Islamkritiker Hamed Abdel-Samad "Ein Wort und du bist tot"

Der deutsch-ägyptische Publizist Hamed Abdel-Samad wurde in Kairo verschleppt und zwei Tage an einem unbekannten Ort festgehalten. Mit dem SPIEGEL führt der Autor sein erstes Interview nach der Rückkehr - und erhebt massive Vorwürfe gegen den ägyptischen Staat.
Hamed Abdel-Samad: "Ich habe den Glauben an mein Land verloren"

Hamed Abdel-Samad: "Ich habe den Glauben an mein Land verloren"

Foto: Inga Kjer/ dpa

Hamed Abdel-Samad ist wieder in Deutschland. Der bekannte deutsch-ägyptische Autor und Politologe ("Mein Abschied vom Himmel", "Der Untergang der islamischen Welt") wurde am vergangenen Sonntag in Kairo entführt und zwei Tage an einem unbekannten Ort festgehalten. Nach seiner Freilassung am Dienstagabend wurde der 41-Jährige von der Kairoer Polizei und Staatsanwaltschaft verhört, und während dieser Zeit vom deutschen Botschafter Michael Bock betreut. Der Publizist ist psychisch angeschlagen und leidet unter starken Rückenschmerzen. Es fällt ihm noch schwer, über seine Entführung zu sprechen.

SPIEGEL ONLINE: Herr Abdel-Samad, Sie sind am vergangenen Sonntag in Kairo entführt worden, waren über 48 Stunden in Gefangenschaft. Bitte schildern Sie uns, wie es dazu kam.

Abdel-Samad: Ich hatte am Sonntagnachmittag eine Verabredung mit einer Freundin im Azhar-Park. Dort wartete ich bereits, als die Freundin anrief und mir sagte, sie verspäte sich. Also ging ich auf der Saleh-Salem-Straße spazieren, und bemerkte ein schwarzes Auto, das mir folgte. Ich rief einen Beamten des ägyptischen Innenministeriums an, der für meinen Schutz zuständig war. Er riet mir, ein Taxi zu nehmen und in mein Hotel zu fahren, er würde in zwei Stunden bei mir sein, er sei gerade in seiner Heimatstadt im Nildelta. Während ich also auf ein Taxi wartete, fuhr das schwarze Auto an mir vorbei. Kurz danach bremste ein weißer Minibus vor mir. Ich habe mir nichts dabei gedacht, da es üblich ist, dass solche Autos überall anhalten, um Fahrgäste aussteigen zu lassen. Die Beifahrertür des Minibusses öffnete sich, ein Mann stieg aus und drängte mich gewaltsam auf die Rückbank. Dort saß ein Typ, der mir sofort eine Pistole an die Schläfen hielt. Der Wagen fuhr los, ein anderer Mann zog mir eine Mütze über den Kopf, nahm mein Handy weg, untersuchte meine Hosentaschen. Ich fragte, was das soll. Der Beifahrer meinte nur: "Halt's Maul, ein Wort und du bist tot." Wir fuhren etwa 20, 30 Minuten, dann wechselten wir den Wagen. Die zweite Fahrt dauerte sehr lange, ich weiß nicht wie lange, über eine Stunde. Es wurde kaum gesprochen. Als wir endlich ausstiegen, war es sehr, sehr ruhig. Ich ahnte nur, dass wir uns irgendwo weit außerhalb von Kairo befanden.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie während der Fahrt gefühlt?

Abdel-Samad: Nichts. Ich habe einfach komplett abgeschaltet, so reagiere ich immer in Extremsituationen. Ich hatte nicht einmal Angst, ich fühlte einfach gar nichts.

SPIEGEL ONLINE: Was passierte dann?

Abdel-Samad: Ich wurde aus dem Wagen geschubst, in ein Gebäude. Dort warteten andere Männer, ich weiß nicht, wie viele es waren. Sie sprachen nicht, aber ich fühlte ihren Atem im Raum. Nur einer redete. Ich solle Papiere unterschreiben, sagte der. Ich fragte: "Was für Papiere? Wozu?" Statt einer Antwort schlug mir einer mit der Faust auf den Kopf, ich fiel zu Boden. Dann gab es Schläge, mit einem harten Stück Gummi oder einem Schlauch auf den Rücken. Es schmerzte höllisch. Ich rief: "Was habe ich getan?" "Unterschreib einfach", sagte der Mann, "dann lassen wir dich gehen."

SPIEGEL ONLINE: Und dann unterschrieben Sie?

