Isaf-Einsatz "In 20 Jahren ist Afghanistan ein besserer Platz"
SPIEGEL ONLINE: Viele Deutsche würden in Afghanistan am liebsten aus der US-geführten Kriegsmission Operation "Enduring Freedom" (OEF) aussteigen und sich nur noch am Wiederaufbau des Landes beteiligen. Ihnen geht es vor allem darum, ein Zeichen zu setzen gegen den Krieg. Was bedeutete das für die Isaf-Mission?
Kasdorf: OEF ist bis heute eine wichtige Ergänzung zum Isaf-Einsatz und auch nur schwer davon zu trennen. Wenn es OEF nicht mehr gäbe, würden uns erhebliche Kräfte fehlen, nicht nur im Anti-Terrorkampf. Amerikanische OEF-Soldaten trainieren die afghanische Armee und die Polizei. Isaf ist weit davon entfernt, all diese Aufgaben mit übernehmen zu können.
SPIEGEL ONLINE: Von außen scheint es häufig, als wenn die aggressive Kriegsführung den Aufstand noch befeuert.
Kasdorf: Nochmal: Ein Ausstieg aus OEF wäre nicht hilfreich. Die Amerikaner trifft es sehr, wenn ihnen von Europa brutales Vorgehen vorgeworfen wird. Wenn es OEF nicht gäbe, kämen die Aufständischen verstärkt ins Land und hielten sich hier ungehindert auf, was auch den Erfolg von Isaf bedrohen könnte. Wir von Isaf haben nicht die Kräfte, selbst gegen die Extremisten vorzugehen. Nebenbei gesagt, gibt unser Mandat die Terrorbekämpfung auch nicht her.
SPIEGEL ONLINE: Die Deutschen haben zwar angekündigt, sich beim Aufbau der Sicherheitskräfte mehr zu engagieren, lehnen es jedoch gleichzeitig strikt ab, ihre Soldaten in den umkämpften Süden zu schicken. Internationale Ausbilder der afghanischen Nationalarmee gehen nach Abschluss des Trainings aber üblicherweise mit ihrem Bataillon auch in den Kampfeinsatz. Ein unlösbares Dilemma?
Kasdorf: Die Einschränkung, wie sie die Deutschen vornehmen, wird hier nicht als optimal angesehen. Wenn eine Nation Ausbildungsaufgaben übernimmt, ließen sich die Teams aber notfalls durch Reserve-Teams ersetzen, wenn die Afghanen dann in den Kampf gehen. Darüber diskutieren wir gerade. Wenn alle Nationen mit dem gleichen Auftrag in ein Krisengebiet gehen, und dann einzelne sagen, wir machen nur etwas ganz bestimmtes, ist das schwierig. Es muss uns klar sein, dass der Rest Afghanistans samt dem Norden nur dann sicher sein wird, wenn wir im Osten und im Süden Erfolg haben.
SPIEGEL ONLINE: Fast jeden Tag wird im Isaf-Hauptquartier Halbmast geflaggt, weil Nato-Soldaten im Einsatz sterben. Gleichzeitig werden fast täglich Dutzende Taliban-Kämpfer getötet, darunter hochrangige Taliban-Führer wie kürzlich Mullah Bredar aus dem direkten Führungskreis von Taliban-Chef Mullah Omar. Wie stark sind die Taliban heute?
Kasdorf: Ihre Strukturen haben erheblich gelitten. Viele ihrer Führer wurden getötet, das hat die Taliban durchaus geschwächt. Führer lassen sich eben nicht so leicht ersetzen, sie benötigen ja auch ein gewisses Charisma. Aber wir müssen die von uns erzielten Effekte stets in einem größeren Zusammenhang sehen. Nicht nur der Extremismus und die Taliban bedrohen uns. Entscheidend ist der Grad der Sicherheit im Land, damit die Regierung vorankommt, sich Autorität verschafft und der Wiederaufbau sichtbar wird.
SPIEGEL ONLINE: Die einfachen Menschen klagen, dass sie auch sechs Jahre nach dem Sturz der Taliban nicht sicher sind und sich die Lebenverhältnisse nicht spürbar gebessert haben. Vor allem die Polizei ist in einem miserablen Zustand und korrupt von der Spitze bis zum Streifenbeamten.
Kasdorf: Die Bürger müssen sich mit ihren eigenen Behörden und Sicherheitskräften identifizieren. Wenn das nicht gelingt, dann wird es nicht gehen. Ämter müssen endlich nach Kompetenz vergeben werden, nicht nach Beziehungen oder an den gehen, der am meisten dafür bezahlt. Das ist leider aber üblich hier.
SPIEGEL ONLINE: Woher nehmen Sie noch Ihren Optimismus?
Kasdorf: Es wurde wirklich viel erreicht. Sieben Millionen Kinder gehen zur Schule, es gibt zehn Universitäten und 11.000 Kilometer Straße wurden gebaut. Das sieht vielleicht nicht der Bauer in der Provinz, aber irgendwann einmal werden ihn die positiven Auswirkungen dieser Entwicklung erreichen.
SPIEGEL ONLINE: Inzwischen sind 40.000 Isaf-Truppen im Einsatz. Sie aber fordern noch mehr Soldaten, obgleich sich durch die Verstärkung des militärischen Engagements bisher keine Besserung abzeichnet.
Kasdorf: Wir brauchen tatsächlich mehr Kräfte, um Gebiete zu sichern und zu halten. Das ist aber nur ein Aspekt. Mindestens ebenso notwendig sind Ausrüstung, Lufttransport, Aufklärungsmittel und vor allem der Einsatz von Fachleuten. Wir benötigen viel mehr Entwicklungsprofis, Berater, Polizisten. Ich bin sicher, in 20 Jahren ist Afghanistan ein besserer Platz. Aber wir alle, also auch die Deutschen, müssen sich überlegen, was sie in Afghanistan wollen, welche Interessen sie hier haben und ob sie bereit sind, dafür die notwendigen Ressourcen einzusetzen.
Das Interview führte Susanne Koelbl