
Israels Armee: Das richtige Bild vom Krieg
Neue Strategie der israelischen Armee Krieg der Kameras
Das Knattern von Maschinenpistolen hallt über die sonnenbeschienenen Hügel, die Fensterscheiben beben, wenn wieder eine Handgranate explodiert. Doch das sind nur Hintergrundgeräusche für die Kampfsoldaten im Trainingszentrum der israelischen Armee. Die Männer in diesem Spezialkurs sollen nicht den Umgang mit Sturmgewehren üben. Sie stapeln ihre Gewehre für zwei Wochen am Eingang eines dunklen Klassenzimmers, um die Handhabung einer neuen Waffe zu lernen: Videokameras. Das Kalkül ist einfach: "Israels Existenzkampf findet auch im Internet statt. Medien sind ein Faktor, der den Ausgang und die Dauer von Kriegen maßgeblich mitbestimmt", erläutert Armeesprecher Major Micha Ohana. Deswegen haben die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) neue Eliteeinheiten gegründet, die dem Rest der Welt vor allem Israels Blickwinkel übermitteln sollen.
"Ein völlig neues Bewusstsein hat sich in der IDF breitgemacht", sagt Kurskommandant Leutnant Ofir, dessen richtiger Name nicht genannt werden darf, so will es die Armee. Früher sei vorrangig gewesen, den Feind auf dem Schlachtfeld zu schlagen. Doch inzwischen habe der Generalstab erkannt, dass er, wenn er den Sieg davontragen will, auch den Kampf in Medien und diplomatischen Kreisen gewinnen muss. "Die Bilder, die weltweit erscheinen, bestimmen, wie lange ein Krieg andauert, bevor die Welt einschreitet", sagt Ohana. Und sie bestimmen, wie Israel danach beurteilt wird: "Wir wollen den nächsten Goldstone-Bericht verhindern", sagt Ohana. Der Goldstone-Bericht, der 2009 im Auftrag des Uno-Menschenrechtsrates verfasst wurde, verurteilte das Vorgehen der israelischen Armee im Krieg gegen die Hamas im Gaza-Streifen 2008/2009 als Kriegsverbrechen.
Im Büro des Armeesprechers in Tel Aviv twittern inzwischen zig Soldaten für ihre Armee: "Wir haben erkannt, dass wir uns über neue Plattformen an die Öffentlichkeit wenden müssen", sagt Armeesprecherin Oberstleutnant Avital Leibovich. Es begann 2008 mit einem Blog, "Jetzt sind wir auf Englisch, Französisch, Arabisch, Hebräisch und bald auch auf Spanisch auf Flickr, Instagram, Twitter und Facebook", sagt Leibovich. Die IDF will nicht mehr nur reagieren, sondern Trends setzen. Seit Dezember 2008 wurden die Webseiten der IDF mehr als 26 Millionen Mal angeklickt: "Wir erreichen jetzt ganz neue Kreise. Etwa 15 Prozent unserer Besucher kommen aus der arabischen Welt", sagt Leibovich, und es klingt stolz.
Alle verhalten sich besser, wenn sie Kameras sehen
Nun sollen "Kampfkameramänner" gute Bilder liefern. Am Anfang standen viele Offiziere dieser Idee kritisch gegenüber. Erst im April 2012 wurde Oberstleutnant Schalom Eisner zwangsversetzt, nachdem Aufnahmen zeigten, wie der Offizier einen unbewaffneten Friedensaktivisten schlug. Gegen Eisner soll ein Strafverfahren eröffnet werden. Im Jahr 2008 brachten Aufnahmen von Soldaten, die einem gefesselten Palästinenser in den Fuß schossen, den Obersten Gerichtshof dazu, das milde Strafmaß der Soldaten aufzuheben und eine härtere Klageschrift zu fordern. "Solche Aufnahmen zwingen die Behörden dazu, das Gesetz aufrechtzuerhalten", sagt Sarit Michaeli, Sprecherin der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem.
Genau dafür hat B'Tselem seit 2007 rund 150 Kameras an Palästinenser verteilt, laut Michaeli mit großem Erfolg: "Südlich von Hebron, wo militante Siedler einst Palästinenser terrorisierten, können Schäfer jetzt Dank der Kameras mit ihren Herden ohne Angst vor Übergriffen umherziehen. Alle verhalten sich besser, wenn sie Kameras sehen, egal ob Soldaten, Palästinenser oder Siedler", sagt Michaeli.
