
Trumps Entscheidung: Fokus auf Jerusalem
Netanyahu vor Trump-Entscheidung König von Jerusalem
Das Klein-Klein der Alltagspolitik ist Benjamin Netanyahu fremd geworden nach Jahren an der Macht. Der israelische Premier gibt vor, das große Ganze im Blick zu haben. Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen, wie es US-Präsident Donald Trump nach Monaten des Lavierens nun vorhat, gehört zweifelsfrei in diese Kategorie.
Denn die Entscheidung wäre für Israel und den gesamten Nahen Osten historisch - und für Netanyahu wäre sie die Erfüllung eines politischen Traums, auf den er seit vielen Jahren hingearbeitet hat.
Allein der Zeitpunkt: In dieser Woche jährt sich die Erste Intifada, der Palästinenseraufstand gegen die israelische Besatzung, zum dreißigsten Mal. Noch wichtiger: In diesem Jahr feierte Israel zum fünfzigsten Mal den Sieg im Sechstagekrieg, der als zweite Geburt des Landes bezeichnet wird. Schließlich hatte der Kleinstaat damals sein Territorium mit der Eroberung des Westjordanlandes und Ostjerusalems von Jordanien, des Gazastreifens und der Sinaihalbinsel von Ägypten und der Golanhöhen von Syrien um mehr als das Dreifache vergrößert.
Nach fünfzig Jahren am Ziel
Netanyahu war zu jener Zeit, im Sommer 1967, ein Teenager. Die sozialistischen Gründerväter Israels, die damals noch an der Macht waren, erlagen dem nationalreligiösen Taumel, der das Land erfasst hatte. Selbst Verteidigungsminister Moshe Dayan erklärte feierlich an der Klagemauer: "Jerusalem ist befreit. Wir haben Jerusalem, die geteilte Hauptstadt Israels, vereint. Wir sind an unsere heiligen Plätze zurückgekehrt, um uns niemals wieder von ihnen zu trennen."
So klar, wie diese Worte in der Rückschau erscheinen, war die realpolitische Entscheidung, was mit Jerusalem geschehen sollte zunächst aber nicht. Das lag - unter anderem - an Israels damaligem Premier Levi Eschkol. Er galt vielen als politischer Zauderer. Bis heute kursiert dazu ein alter Witz: Als Eschkol sich bei einem Cafébesuch nicht entscheiden konnte, ob er den vom Kellner angebotenen Kaffee oder einen Tee trinken wollte, bestellte er "chetzi-chetzi" - auf Deutsch: halb-halb.
Jerusalem: Ewiger Streit um die Heilige Stadt
Es war die politische Rechte, in der Netanyahu sozialisiert wurde, die 1980 in der Knesset das sogenannte Jerusalemgesetz verabschiedete. Darin wurde "das vollständige und vereinigte Jerusalem" zur Hauptstadt Israels erklärt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erklärte die faktische Annexion Ostjerusalems durch Israel für "null und nichtig". Und Israels Regierungen arbeiteten seither auf diesen Tag zu, an dem die Weltmacht USA ganz Jerusalem als Hauptstadt anerkennt. Nun scheint er gekommen.
Friedensprozess seit Jahren gescheitert
Nachdem das "Time"-Magazin Netanyahu bereits 2012 zum "King Bibi", zum König von Israel gekrönt hatte, ist der 68-Jährige nun kurz davor, von Trump zum König von Jerusalem gekrönt zu werden. Der israelische Premier würde damit den ohnmächtig erscheinenden Palästinensern vorführen, dass die arabische Welt - aus unterschiedlichen Gründen - nichts gegen die US-Entscheidung ausrichten kann, manche Länder auch nicht wollen.

Trumps Entscheidung: Fokus auf Jerusalem
Trump will zudem offenbar nicht nur Jerusalem als Hauptstadt anerkennen. Er will auch die US-Botschaft in einem nächsten Schritt vom Strand in Tel Aviv in die Stadt verlegen, die drei monotheistischen Weltreligionen heilig ist. Es heißt, er glaube trotzdem nicht, dass diese Schritte den Friedensprozess torpedieren würden. Das mag zynisch klingen, ist aber eine von mehreren möglichen Sichtweisen. Schließlich ist von diesem sogenannten Prozess seit Jahren de facto nichts mehr übrig.
Zudem würde Trumps Votum dem in Korruptionsaffären verwickelten Premier innenpolitisch eine kurze Verschnaufpause verschaffen. In den kommenden Tagen werden die Debatten vermutlich nur um ein Thema kreisen: Jerusalem. Außerdem sind jene Oppositionspolitiker, die Netanyahu an der Wahlurne ernsthaft gefährlich werden könnten, in der Jerusalem-Frage inhaltlich nicht weit von ihm entfernt.
Der Kampf um Jerusalem geht weiter
Netanyahu dürfte all das gefallen. Der belesene Sohn eines konservativen - und bereits verstorbenen - Geschichtsprofessors könnte nach der offiziellen Verkündung durch Trump, die für den Abend erwartet wird, dann seine Reden mit historischen Exkursen und biblischen Zitaten versehen - wie er das oft und gerne macht. Darauf verweisen, dass alle israelischen Regierungsbehörden und Ministerien - mit Ausnahme des in Tel Aviv angesiedelten Verteidigungsministeriums - sowie das Parlament ohnehin bereits in Jerusalem sind.
Allein: Am Grundproblem ändert die nun bevorstehende Entscheidung Trumps wenig. Dieses hat der zaudernde Levi Eschkol 1967 treffend beschrieben: "Das Problem ist, dass auf die Mitgift eine Braut folgt, die wir nicht wollen." Mit anderen Worten: Der damalige Ministerpräsident betrachtete die eroberten Gebiete als Mitgift des Sechstagekrieges, seine Bewohner jedoch als ungeliebte Braut.
Die Palästinenser waren und sind aber keine unsichtbaren Wesen. Sie werden weiter um Jerusalem kämpfen.