Abdel-Samad: Erst, als sie mir androhten, Zigaretten auf empfindlichen Stellen an meinem Körper auszudrücken und mir die Finger- und Zehennägel auszureißen. Da willigte ich ein. Sie legten mir fünf oder sechs Papiere vor. Der Typ - der Einzige, der sprach - sagte, ich solle bloß nicht versuchen, meine Unterschrift zu fälschen, man kenne meine Unterschrift. Als ich fertig war, rief ich: "Jetzt lasst mich frei." Aber der Mann sagte: "Noch nicht." Sie ließen mich in dem Zimmer zurück, gaben mir etwas zu essen. Ich lag auf dem Boden, nickte ein, stand kurz auf, nickte wieder ein. So verging die Zeit. Schließlich fuhren wir zurück nach Kairo. Als wir hielten, sagten sie: "Schau jetzt nicht zurück, schau einfach nur nach vorne, warte, bis wir verschwunden sind, warte mindestens fünf Minuten, wenn du vorher um Hilfe schreist, erschießen wir dich."

SPIEGEL ONLINE: Sie können bis heute keine Angaben über die Entführer machen?

Abdel-Samad: Nein. Sie waren vermummt. Und ich hatte die meiste Zeit eine Mütze über dem Kopf. Ich erinnere mich nur, dass einer der Männer mit beduinischem Akzent sprach.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben sich dann direkt nach Ihrer Freilassung am frühen Dienstagabend zur nächsten Polizeistation begeben.

Abdel-Samad: Ja, ich versuchte lange auf dieser Schnellstraße ein Auto anzuhalten. Jemand nahm mich mit, ein älterer Mann, der allerdings auch Angst hatte, mich vor der Polizei abzusetzen. Er sagte: "Ich bringe Sie in die Nähe einer Wache, nicht direkt dorthin, sonst denken die noch, ich sei selber Entführer und halten mich fest." Das ist typisch in Ägypten, diese Furcht vor der Polizei. Weil du jederzeit ihren Launen ausgesetzt bist, weil dir alles widerfahren kann. Wenn jemand jemandem etwas in die Schuhe schieben will, sind die Polizisten bei uns willige Helfer. Ich landete also auf einer Wache in Nasr City. Aber was mir dort widerfuhr, spottet jeder Beschreibung. Ich wollte, dass man die Deutsche Botschaft verständigt und meine Personenschützer. Stattdessen ließ man mich erst einmal warten. Und dann geruhte endlich ein Beamter, mir Fragen zu stellen. Zum Beispiel, wo ich entführt worden sei. In der Nähe des Azhar-Parks? Nicht hier, in Nasr City? Dann sei man nicht zuständig, da solle ich zur zuständigen Wache. Dabei konnte ich kaum laufen, ich hatte höllische Rückenschmerzen.

SPIEGEL ONLINE: Das war also die erste Reaktion der Staatsgewalt, nach über 48 Stunden Freiheitsentzug? Das muss eine äußerst frustrierende Erfahrung gewesen sein.

Abdel-Samad: Ja, denn die Beamten haben keinen Finger gerührt, sondern mich mit ihrer Faulheit bestraft. Voller Wut stieg ich in ein Taxi zu meinem Hotel, an der Lobby bat ich, das Taxi zu bezahlen. Kurze Zeit später kamen Botschaftsmitarbeiter und mit ihnen Heerscharen von ägyptischen Polizisten, darunter mehrere hochrangige Offiziere. Ich wurde verhört, einer nach dem anderen stellte seine Fragen, jeder wollte drankommen, jeder wollte sich profilieren. Einer war besonders arrogant. Er unterstellte mir, ich würde widersprüchliche Angaben machen, ich hätte doch eben noch gesagt, dass ich nur zwei, nicht fünf Papiere unterschreiben musste. Vollkommen absurd. Ich habe ihm vorgeworfen, nicht die Wahrheit zu sagen. Er war beleidigt, stand auf und schaute wütend auf mich. Ich wurde dann ins Krankenhaus gefahren, man untersuchte meine Verletzungen, erstellte einen Bericht. Ich wollte mich danach ausruhen, aber es gab wieder Polizeiverhöre, dieses Mal von der Touristenpolizei. Ich dachte nur: Okay, jetzt wollen sie alle demonstrieren, wie wichtig sie meine Entführung nehmen, nachdem sie vorher so unendlich versagt haben.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie damit?

