Islamisten Die Wurzeln des Hasses

Noch steht nicht fest, wer die Anschläge verübt hat. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Attentäter fanatische Muslime waren. Die offene Feindschaft gegen die USA rührt aus der verhängnisvollen Verknüpfung des islamischen Missionsanspruchs mit dem Nahostkonflikt. Der "Heilige Krieg" als Kreuzzug gegen den Westen ist allerdings seit jeher unter Muslimen höchst umstritten.

Berlin - Per Videoband ließ Ussama Ibn Ladin die Welt von seinen Machenschaften wissen. "Mit einfachen Mitteln und mit unserem Glauben können wir die größte Militärmacht der modernen Zeit besiegen", drohte der Top-Terrorist in dem zweistündigen Mitschnitt, der erstmals im Juni bei einer Zeitung in Kuweit auftauchte und sich in Windeseile auf arabischen Basaren und islamistischen Websites verbreitete.

Auch wenn unklar ist, ob Ibn Ladin an den Terroranschlägen auf New York und Washington beteiligt war - eine seiner Behauptungen hat sich auf mörderische Weise bewahrheitet: "Amerika ist viel schwächer, als es scheint."

Wer auch immer sich zum Werkzeug dieser Märtyrer-Rhetorik gemacht hat - wahrscheinlich ist, dass die Attentäter aus der muslimischen Welt kommen. Nicht nur unter Terroristen sind dort die Vereinigten Staaten verhasst, weil sie den "zionistischen Feind" so vorbehaltlos unterstützen.

"Reaktion der Unterdrückten gegen den Unterdrücker"

Auch Ussama Ibn Ladin warf in seiner Reaktion auf die Anschläge Israel und die USA in einen Topf. Er begrüßte die Selbstmordattacken "als Reaktion der Unterdrückten gegen den Unterdrücker". Er, Ibn Ladin, habe die "heilige Mission, die palästinensischen Gebiete von der israelischen Aggression zu befreien". Die Vereinigten Staaten würden Israel militärisch unterstützen und hätten sich daher den Zorn Allahs zugezogen. Tausende von Muslimen hätten geschworen in den "Dschihad" zu ziehen.

Dschihad - ob Islamisten wie Ibn Ladin oder weltliche Herrscher wie Saddam Hussein, auf den "Heiligen Krieg" berufen sich alle Extremisten der muslimischen Welt. Dabei bedeutet Dschihad wörtlich nur "Bemühung" oder "Ringen", also die individuelle Anstrengung für den Glauben. Krieg im herkömmlichen Sinn hat im Arabischen andere Bezeichnungen.

Allerdings herrscht nach mohammedanischer Überlieferung ein ständiger Kriegszustand zwischen dem "Haus des Islam" (Dar al-Islam), jenen Regionen, wo die Muslime bereits regieren, und dem "Haus des Krieges" (Dar al-Harb). Strittig ist hingegen, ob der Dschihad in jedem Fall eine militärische Intervention bedeutet oder lediglich die Missionierung der "Ungläubigen".

Der Prophet Mohammed hatte den Dschihad im 7. Jahrhundert ursprünglich ausgerufen, um den jungen islamischen Staat auf der arabischen Halbinsel gegen die heidnischen Beduinen zu festigen. Nur selten entartete danach der Dschihad zum Missionskrieg. Ausgerufen werden kann der Dschihad sowohl von den politischen Herrschern als auch von einem einzelnen Gläubigen. Nahezu einig sind sich die traditionellen Rechtsgelehrten allerdings, dass Selbstmordattentate auf unschuldige Zivilisten nicht zu den Mitteln des Dschihad gehören. Mehr noch: Derlei Anschläge erlaube der Islam überhaupt nicht.

