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Kampf um Mossul: Lazarett zwischen Leben und Tod

Foto: ODD ANDERSEN/ AFP

Kampf um Mossul "Es regnet Mörsergeschosse"

Bis Jahresende sollte die irakische Stadt Mossul vollständig vom IS befreit werden. Doch noch wird heftig gekämpft, Sanitäter an der Front behandeln immer mehr Zivilisten. Besuch in einem Feldhospital.

In kleinen Gruppen erreichen sie den Ort mit dem Feldhospital. Sie flüchten aus dem umkämpften Mossul, vor Bomben und Scharfschützen. Eine schwarz gekleidete Frau trägt Decken und Kleidung auf ihren Schultern. Ein Junge, kaum älter als zehn, führt ein Maultier, das einen Wagen zieht, an dem eine weiße Flagge angebracht ist.

Die weiße Flagge soll signalisieren, dass sie Zivilisten sind. Doch sie bietet keinen Schutz. "Der IS schießt bewusst auf Zivilisten", sagt einer der Sanitäter im Feldhospital bei Mossul. "Scharfschützen feuern auf Leute mit weißen Flaggen. Es ist ein bewusster Versuch, Menschen zu töten, die das Kalifat verlassen."

Mit einer Großoffensive wollen irakische Sicherheitskräfte die Millionenstadt Mossul von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) befreien. Im Osten der Stadt haben sie mehrere Stadtteile eingenommen, die Kämpfe gehen aber weiter.

Routine im Feldlazarett

Seit gut eineinhalb Wochen müssen die Sanitäter vor allem Zivilisten behandeln. Das Lazarett liegt im befreiten Teil Mossuls, an der Straße, die den Vorort Gogjali mit der Großstadt verbindet. Es ist ein umfunktioniertes, notdürftig eingerichtetes Haus.

Immer wieder fahren schwarze Humvee-Geländewagen der irakischen Armee vor und bringen Verletzte. Soldaten heben zwei verwundete, junge Männer von der Ladefläche und legen sie auf eine Liege. Ein dritter Mann humpelt, von Soldaten gestützt, hinterher.

"Flüssigkeit, Flüssigkeit, Flüssigkeit", ruft Pete Reed, einer von zwei amerikanischen Sanitätern, die Seite an Seite mit Irakern arbeiten. Seine Stimme wird lauter und zugleich ruhiger, seine Bewegungen werden schneller und zielgerichter - so als sei die Behandlung von Schwerverletzten die Routine und die Pausen zwischen den einzelnen Einsätzen die Ausnahmesituation. "Alle drei: Flüssigkeit." Den Verletzten werden Atemmasken angelegt. Reed stoppt die Blutung am linken Arm eines Verwundeten. Vier irakische Sanitäter versorgen einen anderen.

"Dead on Arrival"

Zwei Verwandte treten aus dem Hospital auf die Straße, ihre Gesichter staubbedeckt und tränenüberströmt. Die Familie komme aus dem Stadtteil Samah in Mossul, sagen sie. Ein Mörsergeschoss von Daesh, wie sie den IS nennen, habe die drei Brüder getroffen.

"Heute ist ein ruhiger Tag", sagt Derek Coleman, der zweite US-Sanitäter neben Reed. "Wir hatten bis jetzt 15 Verwundete. Es ist aber erst 13 Uhr." Es habe noch keine "Dead on Arrivals" gegeben: Niemanden, der schon tot war, bevor sie ihn behandeln konnten. "Ich erwarte aber, dass einige unserer Patienten sterben werden, bevor sie das Krankenhaus erreichen. Bei zweien bin ich mir sogar sicher."

An manchen Tagen hätten sie mehr als 60 Verwundete und mehr als ein Dutzend "Dead on Arrivals" gehabt, sagt der 27-Jährige aus Kalifornien. Er befürchtet, dass sich diese Zahlen mit der Eskalation der Kämpfe verdoppeln könnten.

