Kritik an Obamas Anti-Terror-Kurs Der Getriebene

Der Terror von Paris wird zur Belastung für Barack Obama. Im In- und Ausland steht der US-Präsident massiv unter Druck: Er soll mehr Härte gegen den IS zeigen. Doch er zögert.
US-Präsident Obama: "Ich werde die Spielchen nicht mitmachen"

US-Präsident Obama: "Ich werde die Spielchen nicht mitmachen"

Foto: JONATHAN ERNST/ REUTERS

Barack Obama ist am Dienstagmorgen in Manila gelandet, der Hauptstadt der Philippinen. Drei Tage will der US-Präsident im Inselstaat verbringen. Er möchte ein Signal setzen für die wachsende Bedeutung Asiens und Amerikas Suche nach neuen Partnern. Manila ist ein paar tausend Kilometer von zu Hause entfernt, aber die Nachrichten und Diskussionen von daheim werden ihn verfolgen, so viel ist sicher.

Es sind schwere Zeiten für Obama. Der höchstwahrscheinlich aus Syrien gesteuerte Terror und die Angriffe von Paris sind eine globale Belastung, aber auch eine für ihn ganz persönlich. Die Anschläge haben die Frage aufgeworfen, ob der Westen genügend tut, um dem "Islamischen Staat" (IS) zu begegnen. Und weil die USA an der Spitze einer Koalition stehen, die seit Monaten versucht, die Schlächter vom IS zu bekämpfen, ist es vornehmlich der US-Präsident, der die Frage zu beantworten hat.

Obama, der im Anti-Terror-Kampf vor vier Jahren mit der Tötung von Osama Bin Laden noch einen großen Erfolg feierte, steht plötzlich massiv unter Druck. Mehr als zwei Drittel der Amerikaner werfen ihm laut einer CNN-Umfrage vor, keine wirkliche Strategie gegen den IS zu haben. Internationale Partner drängen auf einen robusteren Einsatz in Syrien. Die Republikaner schreien nach Krieg. Selbst bei den Demokraten ist der vergleichsweise zurückhaltende Ansatz Obamas äußerst umstritten, die Terrorgruppe mit gezielten Luftschlägen und Spezialoperationen einzudämmen.

"Ich war noch nie beunruhigter", sagt Dianne Feinstein, Vorsitzende des mächtigen Geheimdienstausschusses: "Es ist klar geworden, dass einzelne Luftschläge nicht ausreichen, um uns und unsere Partner zu schützen."

Warum Obama seine Strategie für richtig hält

Obama wirkt wie ein Getriebener. Russlands Präsident Wladimir Putin, mit dem er am Rande des G20-Gipfels in der Türkei eine halbe Stunde sprach, hat sich schon vor Wochen zum obersten Terrorbekämpfer aufgeschwungen und den US-Präsidenten wie einen Schwächling aussehen lassen. Jetzt ist Frankreichs Staatschef hinzugekommen.

François Hollande hat auf Feldherrenrhetorik geschaltet. Der IS, sagt er, müsse zerstört werden. Er werde bald nach Washington reisen, um mit dem US-Präsidenten eine Anti-IS-Allianz zu schmieden, versprach er seinen Landsleuten. Er verlangt Führung von Amerika - wohl auch, weil seine eigenen Militärkapazitäten nicht ausreichen.

Doch Obama weigert sich, seine Strategie zu überdenken. Sie sei richtig, sie brauche eben nur Zeit. Ein paar mehr Luftangriffe und vielleicht ein paar mehr Spezialkräfte, in Ordnung. Aber US-Bodentruppen schließt er aus. Regelmäßig besuche er das Militärkrankenhaus bei Washington, sagte er bei einem teilweise sehr emotionalen Auftritt in der Türkei. "Ich sehe da 25-Jährige, die querschnittsgelähmt sind oder ihre Beine verloren haben", sagte Obama. "Ich werde die politischen Spielchen, die manche spielen, nicht mitmachen."

Ist das Rückgrat? Oder Sturheit aus Angst vor dem peinlichen Eingeständnis einer Fehleinschätzung? In jedem Fall bewandert Obama einen schmalen Grat. Er vertraut darauf, dass jene Zurückhaltung und Ruhe, die ihm zu seinen zwei Wahlsiegen verholfen haben, noch immer von der Mehrheit der Amerikaner geschätzt wird. Gleichzeitig weiß er, dass viele seiner Landsleute in Fragen des Terrorismus alles wollen, nur keine Unterreaktion. Ein Anschlag auf amerikanischem Boden, und die Diskussion ist noch mal eine völlig andere.

"Verrat an den Werten der USA"

Obama hat ein eigenes Verständnis von Führung, es basiert auf seiner Einschätzung, dass der Irakkrieg 2003 ein schwerer Fehler war. Weniger Intervention, mehr Ausgleich, das ist sein Credo. Das ist ein kein unsympathischer Ansatz, doch die Frage ist, ob er im Kampf gegen den IS auch erfolgreich ist. Die Terrorgruppe mag 25 Prozent ihres Territoriums verloren haben, aber das scheint sie nur noch gefährlicher zu machen. Und eine politische Lösung für Syrien mag tatsächlich der einzige Weg sein, dem IS den Nährboden zu entziehen - nur scheint auch Obama noch nicht zu wissen, wie die aussehen könnte.

Die Republikaner stürzen sich in diesen Tagen auf den US-Präsidenten. Die Präsidentschaftskandidaten sind überzeugt, mit dem Anti-Terror-Kampf Obamas Achillesferse treffen zu können. Jeb Bush spricht von Versagen, Ben Carson verlangt Bodentruppen. Und Donald Trump glaubt, dass das Massaker von Paris weniger schlimm verlaufen wäre, wenn die französischen Zivilisten bewaffnet gewesen wären.

Es sind wirre Wortmeldungen. Weitgehend einig sind sie sich darin, keine syrischen Flüchtlinge mehr ins Land zu lassen. Der "Import sogenannter Flüchtlinge" müsse gestoppt werden, fordert der Ex-Prediger Mike Huckabee.

Auch in dieser Frage will Obama nicht von seinem Kurs abweichen. Eine schärfere Asylpolitik sei genau die falsche Antwort. "Flüchtlingen nun die Tür vor der Nase zuzuschlagen", sagt er, "wäre Verrat an den Werten der USA."

Der aktuelle Ermittlungsstand zu den Täter und Anschlägen von Paris
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