Großmufti von Saudi-Arabien verurteilt Selbstmordattentate

Scheich Mohammed Sajjid Tantawi von der Al-Azhar-Universität in Kairo erklärt, als Märtyter gelte nur, wer jene mit in den Tod reißt, von denen er direkt bekämpft wird, nicht aber Frauen und Kinder. Und der Großmufti von Saudi-Arabien, Scheich Abdulasis el-Scheik, sagt, dass jeder Akt der Selbsttötung strikt vom Islam verboten sei. Selbstmord sei daher nichts anderes als Mord, nach dem Prinzip: Was dir von Gott gegeben wurde, darfst du dir nicht selbst nehmen, und tust du es doch, erwartet dich die Strafe Gottes.

Das sehen fanatische Islamisten freilich ganz anders. Sie widersprechen den orthodoxen Koraninterpreten und sehen in Selbstmordanschlägen "die höchste Form des Märtyrertums". Doch während es Selbstmordattentate erst seit den achtziger Jahren gibt, schwelt der Streit zwischen Traditionalisten und Islamisten über die richtige Interpretation des Korans schon über hundert Jahre.

Die Auseinandersetzung mit "dem Westen" spielte dabei von Anfang an eine Rolle. Schon der erste Pionier des modernen Islams, der Ägypter Mohammed Abduh (1849-1905), wandte sich in starken Worten gegen die Besetzung seines Landes durch die Engländer. Er war jedoch alles andere als ein Fundamentalist. Er wollte vielmehr die aufklärerischen Ideen Europas mit den Werten des Islams verbinden.

Seine ambivalente Haltung dem "Westen" gegenüber führte dazu, dass einige seiner Anhänger später für eine klare Trennung zwischen Religion und Staat eintraten. Die anderen plädierten für eine Wiederbelebung des Islams in allen Lebensbereichen.

Dazu gehörte auch Sajjid Qutb, einer der geistigen Väter der ägyptischen Moslembruderschaft, die sich in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegen die Herrschaft des vermeintlich unislamischen Präsidenten Nasser richtete. Qutb sah als Feind nicht mehr nur die ehemaligen britischen Besatzer, sondern vielmehr den Westen im Allgemeinen und die USA als dessen Führungsmacht. Von 1948 bis 1950 lebte er selbst in den Vereinigten Staaten, danach wuchs sein Widerstand gegen den weltlichen, individualistischen und kapitalistischen Feind. Ein Jahr nach seiner Rückkehr schrieb er ein Buch mit dem Titel "Der Kampf zwischen Islam und Kapitalismus".

Blaupause für Aktionen gegen den Staat

Auch wenn Qutb selbst nicht an Sabotageakten beteiligt war und viele radikale Muslime auch heute noch nicht automatisch militant sind - die Muslimbruderschaft nahm seine Rhetorik als Blaupause für Aktionen gegen den Staat. Die Gründung des Staates Israels 1948, die Übermacht der USA und der islamische Missionsanspruch setzten eine verhängnisvolle Dynamik in Gang. Eine weitere Radikalisierung erfuhren die islamistischen Gruppen nach dem Juni 1967, als Israel im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland, den Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem besetzte.

Eine neue Qualität erhielt die islamistische Gewalt mit der Machtübernahme des Ajatollah Chomeini im Iran. Er schickte nicht nur seine Landsleute als "Märtyrer" in den Krieg mit Saddam Hussein, sondern er unterstützte auch seine schiitischen Brüder im Libanon. Dort raste am 23. Oktober 1983 ein Selbstmordkommando mit einem Sprengstoff gefüllten Lastwagen in das Lager der amerikanischen Marineinfanteristen bei Beirut. Die Tonne TNT tötete 241 junge Amerikaner.

Heute fordert Scheich Said Schaaban im Libanon seine Kämpfer zum Dschihad auf: "Unser Marsch hat begonnen, der Islam wird zu guter Letzt auch Amerika und Europa erobern. Er ist der einzige Weg zur Erlösung, der dieser verzweifelten Welt bleibt."

Lesen Sie im zweiten Teil, was Selbstmordattentäter antreibt

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren