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Libyen: Kampf um den IS-Brückenkopf in Sirt

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Zukunft des "Islamischen Staats" Der IS hat einen Plan B und einen Plan C, und...

Der IS verliert im Irak und in Syrien kontinuierlich an Boden, immer weniger Krieger stehen den Dschihadisten zur Verfügung. Doch besiegt ist die Miliz noch nicht. Terrorchef Baghdadi hat vorgesorgt.

In Mossul geht alles seinen Gang: Kinder besuchen ganz normal die Schule, an den Ständen der Gemüseverkäufer stapeln sich Gurken, Paprika und Tomaten, und Stadtbedienstete finden sogar die Zeit, den grünen Mittelstreifen der Hauptstraßen mit Palmen zu bepflanzen. Das ist zumindest das Bild, das die Propaganda des "Islamischen Staats" (IS) vom Alltag in der Millionenstadt zeichnet.

Doch die Realität sieht in großen Teilen von Mossul längst anders aus: Einheiten der irakischen Armee sind in die östlichen Viertel der Metropole vorgerückt, parallel dazu haben schiitische Milizen und kurdische Peschmerga am Mittwoch die letzte Versorgungsroute des IS gekappt. Damit ist Mossul von der Außenwelt abgeschnitten. Und die Terrororganisation kann fortan weder Kämpfer noch Nachschub von und nach Syrien bringen.

Die IS-Kämpfer leisten in Mossul zwar erbitterten Widerstand, doch der Fall der Stadt ist nur eine Frage der Zeit. Schlechte Nachrichten für die Dschihadisten kommen auch aus Rakka, der inoffiziellen Hauptstadt des IS in Syrien: Dort hat das kurdisch-arabische Milizenbündnis "Demokratische Kräfte Syriens" (SDF) eine Offensive gestartet.

Woher rührt diese Schwäche des IS? Können die Terroristen jetzt besiegt werden?

Der Niedergang des IS hat maßgeblich damit zu tun, dass kaum noch ausländische Dschihadisten nach Syrien und in den Irak gelangen. 2014 kamen pro Monat im Schnitt rund tausend ausländische Kämpfer zum IS, seitdem die Türkei mit der Sicherung der Grenze zu Syrien Ernst macht, kommt kaum noch jemand. Auch Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz konstatieren, dass die Ausreisen von Islamisten aus Deutschland zum IS in diesem Jahr "nahezu zum Erliegen gekommen sind".

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Anti-IS-Kampf im Irak: Der lange Weg nach Mossul

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In seiner jüngsten Audiobotschaft bereitete IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi vor drei Wochen seine Anhänger auf den Zusammenbruch seines sogenannten Staates im Irak und in Syrien vor. Die entfernten "Provinzen" des IS in Libyen, auf dem Sinai oder in Afghanistan müssen zusammenhalten.

Der IS weltweit

Der IS weltweit

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Doch wie stark sind die IS-Ableger? Könnten sie sich zu neuen Rückzugsgebieten für Dschihadisten aus aller Welt entwickeln?

In seiner Rede Anfang November forderte Baghdadi jene Dschihadisten, die nicht mehr nach Syrien oder in den Irak gelangen könnten, ausdrücklich dazu auf, nach Libyen zu gehen. Doch auch dort ist die Terrormiliz in der Defensive. Schon 2015 verlor der IS die Kontrolle über die Hafenstadt Darna, in ihrer zweiten Hochburg Sirt halten seine Kämpfer nur noch wenige Straßenzüge.

Dabei hatte die Propaganda des IS Libyen lange als Brückenkopf präsentiert, von dem aus er den Terror nach Europa tragen wollte. Am Ufer des Mittelmeeres enthaupteten die Fanatiker koptische Christen und kündigten an, bald schon das christliche Rom auf der gegenüberliegenden Seite des Meeres anzugreifen.

Vorerst scheint diese Gefahr gebannt, doch noch immer ist die Lage in Libyen äußerst instabil, gibt es keine stabile Regierung, ringen rivalisierende Milizen um die Macht. Solange sich daran nichts ändert, wird es für den IS immer Gelegenheiten geben, Kämpfer in Libyen zu rekrutieren und einzelne Gebiete unter Kontrolle zu bringen.