Der wunde Punkt liegt weit hinter der Front

Gemeinsam mit sechs bis zehn irakischen Sanitätern kümmern sich Reed und Coleman um die Notversorgung. Die Umstände, unter denen sie arbeiten, sind schwer. Spritzen liegen auf dem Boden vor dem Haus. Doch die Bedingungen in Gogjali sind nicht ihr größtes Problem.

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Kampf um Mossul: Lazarett zwischen Leben und Tod

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Das schwächste Glied in der Versorgungskette liegt laut Coleman unmittelbar hinter ihnen: Die nächste brauchbare medizinische Einrichtung befindet sich in Kalak; die Beförderung dorthin dauert mehr als eine Stunde. Bis zum Krankenhaus in Erbil sind es oft sogar mehr als anderthalb Stunden, wenn man die Checkpoints berücksichtigt. "Wir brauchen eine richtige medizinische Einrichtung hinter uns - und Beförderung zu dieser Einrichtung. Wir stabilisieren Patienten und dann sterben sie beim Transport."

Vor einem Haus gegenüber des Feldhospitals sammeln sich die Geflohenen, jene, die zumindest körperlich nicht verletzt sind. Sie warten darauf, dass die irakische Armee sie in die Flüchtlingslager Khazer und Hassanscham weiter hinter der Front transportiert.

Die "menschlichen Schutzschilde" des IS

Vor drei Stunden erst hat der 39 Jahre alte Yasir Mithat Kurdi mit seiner Frau und den Kindern Mossul verlassen. Ein Mörsergeschoss des IS habe das Haus eines ihrer Nachbarn zerstört und die ganze Familie getötet, sagt er. "Es regnet Mörsergeschosse des IS. Wir konnten nur das mitnehmen, was wir tragen konnten." Hinter ihm liegt ein knappes Dutzend Tüten und Säcke: Decken und Kleidung, kein Essen. "Wir mussten unterwegs um Brot bitten", sagt Kurdi. "Die Kinder waren hungrig."

Dann erklärt er, was sich hinter dem so oft gebrauchten Schlagwort "menschlicher Schutzschild" konkret verbirgt: IS-Kämpfer sperren Menschen, oft ganze Familien, in ihren Häusern ein. Dann klettern sie auf die Dächer und feuern von dort auf die heranrückenden Soldaten.

Die Schlacht um Mossul wird noch Monate dauern

Die irakische Armee hat Gogjali schon vor Wochen vom IS zurückerobert. Doch die Soldaten, die hier immer wieder vorfahren, bleiben angespannt. Erneut fährt ein gepanzerter Humvee vor. Eine Tür geht auf. Sofort gehen Soldaten auf das Auto zu, versperren den Blick ins Wageninnere. "Keine Fotos! Keine Fotos!", brüllt ein Offizier. Als ein irakischer Sanitäter mit seiner Handykamera doch ein Foto schießt, verliert der Offizier die Fassung. Er stürmt auf den Sanitäter zu.

Mehrere Soldaten müssen ihn zurückhalten und so wird ein Blick auf den Rücksitz des Humvees möglich: Eine gebückte Gestalt ist zu sehen, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, eine Kapuze über den Kopf und bis tief ins Gesicht gezogen. Der Grund der Aufregung erschließt sich: Es ist ein gefangen genommener IS-Kämpfer.

Derek Coleman ist Vorfälle wie diesen mittlerweile gewohnt. Seit dreieinhalb Tagen ist er ununterbrochen im Feldhospital im Einsatz. Ungefähr eine Woche am Stück arbeitet er dort. Dann tritt die Erschöpfung ein und er erholt sich in Erbil. Nächste Woche wird er für einen Monat in die USA zurückreisen. "Danach werde ich zurückkommen und bis zum Ende der Schlacht um Mossul hier arbeiten. Ich denke, dass das nach meiner Rückkehr noch Monate dauern wird." Hinter Coleman, irgendwo in Gogjali, feuert jemand einen Schuss ab.

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Anti-IS-Kampf im Irak: Der lange Weg nach Mossul

Foto: Chris McGrath/ Getty Images
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