Auch die Siedler glauben an die Macht der Linse. Sie gründeten vor drei Jahren Tazpit, "die einzige jüdische Nachrichtenagentur in Israel", so Amotz Eyal, einer ihrer Gründer. Rund 140 freiwillige Kameramänner dokumentieren vor allem im Westjordanland die "Verbrechen" der Palästinenser, wie sie selbst sagen. Besonders stolz ist Eyal auf eine "Elitetruppe" von 15 Kameramännern. Die ehemaligen Kampfsoldaten infiltrieren als Araber verkleidet palästinensische Dörfer, "um die ganze Wahrheit zu filmen", sagt Eyal. Dass palästinensische Demonstranten nämlich angeblich mit Tränengasgranaten werfen würden. Worin die "ganze Wahrheit" besteht, ist allerdings aus solchen Bildern nicht immer zu erkennen. Selbst unabhängige Nachrichtenagenturen senden Fotos von Palästinensern, die Tränengasgranaten werfen - allerdings ist der mitgelieferten Beschreibung oft zu entnehmen, dass die Granaten von der israelischen Armee abgeschossen und lediglich zurückgeworfen werden. SPIEGEL ONLINE kann diese Angaben nicht überprüfen.
Werbung statt objektiver Berichterstattung
Unter den israelischen Kampftruppen wurden inzwischen mehr als 120 Videokameras verteilt, alle drei Monate kommen etliche weitere hinzu. Der Gefreite Yuda, auch sein Name ist geändert, ist inzwischen ebenso vom Nutzen der Kameras überzeugt wie die anfangs skeptischen Offiziere: "Ich bin zwar gläubiger Jude, aber meine Kamera würde ich sogar am Sabbat einschalten. Solche Aufnahmen könnten von nationaler Bedeutung sein", sagt der Panzersoldat. "Jeder hat ein Handy mit Kamera und veröffentlicht später eine redigierte Version der Ereignisse" behauptet er. "Jetzt können wir unseren Standpunkt dokumentieren, zeigen, wie sich die Dinge wirklich abspielen. Es wird der Beweis sein, dass wir keine brutalen Schläger oder blutrünstige Mörder sind." Ofir bestätigt: "Offiziere fühlen sich mit Kameras sicherer. Sie hoffen, dass die ganze Wahrheit herauskommt und nicht nur die Sichtweise unserer Gegner."
Der Kurs für die Kampfkameramänner dauert zwei Wochen: "In den ersten Tagen lernen sie klassische Fotografie. Was ist Komposition, wie leuchte ich eine Szene aus?", sagt eine der Ausbilderinnnen, Feldwebel Diana Mordechai. Danach lernen die Soldaten den Umgang mit Videokameras und einem Kommunikationsgerät, das Aufnahmen im Ernstfall von der Front zum Armeesprecher übermittelt: "Wir wollen Bilder innerhalb von 15 Minuten an die internationale Presse weitergeben", sagt Ofir. Vor ihrer Freigabe werden die Aufnahmen auch vom Zensor überprüft: "Natürlich wollen wir keine Bilder liefern, die uns in ein schlechtes Licht stellen", gibt Ofir zu. Sein Ziel ist schließlich Werbung, nicht objektive Berichterstattung.
"Ihr seid alle tot!"
Das stünde im Gegensatz zur Taktik der Gegner, behauptet Nachrichtenfotograf Yaron Brenner, der als Reservist im Kurs unterrichtet. Als Paradebeispiel dient ihm der libanesische Reuters-Fotograf Adnan Hajj: "Während des zweiten Libanonkrieges hat er seine Bilder bearbeitet, um unsere Aktionen schlimmer aussehen zu lassen", erklärt Brenner den Soldaten und zeigt Hajjs Bilder eines israelischen Luftangriffs auf Beirut: "Ihr seht, wie er weitere Rauchschwaden hineinkopierte", sagt Brenner. Dann zeigt Brenner Aufnahmen zerstörter Häuser in Beirut, vor denen stets dieselbe weinende Frau steht: "Entweder ist sie ein Immobilienhai mit sechs Häusern, oder sie wurde extra hingestellt, um den dramatischen Effekt zu verstärken", sagt Brenner: "Ihr macht so etwas nicht. Hajj wurde von Reuters entlassen. Wenn ihr etwas fälscht oder inszeniert, fügt ihr dem Namen der Armee großen Schaden zu", warnt Brenner.
Am letzten Tag zeigen die Soldaten im Abschlussmanöver, was sie gelernt haben. Zehn Mann stürmen ein Haus. Die Hälfte von ihnen hat das Gewehr im Anschlag, der Rest läuft mit gezückten Videokameras hinterher. Die Übung zeigt, wie schwer es ist, Kampf und Kamera zu verbinden: "Ihr seid alle tot!", ruft ein enttäuschter Trainer den Männern zu. Vor lauter Filmen haben sie vergessen, Deckung zu suchen.