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Libyen: Kampf um den IS-Brückenkopf in Sirt

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Rund 1500 Kilometer östlich von Sirt hat der IS seit November 2014 einen weiteren Ableger: Damals schworen Dschihadisten auf dem Sinai Baghdadi die Treue. Im Norden der ägyptischen Halbinsel hat die Terrormiliz rund tausend Mann unter Waffen. Bei Anschlägen auf Sicherheitskräfte wurden Hunderte Menschen getötet, erst in der vergangenen Woche veröffentlichte die Gruppe Aufnahmen, welche die Enthauptung zweier Männer zeigt. Der IS auf dem Sinai hat sich zudem zum Bombenanschlag auf ein Flugzeug der russischen Airline Kogalimawija bekannt, bei dem am 31. Oktober 2015 224 Menschen getötet wurden.

Das ägyptische Militär brüstet sich damit, in den vergangenen Monaten Hunderte angebliche IS-Kämpfer getötet zu haben. Unabhängige Bestätigungen gibt es dafür nicht, weil die Regierung in Kairo eine kritische Berichterstattung über die Aktivitäten der Armee unterbindet. Israel beobachtet die Entwicklungen jenseits der Grenze in Ägypten jedenfalls mit großer Besorgnis. Der IS auf dem Sinai hat die Rückeroberung Jerusalems zu seinem Ziel erklärt. Israel fürchtet, dass Dschihadisten über den Grenzzaun gelangen und Anschläge in dem jüdischen Staat verüben könnten.

Anders als der IS in Syrien und im Irak stützt sich der Ableger auf dem Sinai bislang vor allem auf einheimische Kämpfer. Stämme auf dem Sinai, die sich seit Jahren von der Zentralregierung vernachlässigt fühlen sowie Islamisten, die nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Mohamed Morsi und der Zerschlagung der Muslimbruderschaft in den bewaffneten Untergrund gegangen sind. Ausländer haben sich der Gruppe bislang nicht in nennenswerter Zahl angeschlossen. In den kommenden Monaten könnte sich das aber ändern.

IS-Kämpfer in Afghanistan

IS-Kämpfer in Afghanistan

Foto: Ghulamullah Habibi / EPA / dpa

Dagegen ist Afghanistan fast schon traditionell ein Anzugspunkt für Dschihadisten aus aller Welt. Seit der sowjetischen Invasion 1979 zieht es Islamisten an den Hindukusch. Das macht sich auch der IS zunutze. Im Januar 2015 riefen die Dschihadisten die "Provinz Chorasan" aus, die das Staatsgebiet Afghanistans und Pakistans umfassen soll. Die Führungsebene besteht aus ehemaligen Talibankommandeuren, die zum IS übergelaufen sind, und Veteranen der Islamischen Bewegung Usbekistans, die sich komplett dem IS angeschlossen hat.

Derzeit kontrolliert die Terrormiliz mehrere Distrikte im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Von dort aus haben sie zahlreiche Anschläge auf Schiiten, Richter, Stammesversammlungen und Sicherheitskräfte verübt, bei denen Hunderte Menschen getötet wurden. Mehrere Tausend Kämpfer haben sich den Dschihadisten angeschlossen - Tendenz steigend.

Ihr ärgster Feind vor Ort sind derzeit ausgerechnet die Taliban. Beide Gruppen machen sich gegenseitig Einnahmen aus Schmuggel, Drogenhandel und Erpressungen streitig.

Ähnlich wie in Afghanistan profitieren die Islamisten auch in Somalia davon, dass es zwar kaum funktionierende staatliche Strukturen, dafür aber viele Waffen und perspektivlose junge Männer gibt. Seit rund einem Jahr gibt es am Horn von Afrika einen IS-Ableger. Die Gruppe, die anfangs nur aus ein paar Dutzend Kämpfern bestand, ist inzwischen auf einige Hundert Dschihadisten angewachsen.

Der IS hat sich in der Region Puntland im Norden Somalias angesiedelt. Ende Oktober eroberten seine Kämpfer die Hafenstadt Qandala, über dem Ort weht nun das schwarze Banner des IS.

Die Region ist für die Dschihadisten aus mehreren Gründen strategisch äußerst wichtig: Zum einen liegt der Jemen auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs von Aden. Dort ist der IS seit Jahren aktiv, hat es anders als die rivalisierende Terrororganisation al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel aber bislang noch nicht geschafft, ganze Landstriche unter seine Kontrolle zu bringen. Zum anderen verläuft im Indischen Ozean vor der somalischen Küste einer der wichtigsten Seewege für den Welthandel - das gäbe dem IS neues Drohpotenzial.

Und schließlich wäre es ein weiterer Erfolg im dschihadistischen Bruderkrieg mit al-Qaida. Deren Ableger in Somalia, die Schabab-Miliz, hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Macht verloren, nun will der IS , sie als schlagkräftigste Terrorgruppe des Landes ablösen.

Im Video: SPIEGEL-Reporter Christoph Reuter über die Kriegstaktik des IS in Mossul:

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