Neuwahl in Israel Jeder gegen jeden, alle gegen Netanyahu

Israel steht ein schmutziger Wahlkampf bevor: Für Ministerpräsident Benjamin Netanyahu geht es ums politische Überleben. Seine ärgsten Rivalen dürften aus dem eigenen Lager kommen.
Israels Premierminister Benjamin Netanyahu will bei den Neuwahlen gewinnen

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu will bei den Neuwahlen gewinnen

Foto: ABIR SULTAN/EPA-EFE/REX

13 Jahre und 127 Tage - das ist die magische Marke: So lange war David Ben-Gurion als israelischer Premierminister im Amt. Benjamin Netanyahu will den Rekord des Staatsgründers brechen. Dafür muss er sich noch etwa sechs Wochen im Amt halten, am 16. Juli ist es so weit. Doch in Feierlaune ist Netanyahu nicht. Denn er ist gerade mit dem Versuch gescheitert, eine Regierung zu bilden. Deshalb wird es am 17. September Neuwahlen geben.

Das liegt vor allem an einem Mann: Avigdor Lieberman. Der säkulare Politiker weigerte sich, den Forderungen der ultraorthodoxen Parteien in Netanyahus Koalition nachzugeben (mehr zu den Hintergründen erfahren Sie hier). Ohne die fünf Abgeordneten von Liebermans Partei "Unser Haus Israel" vereinte der Premier nur 60 der 120 Knesset-Abgeordneten hinter sich - eine Stimme zu wenig.

Netanyahu und Lieberman haben seit mehr als 30 Jahren eine ebenso enge wie komplizierte Beziehung. In den Neunzigerjahren war der gebürtige Moldauer erst Generalsekretär von Netanyahus Likud-Partei. Nachdem die Israelis Netanyahu 1996 zum Ministerpräsidenten gewählt hatten, wurde Lieberman sein Büroleiter.

Avigdor Lieberman (l.) und Benjamin Netanyahu: "Lieberman ist jetzt Teil des linken Lagers"

Avigdor Lieberman (l.) und Benjamin Netanyahu: "Lieberman ist jetzt Teil des linken Lagers"

Foto: REUTERS/Amir Cohen/File Photo

1999 gründete er seine Partei "Unser Haus Israel", die vor allem Einwanderer aus der früheren Sowjetunion unterstützten. Bei der Parlamentswahl 2013 traten Netanyahus und Liebermans Parteien dann wiederum auf einer gemeinsamen Liste an.

Das Verhältnis zwischen Netanyahu und Lieberman ist zerrüttet

Seit 2001 amtierte Lieberman in sechs israelischen Regierungen als Minister. Jedes Mal trat er vorzeitig zurück. Mal, weil er im Zentrum von Korruptionsvorwürfen stand. Mal aus taktischem Kalkül. So auch vor gut einem halben Jahr: Im November 2018 gab Lieberman sein Amt als Verteidigungsminister auf. Er warf Netanyahu einen zu nachsichtigen Umgang mit der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen vor. Damit zwang Lieberman den Premier zu vorgezogenen Neuwahlen im April. Nun, nach Ablauf der Frist zur Regierungsbildung, ist Netanyahu abermals an Lieberman gescheitert.

Damit ist das Verhältnis zwischen den beiden einstigen Verbündeten endgültig zerrüttet. "Lieberman ist jetzt Teil des linken Lagers", sagte Netanyahu in der vergangenen Woche. Eine absurde Unterstellung angesichts der Tatsache, dass Lieberman dem Premier in den vergangenen Jahren immer wieder vorgeworfen hatte, zu nachsichtig mit den Palästinensern zu sein.

Netanyahu mit Grafik von Liebermans Parlamentssitzen: Offener Bruch mit dem Verbündeten

Netanyahu mit Grafik von Liebermans Parlamentssitzen: Offener Bruch mit dem Verbündeten

Foto: Photo by Amir Levy/Getty Images

Der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) selbst kommen die Neuwahlen in Israel durchaus gelegen. Schließlich steigen damit die Chancen, dass die US-Regierung die Präsentation ihres lange erwarteten Friedensplans für den Nahostkonflikt weiter aufschiebt, von dem die Palästinenser ohnehin nichts Gutes erwarten. Vor der Parlamentswahl im April hatte Washington die Vorlage des Plans mit Verweis auf den Wahlkampf verschoben.

US-Präsident Donald Trump hatte kurz vor dem Scheitern der Regierungsbildung noch einmal eindringlich an Netanyahu und Co. appelliert. "Bibi und ich können das Bündnis zwischen Amerika und Israel stärker machen denn je zuvor. Es ist so viel mehr zu tun", hatte Trump getwittert.

Netanyahu wird auch im anstehenden Wahlkampf auf Trumps Unterstützung zählen können. Die persönliche Freundschaft zum US-Präsidenten hat entscheidend dazu beigetragen, dass die USA die israelische Annektion Ostjerusalems und der Golanhöhen anerkannt und sich von der Zweistaatenlösung quasi verabschiedet haben.

