
Kämpfer in Syrien und Irak Russland fürchtet den Terror der IS-Rückkehrer

Zeichnung eines IS-Kämpfers - vermutlich aus Tschetschenien oder Inguschetien - in Kobane: Typisch nordkaukasischer Wehrturm
Foto: SPIEGEL ONLINEDas Haus liegt verlassen im zerschossenen Zentrum von Kobane, der Kurdenstadt an der syrisch-türkischen Grenze. Luftschläge der Amerikaner und kurdische Truppen haben den "Islamischen Staat" von hier vertrieben. Die Kämpfer aber haben Botschaften hinterlassen, mit Filzstift gezeichnet an die Wand des Gebäudes, in dem ihre IS-Einheit Stellung bezogen hatte.
Das Bild zeigt eine Gebirgslandschaft, jedoch keine aus Syrien, dem Irak oder der nahen Türkei: Zwischen den Gipfeln recken sich Wehrtürme in den Himmel, die für den russisch-beherrschten Nordkaukasus typisch sind, für die Unruheprovinzen Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan.
Auf dem höchsten der Gipfel weht das schwarze Banner des IS. Daneben hat einer der Kämpfer eine Drohung geschrieben, die fast poetische Züge trägt: "Und in den Nächten erschienen mir die Berge, und sie rufen mich nach Hause."
Zeichnung eines IS-Kämpfers - vermutlich aus Tschetschenien oder Inguschetien - in Kobane: Typisch nordkaukasischer Wehrturm
Foto: SPIEGEL ONLINERusslands Sicherheitsbehörden sind angesichts solcher Funde alarmiert. Seit Jahren schließen sich Tschetschenen, Dagestaner und Inguschen dem "Islamischen Staat" an. Einer von ihnen hat es - als einer der wenigen Nicht-Iraker - sogar in die höchsten Ränge der Terrororganisation geschafft. Sie nennen ihn "Omar al-Shishani". Omar, der Tschetschene, gilt als einflussreicher Militärkommandeur.
Die genaue Zahl der IS-Kämpfer mit russischem Pass kennt niemand, die Schätzungen russischer Sicherheitsbehörden liegen weit auseinander. Einig aber sind sich alle darin, dass es um Tausende geht. Im Januar sprach der Inlandsgeheimdienst FSB von 1700 Kämpfern im Dienste der islamistischen Terrorgruppe. Der Chef des russischen Sicherheitsrats sprach von "bis zu 2000" IS-Milizionären mit russischem Hintergrund. Im Juni erhöhte FSB-Chef Alexander Bortnikow die Schätzung auf 5000.
IS will Platz des "Emirats Kaukasus" einnehmen
Russlands Geheimdienste registrieren mit Sorge, dass der IS offenbar erwägt, seinen Einfluss auch auf den Nordkaukasus auszuweiten. Die Region gehört zu Russland, ist aber mehrheitlich muslimisch geprägt. In Tschetschenien hat Moskau zwei blutige Kriege geführt. In den Nachbarprovinzen Inguschetien und Dagestan bekämpfen russische Sicherheitskräfte seit Jahren islamistische Untergrundkämpfer.
Russlands Anti-Terror-Kampf im Nordkaukasus war verlustreich und wurde rücksichtslos geführt. In den vergangenen Jahren war es den Sicherheitskräften so aber auch gelungen, die Führungsstrukturen des "Emirats Kaukasus" zu zerschlagen, einer al-Qaida nahe stehenden Terrorgruppe. Im Frühjahr 2014 meldete Moskau den letzten großen Erfolg: den Tod von Terroristenführer Doku Umarow, der sich selbst "Emir des Kaukasus" nannte.
Nun mehren sich Anzeichen, dass der "Islamische Staat" den Platz des "Emirats" einnehmen will. Im Juni rief der IS den Kaukasus öffentlich zu seiner Provinz aus. In Propagandavideos schworen schwerbewaffnete Männer der Organisation öffentlichkeitswirksam die Treue.
Moskau fürchtet, dass kampferprobte IS-Männer aus Syrien und dem Irak in Tschetschenien und anderswo einsickern. Nach Angaben des russischen Sicherheitsrates geben sie sich als russische Touristen aus, die ihre Pässe verloren hätten. Die Kommunistische Partei, zweitstärkste Kraft im Parlament, fordert bereits, ausländischen Kämpfern vorsorglich die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Im Kampf gegen die Bedrohung durch den IS setzt Moskau - Ukraine-Krise hin, Kalter-Krieg-Rhetorik her - auf Zusammenarbeit mit dem Westen. Das Außenministerium hat in diesem Jahr eigens eine neue Vizeminister-Stelle für Terrorbekämpfung geschaffen. Den Posten besetzt ein Geheimdienst-General des FSB, der zuletzt für die Sicherheit bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014 zuständig war.
Allen Konflikten zum Trotz: Der IS, so befand Außenminister Sergej Lawrow jüngst, sei für alle "im Moment der größte Feind".
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IS-Kämpfer in der syrischen Provinz Deir al-Sor: Der "Islamische Staat" hat in den vergangenen Monaten schwere Rückschläge erlitten, der Vormarsch schien gestoppt.
Doch nach Einschätzung von US-Geheimdiensten ist die Terrormiliz militärisch wieder genau so stark wie vor einem Jahr.
Erbittert waren die Kämpfe um das syrische Kobane an der Grenze zur Türkei: Der Ort wurde im vergangenen Jahr zum Symbol im Kampf gegen den "Islamischen Staat".
Im Januar gelang es einer Koalition von Milizen unter Führung kurdischer Volksverteidigungseinheiten, den IS wieder aus Kobane zurückzudrängen.
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