Bürgerkrieg in Syrien Putins Werk und unser Beitrag

Im Syrienkonflikt soll Diktator Assad wie das kleinere Übel erscheinen: Diese Strategie verfolgt Russland mit seinen Luftangriffen. Der Westen hat darauf keine Antwort.
"Islamischer Staat" in Syrien: Nie abreißender Strom der Horrornachrichten

"Islamischer Staat" in Syrien: Nie abreißender Strom der Horrornachrichten

Foto: AP/ Islamistische Propagandawebsite

Ratlos wirkte der Nato-Beamte auf dem Brüsseler Gipfel. "Wenn am Ende nur noch Machthaber Baschar al-Assad und der 'Islamische Staat' übrig sind, was dann?" Russlands Intervention im Syrienkonflikt hat den Westen kalt erwischt, das offenbarte das jüngste Treffen der Nato-Verteidigungsminister.

Wladimir Putin hat den Kampf gegen den IS angekündigt - doch er bombardiert seither vornehmlich dessen Gegner, die moderaten Rebellen. Und hilft damit Assad.

Was also, wenn am Ende nur das Damaszener Regime und der IS übrig blieben? Erschiene dem Westen dann Assad als das kleinere Übel?

Das ist Putins Kalkül. Sein Manöver folgt einem klaren, schon vor 20 Jahren erprobten Muster: Man beschwört ein islamistisches Monster herauf (hier: den IS), das letztlich den bedrängten Machthaber (Assad) wieder halbwegs gesellschaftsfähig macht. Durchaus angenehmer Nebeneffekt: Das Monster bekämpft auch noch die Widersacher des Diktators (die Rebellen).

Russlands Luftangriffe sind nichts anderes als die Fortsetzung der Politik Assads mit anderen Mitteln, in diesem Fall: mit anderen Flugzeugen. Es geht darum, unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung jede Alternative zum Regime zu beseitigen und die syrischen Rebellen zu vernichten, soweit es geht.

Damaskus ließ den IS gewähren

Diese Rebellen versuchen seit Wochen vor allem nördlich von Aleppo, den Vormarsch des IS aufzuhalten. Die Dschihadisten greifen mit Senfgas, Artillerie und Selbstmordanschlägen an.

Dass die Anti-Assad-Rebellen von Russlands Regierung und Medien fortwährend und fälschlicherweise als IS-Terroristen bezeichnet werden, hat Methode. Jetzt werden sie von den Russen unter Feuer genommen - die Dschihadisten dagegen werden weitgehend verschont.

Nur theoretisch also, auf dem Papier, eint der Kampf gegen den IS alle anderen Parteien in Syrien. Tatsächlich aber braucht das Assad-Regime die Terrormiliz, solange es noch Rebellen gibt. Der IS kann seinerseits davon ausgehen, dass die Luftwaffe der Russen regelmäßig zu seinen Gunsten in die Kämpfe mit Rebellen eingreift. Ein höchst entgegenkommender Feind also.

Wer herrscht wo in Syrien?

Wer herrscht wo in Syrien?

Foto: SPIEGEL ONLINE

In einem Krisenstaat derart über Bande zu agieren, das hat schon einmal funktioniert: In Algerien, als die längst zur Diktatur geronnene Einparteienherrschaft Ende 1991 einen Wahlsieg der islamistischen Opposition kommen sah und das Militär putschte. Auch damals entstand bald eine zweite, weitaus radikalere Bewegung, die "Bewaffneten Islamischen Gruppen" (GIA), deren Attentate sich stärker gegen die Opposition als gegen die Herrschenden richteten.

Erst Jahre später gaben algerische und französische Offiziere detailliert zu Protokoll, in welchem Ausmaß die GIA von Algeriens Geheimdiensten unterwandert und benutzt worden war. Selbst die weltweit für einen Aufschrei sorgende Entführung und Enthauptung von sieben Trappistenmönchen durch die GIA 1996 war offenbar fingiert: Vor Gericht und unter Eid erklärte im Jahr 2014 der französische General François Buchwalter, zur Tatzeit Militärattaché in Algier, dass die sieben von der algerischen Luftwaffe getötet wurden. Damals habe Paris auf Geheimhaltung bestanden.