Abdel-Samad: Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber der ägyptische Staat hat vollkommen versagt, was meine Sicherheit betrifft. Es gab eine Zusage, Personenschutz zu gewähren, von dem Moment an, wo ich ägyptischen Boden betrat. Es gibt ja mehrere Morddrohungen gegen mich, in Deutschland erhalte ich deswegen seit Monaten Personenschutz. Und als ich vorletzte Woche in Kairo landete, empfingen mich tatsächlich zwei Männer am Flughafen. Aber sie sagten mir gleich zu Beginn, dass sie Anweisungen hätten, mich nur bei "offiziellen Terminen" zu begleiten. Einen Rund-um-die-Uhr-Schutz würde es nicht geben. Ich habe das überhaupt nicht verstanden. Welchen Sinn würden die Personenschützer dann überhaupt haben? Was sollte das überhaupt sein, ein offizieller Termin? Wer bestimmte das?

SPIEGEL ONLINE: Das ist der Grund, warum Sie am vergangenen Sonntag, als Sie Ihre Verabredung hatten, keinen Personenschutz dabei hatten? Es hieß - so konnte man das in deutschen Zeitungen lesen - Sie hätten freiwillig auf einen Leibwächter verzichtet.

Abdel-Samad: Ich habe mich noch nicht damit beschäftigt, was in den deutschen Medien berichtet wurde. Ich habe noch keine Kraft dazu. Aber es ist ganz bösartig zu schreiben, ich hätte auf einen Leibwächter verzichtet. Fakt ist: Als ich am ersten Tag im Hotel angekommen war, standen zwei Beamte vor meinem Zimmer. Die habe ich nach Hause geschickt. Ich sagte, ich brauche jemanden, der mich auf der Straße begleitet, nicht im Hotel, das einer Militärkaserne gleicht. Am Ende musste ich es akzeptieren. Ich war am Sonntag auf mich gestellt - wie auch am Freitag davor. Und ich wünschte, jemand hätte in dieser Situation auf mich aufgepasst.

SPIEGEL ONLINE: Sprechen wir noch einmal über Ihre Entführer. Und über deren Motive. Nach Ihrer Freilassung hat Ihr Bruder Mahmud mit ägyptischen und deutschen Medien gesprochen. Er informierte die Presse, dass als Täter wohl keine radikalen Islamisten in Frage kämen, wie zunächst überall spekuliert wurde, sondern Geschäftspartner, die Ihnen Geld schulden. Ihre Schilderungen aus der Gefangenschaft stützen diese Vermutung. Was sind das für Schuldner? Worum geht es?

Abdel-Samad: Mir war schnell klar, dass es keine Islamisten waren. Die gehen anders vor, die wollen ein Lösegeld oder meinen Kopf. Ich bin von Kriminellen entführt worden. Natürlich habe ich eine Vermutung, wer dahinterstecken könnte, aber ich möchte und darf keinen Namen nennen. Es geht um einen Geschäftspartner, der mir seit 2011 Geld schuldet. Das Geld schickte ich der Fabrik, an der mein Bruder bis vor kurzem beteiligt war. Nach der Revolution wollte ich einen kleinen Beitrag für die ägyptische Wirtschaft leisten. Als mein Bruder aus der Fabrik vor wenigen Monaten ausgestiegen war, bekam ich für mich und ihn vier Schuldbriefe, die zwischen 2013 und 2016 beglichen werden sollten. Ich habe dieser Lösung zugestimmt, weil die Fabrik sonst schließen sollte, wenn wir alles auf einmal bekämen. Der erste Schuldbrief in Höhe von 27.000 Euro wurde nicht beglichen, deshalb haben wir einen Gerichtsprozess angestrengt. Unter anderem aus diesem Grund bin ich auch nach Kairo geflogen, um vor der Staatsanwaltschaft auszusagen.

SPIEGEL ONLINE: Welche Angaben können Sie über Ihren Schuldner machen?

Abdel-Samad: Wir haben leider zu spät erfahren, dass es sich bei dem Mann um keinen vertrauenswürdigen Geschäftsmann, sondern um einen reichlich zwielichtigen Menschen handelt. Gegen ihn wird bereits in einem anderen Fall ermittelt, in dem es um einen bewaffneten Raubüberfall geht. Es liegt insofern sehr nahe, dass er Banditen angeheuert hat, um sich von seiner Schuld zu befreien.

SPIEGEL ONLINE: Aber welchen Sinn macht Ihre Unterschrift unter den Papieren dann noch, wenn man weiß, wer sie erzwungen hat?

