Tödliche Angriffe Der jüdische Terrorismus schockiert Israel

Trauer um Shira Banki in Jerusalem: "Das ist der jüdische IS"
Foto: GALI TIBBON/ AFPAli Dawabsheh und Shira Banki hatten ihr Leben noch vor sich. Der kleine Junge war erst 18 Monate alt, als mutmaßlich extremistische jüdische Siedler in der Nacht zum Freitag die Fenster seines Hauses einschlugen und einen Molotowcocktail hineinwarfen. Das Mädchen wurde nur 16 Jahre alt. Sie hatte am Donnerstag an der Gay-Parade in Jerusalem teilgenommen. Sie wollte ihre Solidarität mit homosexuellen Freunden bekunden. Ein ultraorthodoxer Jude rammte Shira und fünf weiteren Teilnehmern ein Messer in den Körper, der Teenager erlag am Sonntag seinen Verletzungen.
Mit Ali und Shira haben die Opfer des jüdischen Terrorismus plötzlich ein Gesicht bekommen. Lange hat die israelische Gesellschaft die Radikalisierung und wachsende Militanz ultraorthodoxer und ultranationalistischer Juden weitgehend tatenlos hingenommen. So lange sich die Übergriffe der Siedlerbewegung gegen Moscheen und Kirchen in mehrheitlich von Arabern bewohnten Gebieten richteten und nur Sachschäden verursachten, blieb der Aufschrei der schweigenden Mehrheit in Israel aus.
Das hat sich an diesem Wochenende geändert: Auf Kundgebungen in Jerusalem, Tel Aviv und anderen Städten demonstrierten Tausende Israelis gegen die Gewalttaten. Politiker fast aller Parteien verurteilten die Anschläge aufs Schärfste. "Wir sind entschlossen, mit aller Kraft gegen das Phänomen des Hasses, des Fanatismus und des Terrorismus von jeglicher Seite anzukämpfen", sagte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu.
"Das ist der jüdische IS"
Noch deutlicher wurde die Chefin der linken Meretz-Partei, Zahava Galon: "Der Messerangriff auf die Demonstranten und der Brandanschlag von Duma müssen als das bezeichnet werden, was es ist: das ist jüdischer Terrorismus, das ist der jüdische IS."
Staatspräsident Reuven Rivlin sprach von Flammen des Hasses, die in Israel um sich griffen. "Es gibt Leute, die sich nicht scheuen, diese Flammen anzufachen, die sogar ein Baby verbrennen und Hass und Terror nur weiter verschärfen", sagte Rivlin, nachdem er am Freitag die überlebenden Mitglieder der Familie Dawabsheh im Krankenhaus besucht hatte.
Doch an der Reaktion auf Rivlins Worte zeigt sich auch, dass es eine radikale Minderheit in Israel gibt, die Gewalt gegen Andersdenkende und Palästinenser für ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung hält. Der Hass dieser Minderheit brach sich auf der Facebookseite des Präsidenten Bahn. Dort hinterließen Hunderte Israelis Kommentare wie: "Du bist ein Terrorist in der Regierung" oder "Du bist nicht mein Präsident. Du bist ein Feind des Judentums." Darüber hinaus soll Rivlin mehrere Morddrohungen erhalten haben
Der Inlandsgeheimdienst Shin Bet nimmt die Bedrohungen ernst, die Polizei hat sich ebenfalls eingeschaltet.
Was angesichts der breiten Solidarität mit den Terroropfern in Vergessenheit gerät: Die Politiker, die diesen Hass auf Minderheiten und Palästinenser schüren, sind keine Außenseiter, sondern sitzen in Parlament und Regierung. Der Knesset-Abgeordnete Betzalel Smotrich bezeichnete die Gay Parade noch am Samstag als "Marsch der Abscheulichkeit". Zu diesem Zeitpunkt rangen die sechs Opfer des Anschlags gerade im Krankenhaus mit dem Tod.
Smotrich sitzt für die Partei "Jüdisches Haus" in der Knesset. Die Partei ist Teil der Regierungskoalition von Benjamin Netanyahu und wichtigste politische Kraft der Siedlerbewegung.
Siedler werden sogar für Rechtsbruch belohnt
Die Siedler im Westjordanland und in Ostjerusalem drangsalieren die palästinensische Bevölkerung dort seit Jahrzehnten: Sie nehmen ihnen das Land, fällen ihre Olivenbäume, beschneiden ihre Bewegungsfreiheit. Das alles passiert mit Billigung der israelischen Regierung.
Erst in der vergangenen Woche zeigte sich die Macht der Siedlerbewegung: Israels Oberstes Gericht hatte den Abriss zweier Häuser in der Siedlung Bet El angeordnet, die selbst nach israelischem Recht illegal auf palästinensischem Privatbesitz errichtet worden waren. Gleichzeitig genehmigte Premier Netanyahu den Bau von 300 neuen Häusern in der Siedlung.
Die Botschaft dahinter: Selbst wenn die Siedler gegen israelisches Recht verstoßen, werden sie am Ende dafür noch ausgiebig belohnt.
Die Siedler sind eine Minderheit in der israelischen Gesellschaft. Innerhalb der Siedler ist wiederum nur eine Minderheit militant. Ebenso ist nur eine Minderheit der israelischen Juden ultraorthodox. Und innerhalb der Ultraorthodoxen ist wiederum nur eine Minderheit militant.
Allerdings werden diese radikalen Minderheiten in Israel immer stärker. Mit tödlichen Folgen.