Am Ende blieb "le pouvoir", das undurchsichtige Geflecht aus Militär und Politikern, in Algier an der Macht - und die GIA zerfielen so rasch, wie sie aufgekommen waren.

Der "Islamische Staat" dagegen existierte als Keimzelle schon lange vor Beginn des syrischen Aufstandes. Aber er hätte sich in Syrien nie derart ausbreiten können, hätte Damaskus ihn nicht gewähren lassen.

Ein solches Monster lässt sich nicht nur zur absichtsvollen Manipulation nutzen. Es formt auch wie von selbst unser Bild des Geschehens. Die mediale Dauerpräsenz der Dschihadisten in Europa lässt es so aussehen, als ob der IS die einzige übriggebliebene Kraft außer Assads Regime sei. Die Dschihadisten selbst sorgen mit einem nie abreißenden Strom der Horrornachrichten zuverlässig dafür: Als der IS im Frühsommer die weltbekannte Ruinenstadt Palmyra einnahm, ließ er das grandios erhaltene Antiken-Ensemble vorerst intakt. Alle paar Wochen nun sprengt er eines der Bauwerke, zuletzt den Triumphbogen.

Wenn die letzte Ruine in Trümmer gesunken ist, wird der IS vermutlich wieder ein paar spektakuläre Hinrichtungen filmen. Das klingt zynisch, aber so funktioniert das Medienverständnis der Dschihadisten. Der IS bedient unser Nachrichten- und Bilderbedürfnis, er weiß, wie wir funktionieren und nutzt das.

Der Westen hat keinen Plan

Russlands Handeln und die Ignoranz wie Zurückhaltung von Europa und Amerika bewirken also dasselbe: dass sich in Syrien nur noch Assads Regime und der IS gegenüberstehen. Erst in der Wahrnehmung, dann in der Wirklichkeit. Sobald das erreicht ist, könnte Assads Herrschaft alternativlos erscheinen, jedenfalls für den Rest der Welt. Welcher Staat wird dann noch seinen Sturz fordern?

Doch was hieße das für Syrien? Die verbliebene Bevölkerung hätte die Wahl zwischen zwei Horrorszenarien in einem Land, das ohnehin schon etwa zur Hälfte in Trümmern liegt. Sollte der Westen wieder auf Assad setzen, dann bliebe der Kernklientel des IS - sunnitischen Muslimen - nur die Flucht oder das Leben unterm dschihadistischen Terrorregime. Auch für die Mehrheit der Rebellen ist der IS keine Alternative.

Dass das Assad-Regime seinen Kurs ändert und auf eine nationale Versöhnung setzt, ist nicht zu erwarten. Die Annahme mancher Politiker im Westen, man müsse erst mit Assad beziehungsweise Vertretern seines Regimes reden, ihn damit also de facto rehabilitieren, damit er anschließend zurücktritt - das entbehrt jeder Plausibilität.

Denn Assad und seinem Clan bleibt nur der Sieg, wenn sie überleben wollen. Dazu gehört, dass die Angst vor dem Diktator und seinem Regime bestehen bleibt. Das Prinzip der absoluten Gewalt, Unterwerfung oder Vernichtung des Gegners gilt weiterhin - auch wenn die Zerstörung des Landes schon so weit vorangeschritten ist, dass ein Sieg nach landläufiger Definition schlicht nicht mehr möglich ist.

Die Syrer halten ihre Heimat deshalb für ein Land ohne Hoffnung, was sich im gegenwärtigen Exodus nach Europa manifestiert.

Wie der Kampf um die Macht in Syrien letztlich ausgeht, weiß niemand. Aber zumindest hat Moskau einen Plan - im Gegensatz zum Westen.

SPIEGEL-Reporter Christoph Reuter hat jüngst den "Bayeux-Calvados"-Preis  für den besten Text aus Kriegs- und Krisengebieten gewonnen. Lesen Sie die preisgekrönte Reportage über Haji Bakr, den sinistren Strategen des "Islamischen Staats" hier.

Klicken Sie auf die Karte, um die Orte russischer und amerikanischer Luftangriffe in Syrien zu vergleichen:

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