Eine rechte Mehrheit bedeutet noch keine Mehrheit für Netanyahu

Einerseits bieten Netanyahus Machtverlust und die Neuwahl dem oppositionellen Parteienbündnis "Blau-Weiß" von Benny Gantz und Jair Lapid eine einmalige Chance. Die beiden Oppositionspolitiker erhielten schon bei der Wahl im April so viele Parlamentssitze wie Netanyahus Likud: 35. Nun können sie sich Hoffnungen machen, im September stärkste Kraft zu werden. Doch ob es nach der Wahl reicht, eine mehrheitsfähige Koalition in der Knesset zu bilden, bleibt fraglich.

Denn seit dem ersten Wahlerfolg von Likud unter Menachem Begin 1977 ist die Wählerschaft kontinuierlich immer weiter nach rechts gerückt. Eine rechte Mehrheit ist daher auch in der neuen Knesset wahrscheinlich. Doch das muss nicht mehr zwangsläufig eine Mehrheit für Netanyahu bedeuten. Der Langzeit-Premier ist politisch angeschlagen, das haben seine Koalitionspartner inzwischen erkannt. Sie könnten ihn daher nach der Septemberwahl erneut beim Versuch scheitern lassen, eine Regierung zu bilden.

Zwei, die sich neben Lieberman große Hoffnungen machen, mittelfristig Netanyahu politisch zu beerben, sind Ayelet Shaked und Naftali Bennett. Die beiden stehen politisch noch weiter rechts als Netanyahu und hatten kurz vor der Wahl im April eine eigene Partei, "Die Neue Rechte" gegründet - und den Einzug in die Knesset nicht geschafft. Nun kriegen sie unverhofft eine schnelle zweite Chance. Netanyahu hat Justizministerin Shaked und Bildungsminister Bennett Anfang der Woche gefeuert - wohl auch aufgrund ihrer politischen Ambitionen.

Shaked und Bennett: Beide Politiker wollen Netanyahu beerben

Shaked und Bennett: Beide Politiker wollen Netanyahu beerben

Foto: JACK GUEZ/ AFP

Neuer Justizminister ist der Likud-Hinterbänkler Amir Ohana. Er ist der erste offen homosexuelle Minister in Israels Geschichte. Netanyahu hat ihn ausgewählt, weil er zuvor seine Unterstützung für die geplante Justizreform bekundet hatte, die dem Premierminister Immunität sichern würde. Das ist bedeutsam, weil gegen Netanyahu Ermittlungen in drei Fällen laufen - wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue.

Israel steht ein schmutziger Wahlkampf bevor

Die Ermittlungen werden ein zentrales Thema im Wahlkampf sein, der die israelischen Steuerzahler viel Geld - umgerechnet fast zwölf Millionen Euro - und Nerven kosten wird. Schmutzkampagnen und aggressive Wählerwerbung über soziale Medien sind in Israel weit verbreitet. Für Netanyahu entscheidend werden vor allem zwei Wählergruppen sein:

  • Die arabischen Wähler, rund 15 Prozent der wahlberechtigten Israelis. Von ihnen gingen - zum Nachteil des Oppositionslagers - im landesweiten Vergleich besonders wenige wählen. In 57 von 60 Dörfern und Kommunen, in denen die Wahlbeteiligung unter 40 Prozent lag, lebten dem Fachportal "al-Monitor" zufolge nur israelische Araber.
  • Netanyahu ist besonders beliebt in der Peripherie, etwa in der Kleinstadt Sderot in der Negevwüste oder der Mittelmeerstadt Aschkelon, beide unweit des Gazastreifens gelegen. Das Parteienbündnis "Blau-Weiß" konnte dort trotz der zahlreichen Ex-Generäle in seinen Rängen Netanyahu nicht schlagen. Wird er es erneut schaffen, dort und in den übrigen strukturschwachen Regionen zu gewinnen, steigen seine Chance auf eine fünfte Amtszeit.

Allerdings gab es seit der vergangenen Wahl eine neue Kampfrunde mit der Hamas in Gaza. Kurz vor dem Eurovision Song Contest in Tel Aviv hatte die Hamas Anfang Mai rund 700 Raketen auf Israel abgefeuert. Netanyahus Gegner warfen dem Premier vor, einmal mehr nicht entschlossen genug reagiert zu haben. Ob ihm das politisch geschadet hat, wird der 17. September zeigen.


Zusammengefasst: Benjamin Netanyahu ist mit seiner Regierungsbildung gescheitert - nun muss am 17. September in Israel erneut gewählt werden. Die Karriere des Langzeitpremiers steht vor dem Aus. Die Justiz ermittelt gegen ihn und einstige Verbündete bereiten seine Nachfolge vor. Für die Wahl dürften die Stimmen in ländlichen Regionen entscheidend sein.

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