisch zu Opfern gemacht. Das dient den strategischen Zielen und der Ideologie des IS. Sie benutzen den Terror und das Trauma sexueller Gewalt, um ihre Agenda durchzusetzen.

SPIEGEL ONLINE: Welche Agenda?

Bangura: Frauen sind das Gewebe der Familie und der Gesellschaft. Der schnellste Weg, eine Gesellschaft zu zerstören, ist es, ihre wertvollsten Bestandteile zu zerstören. Wer eine Frau vergewaltigt, vergewaltigt auch eine Gemeinschaft und eine Familie. Die sexuelle Gewalt reißt diese Gesellschaften auseinander.

SPIEGEL ONLINE: Hat Sie das, was Sie erfahren haben, angesichts all der Horrorgeschichten über den IS noch überraschen können?

Bangura: Es hat mich extrem schockiert. Das gilt auch für das Stigma und die vielen Tabus, die selbst die Betroffenen und ihre Angehörigen daran hindern, darüber zu reden.

SPIEGEL ONLINE: Die Opfer werden von ihren eigenen Familien verleugnet?

Bangura: Eine der schockierendsten Erkenntnisse war für mich, wie stark diese Kultur des Leugnens und des Schweigens ist.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie die Überlebenden denn überzeugt, mit Ihnen zu sprechen?

Bangura: Für mich als Frau ist das etwas einfacher, und ich stamme ja selbst aus einem Konfliktland. Ich habe schon lange mit Opfern sexueller Gewalt zu tun. In meinem Heimatland Sierra Leone wurden Zehntausende Frauen vergewaltigt. Die IS-Überlebenden, mit denen ich sprach, wussten nicht, dass das auch anderen zugestoßen ist. Es gibt ihnen Hoffnung, dass andere Länder damit erfolgreich umgehen konnten.

SPIEGEL ONLINE: Die internationale Staatengemeinschaft scheint bisher aber ziemlich hilflos. Die Uno hat zahlreiche Resolutionen gegen den IS verabschiedet, ohne viel Erfolg.

Bangura: Wir brauchen den politischen Willen, diese Resolutionen auch entschieden durchzusetzen. Ein Teil meiner Aufgabe ist es, diesen politischen Willen zu wecken. Wir haben mit dem IS einen furchtbaren Feind, gegen den militärische Lösungen allein nichts ausrichten werden.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind selbst Muslimin. Wie bewerten Sie die bisherige Reaktion der muslimischen Welt?

Bangura: Wir müssen die fortschrittlichen Stimmen stärken, vor allem aus der muslimischen Welt. Im September hat eine Gruppe von 126 muslimischen Gelehrten den IS in einem offenen Brief kritisiert, auch wegen seiner Missachtung der Frauenrechte. Als ich vergangenes Jahr selbst in Mekka war, habe ich einen Imam gegen den IS predigen gehört. Doch diese Dinge dringen nicht genug durch.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es auch vorbildliche Beispiele?

Bangura: Ich war gerade in Deutschland und habe Außenminister Steinmeier getroffen. Sein Wissen hat mich sehr beeindruckt. Er ist einer der wenigen, mit denen ich gesprochen habe, die eine so tiefe Kenntnis dieses Problems haben. Auch war ich sehr beeindruckt, dass Bundeskanzlerin Merkel beim G7-Gipfel die Frage der Frauenrechte im Rahmen unserer Anti-Terror-Politik thematisiert hat. Sie übernimmt da eine Führungsrolle, was mich sehr freut.

SPIEGEL ONLINE: Was passiert nun mit den Ergebnissen Ihrer Reise?

Bangura: Unsere Recherchen werden in den nächsten Uno-Bericht über sexuelle Gewalt in Konflikten eingehen. Sexuelle Gewalt, erst recht wenn sie so systematisch angewandt wird, hat keinen Platz im 21. Jahrhundert.

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