Abdel-Samad: Weiß ich auch nicht. Ich habe bei der ägyptischen Staatsanwaltschaft mehrfach meine Unterschrift hinterlassen, um späterem Betrug vorzubeugen. Aber ich weiß wirklich nicht, was ich da unterschrieben habe. Insofern ist alles denkbar. Vielleicht gibt es noch einen anderen Hintergrund meiner Entführung. Vielleicht sollte ich einfach eingeschüchtert werden.

SPIEGEL ONLINE: Wer könnte daran ein Interesse haben?

Abdel-Samad: Ich weiß es nicht. Ich habe Feinde im islamistischen Lager, die mir Blutrache geschworen haben. Aber ich habe offenbar auch Feinde im Sicherheitsapparat. Ich bin in Ägypten mittlerweile wohl bekannter, als ich dachte. Einer der Polizisten flüsterte mir zu, dass man mir auch ein Verfahren wegen Gotteslästerung anhängen könnte. Ein Polizist, wohlgemerkt! Der war sauer, dass ich mich über die miese Arbeit der Ermittler und den mangelhaften Personenschutz beschwert habe. Sie legen sich mit den Falschen an, sagte mir auch der Staatsanwalt. In der ägyptischen Presse hagelte es ebenfalls Verleumdungen, da wurde so viel Bösartiges zusammengedichtet. Vor allem sollte der Eindruck verwischt werden, die Behörden arbeiteten nicht sorgfältig. Das ist leider die Kultur bei uns: Keiner gibt Fehler zu. Jeder hängt dem anderen etwas an.

SPIEGEL ONLINE: Nach Ihrer Freilassung hat sich die deutsche Botschaft um Sie gekümmert...

Abdel-Samad: Ja, der Botschafter und seine Frau haben mich wie ein Familienmitglied behandelt, grundanständig und sehr freundlich, sehr warmherzig. Ohne sie würde es mir heute bedeutend schlechter gehen. Es wird so viel über die deutschen Behörden gemeckert, aber wer das tut, kennt nicht den Dilettantismus und die Ignoranz des ägyptischen Staates. Wissen Sie, nach meinem Verhör beim Staatsanwalt am Mittwoch ging ich zurück ins Hotel, dort erlitt ich einen Nervenzusammenbruch, ich kippte einfach um. Aber die Hotelmitarbeiter und die Polizisten brachten es nicht fertig, einen Arzt zu rufen. Erst Mitarbeiter der deutschen Botschaft begleiteten mich zur Residenz des Botschafters und sorgten für einen Arzt.

SPIEGEL ONLINE: Es wurde in Deutschland viel über Sie berichtet während Ihrer Entführung, und es wurde viel spekuliert. In den sozialen Netzwerken war die überwiegende Reaktion Mitgefühl und Sorge um Ihr Leben, es gab aber auch Häme und Vorwürfe, etwa Diskussionen über die Grenzen von Islamkritik...

Abdel-Samad: Das interessiert mich alles nicht. Ist mir wirklich egal, was über mich geschrieben wurde. Ich will meine Ruhe, ich bin mit meinen Kräften am Ende. Ich habe gelitten, und diese Erfahrung wünsche ich niemandem. Es geht um mein Wohl und um das meiner Familie. Und um die mache ich mir Sorgen, vor allem um meinen Bruder. Denn er hat alles unternommen, um die Ermittler anzutreiben. Er hat auch nicht mit Kritik an den Behörden gespart. Und so etwas kommt in Ägypten gar nicht gut an. Es gibt eine Menge empfindliche Leute im Sicherheitsapparat. Ich möchte nicht, dass meine Familie jetzt eingeschüchtert und bedroht wird.

SPIEGEL ONLINE: Sie werden so bald nicht nach Ägypten zurückkehren?

Abdel-Samad: Vorerst nicht. Ich habe bei meiner Ankunft in Deutschland von den BKA-Beamten, die mich empfingen, ein ordentliches gerichtsmedizinisches Verfahren verlangt. Vielleicht prüfe ich dann rechtliche Schritte gegen die ägyptische Regierung. Ich frage mich, wie oft ich von meinem Land noch gekränkt werden muss? Dabei wollte ich nur etwas Gutes für das Land tun. Ich bin so enttäuscht, ich habe wirklich den Glauben an mein Land verloren. Vor allem an die Revolution, denn es hat sich einfach nichts geändert. Die Mentalität bleibt grundautoritär: Der Staat geht mit Menschen so um, wie es ihm passt. Menschen gehen mit Menschen um, wie es ihnen passt.

Das Interview führte Daniel Steinvorth
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren