Interview mit Jon Gnarr "Herr Lustig ist Bürgermeister von Reykjavik, haha"

Ein Komiker als Stadtdirektor, kann das gutgehen? Jon Gnarr versprach im Wahlkampf Eisbären für den Zoo, kostenlose Handtücher in Schwimmbädern - und Kritik am politischen System. Nach drei Jahren als Erster Bürger von Reykjavik zieht er Bilanz.
Reykjaviks Bürgermeister Jon Gnarr: Comedy als demokratischer Eingriff

Reykjaviks Bürgermeister Jon Gnarr: Comedy als demokratischer Eingriff

"Ich wähle die Beste Partei, weil sie die beste Partei ist" - mit Slogans wie diesem hat der Komiker, Autor und Anarchist Jon Gnarr sich und seine "Beste Partei" (Besti Flokkurinn) beworben. Im Sommer 2010 wurde der ehemalige Punkmusiker und Taxifahrer in Islands Hauptstadt mit fast 35 Prozent zum Bürgermeister gewählt. Jetzt will der 46-Jährige sich nicht wieder zur Wahl stellen.

SPIEGEL ONLINE: Vor Ihrem Antritt haben sie Eisbären für den Zoo, ein drogenfreies Parlament und kostenlose Handtücher in Schwimmbädern versprochen. Was davon ist wahr geworden?

Gnarr: (lacht) Ich habe auch versprochen, dass ich all meine Versprechen brechen würde. Ich fühle mich niemandem verpflichtet. Mit meinen Wahlversprechen wollte ich nicht nur die vorangegangene Politik kritisieren, sondern Demokratie im Generellen. Denn genauso läuft es doch: Politiker versprechen Dinge, werden gewählt, anschließend fühlen sich die Leute verraten.

SPIEGEL ONLINE: Von vornherein zu sagen, dass man alle Versprechen brechen will, ist aber auch ein sehr leichter Weg.

Gnarr: Ich muss mich für nichts entschuldigen. Ich schulde niemanden irgendetwas. Ich war entschlossen, mein Bestes zu geben, ebenso wie die 15 anderen Kollegen der "Besten Partei". Man könnte auch sagen, dass wir eine Protest-Partei waren und dass wütende Isländer unsere Vorgänger abgestraft haben. Herr Lustig wird Bürgermeister, haha. Doch es ist komplizierter als das: Normalerweise gehen Protest-Bewegungen direkt nach der Wahl in die Brüche. Wir dagegen haben nicht aufgegeben und einen guten Job gemacht. Wenn man sich die Umfragen vom Sommer anschaut, sieht man: Die "Beste Partei" hätte noch immer 37 Prozent der Stimmen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind auf Twitter  und Facebook  sehr aktiv. Haben auch die sozialen Medien die Kommunikation verbessert?

Gnarr: Alles hängt davon ab, was du sagst und wie du es sagst. Die Leute wollen nur ein paar Sätze: schnell und auf den Punkt. Ich habe über 80.000 Fans auf Facebook und ich habe die sozialen Medien für freie Kommunikation genutzt. Rein technisch kann ich damit alle Isländer erreichen. Die lokalen Medien sind eh dominiert von der Machtelite, die die Medien besitzt und bestimmt, worüber berichtet wird. Facebook ist da moderner. Nur alte Menschen lesen noch lange Zeitungsartikel.

SPIEGEL ONLINE: Die Finanzkrise war einer der Gründe für Ihre Wahl. Island hatte fünf Milliarden Euro Schulden und drei verstaatlichte Banken. Haben Sie die Hauptstadt aus dieser Krise herausgeholt?

Gnarr: Die Erfindung der "Besten Partei" war für Reykjaviks Genesung essentiell. Wir hatten einfach nicht so viel Gepäck, hatten nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Wir konnten größere Risiken eingehen und mehr Verantwortung tragen als andere. Das ist wie ein Eingriff in eine gestörte Familie, in der sich alle streiten. Man heuert einen Outsider an, der nicht dazu gehört und für Ordnung sorgt. Genau das habe ich getan: Es war ein demokratischer Eingriff in ein dysfunktionales politisches System.

SPIEGEL ONLINE: Sie sehen Ihre Arbeit also als Krisenintervention. Stellen Sie sich deshalb nicht noch einmal zur Wahl?

Gnarr: Genau. Job erledigt, Mission erfüllt! Außerdem musst du als Politiker mit Leuten arbeiten, die du dir nie selbst als Kollegen ausgesucht hättest. Das will ich nicht mehr.

SPIEGEL ONLINE: Um die Mission zu erledigen, mussten Sie Zuschüsse für Musikschulen streichen und 60 Mitarbeiter des städtischen Energieunternehmens entlassen.

Gnarr: Das waren keine politischen Entscheidungen, das musste ganz einfach erledigt werden. Alle wussten das, niemand hatte sich zuvor getraut. Die Abwicklung des Energieunternehmens in Reykjavik war vermutlich die schwierigste Aufgabe. Und das Problem mit dem Schulsystem, das einfach zu teuer geworden war. Wir mussten Schulen zusammenlegen. Ich habe wütende Eltern getroffen, die mich hindern wollten, an ihren Schulen herumzupfuschen. Das war schwierig.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben einmal gesagt: Björk hat die isländische Musikszene verändert. Haben Sie Islands Politik verändert?

Gnarr: Ich wollte die kulturelle Revolution in Island: dass wir uns über unsere Werte, unsere echten Ressourcen und unser kulturelles Erbe samt Kunst und Literatur bewusst werden. Ich wollte die Natur bewahren, statt sie auszubeuten. Ich dachte, ich könnte die Isländer inspirieren, unsere Insel zu einer Art militärfreier Zone und einem Himmel für verfolgte Menschen auf der ganzen Welt zu machen.

SPIEGEL ONLINE: Und dann sind Sie aufgewacht?

Gnarr: Dann habe ich gemerkt, dass es den Menschen wichtiger ist, Öl zu finden, Aluminiumhütten zu bauen und die Wirtschaft anzukurbeln. Das mit der Kultur-Revolution hat nicht so recht gezündet. (lacht) Dabei leben wir in ungemein heiklen Zeiten, wenn man den Klimawandel und die Erderwärmung betrachtet. Gerade die Regierung sollte dazu mal Stellung beziehen.

SPIEGEL ONLINE: 2011 haben Sie die Piraten Christopher Lauer und Martin Delius empfangen. Was haben Sie ihnen geraten?

Gnarr: Die Piraten sollten wissen: Wenn du dich selbst als netten Menschen mit sinnvollem Input definierst, der sich in die Politik einmischen will, ist es wirklich ein hartes Geschäft. Menschen ignorieren dich, respektieren dich nicht, behandeln dich harsch oder sogar gewalttätig. Diese Form der Kommunikation zu überstehen, ist wirklich das Schwierigste. Menschen verstehen dich absichtlich falsch, reißen deine Worte aus dem Kontext. Das ermüdet. Und die beste Medizin dagegen ist eben Fröhlichkeit und eine positive Einstellung.

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