Attentate in Israel Ernte des Hasses

Palästinensischer Jugendlicher mit Steinschleuder im Westjordanland: Misstrauen und Gewaltbereitschaft in Israel wachsen
Foto: HAZEM BADER/ AFPDas Pfefferspray war ausverkauft und auch einen Baseballschläger konnte Ezer Avoyo in den Läden der Stadt nicht mehr finden. "Ich muss doch meine Gäste irgendwie schützen", sagt der Besitzer eines Cafés im Zentrum von Jerusalem. Ohnehin kämen nicht mehr viele Leute in diesen Tagen, die Straßen seien oftmals wie ausgestorben. Um etwa 50 Prozent sei sein Umsatz zuletzt gesunken.
Avoyo, 44, fährt seine beiden Kinder jetzt immer mit dem Auto in den Kindergarten. "Ich bin in Jerusalem geboren, ich lebe schon immer mit dem Konflikt", sagt er. Angst habe er nie wirklich verspürt. Doch in den vergangenen Wochen habe sich die Situation geändert. "Ich fühle mich nicht mehr sicher", sagt er, "im Falle eines Angriffs bin ich doch völlig hilflos."
Tausende Polizisten und Soldaten wurden zusätzlich mobilisiert, überall neue Straßensperren errichtet, Teile Ostjerusalems sind völlig abgeriegelt. Die Attacken auf jüdische Israelis gehen dennoch weiter. Den heutigen Freitag hatte die radikalislamische Hamas zum "Tag der Wut" erkoren, ebenso wie alle Freitage der vergangenen Wochen.
Der Terror hat inzwischen weite Teile des Landes erreicht. Die Angst frisst den Alltag auf. Immer mehr Zivilisten tragen Waffen. Die Organisation Krav Magen bietet kostenlose Selbstverteidigungskurse an. Sicherheitsminister Gilad Erdan lockerte die Gesetze, so sollen nun etwa Lehrer an ultraorthodoxen Schulen einfacher Waffenscheine erhalten. Die Eltern von Kindergartenkindern fordern bewaffnetes Sicherheitspersonal - und das Aussetzen von Bauarbeiten nahe der Kindertagesstätten, wenn arabische Arbeiter daran beteiligt sind.
Misstrauen und Gewaltbereitschaft wachsen
Ein Ereignis in Tel Aviv illustriert das ganze Ausmaß der Angst. So waren am Donnerstag plötzlich Hauptverkehrsadern gesperrt, Dutzende Polizeiautos rasten durch die Straßen, Helikopter kreisten über der Stadt. Sicherheitsdienste hatten Informationen über eine angebliche Terrorattacke erhalten. Polizisten stürmten eine Wohnung, die gerade renoviert wurde, nahmen zwei arabische Männer mit und verhörten sie. Am Ende stellte sich heraus, dass es sich um ganz normale Arbeiter aus Ostjerusalem handelte.
"Die israelische Gesellschaft ist eine sehr ängstliche. Die Menschen leben unter dem immer währenden Schatten der Bedrohung, des Genozids, der Auslöschung und des Terrors", sagt die israelische Soziologin Eva Illouz. Gerade angesichts der schwer kontrollierbaren, zufälligen, von Einzeltätern spontan ausgeführten Attentate fühlen sich die Menschen besonders ohnmächtig. Und mit dem Misstrauen dem eigenen Nachbarn gegenüber wächst auch die Gewaltbereitschaft.
Inzwischen kommt es verstärkt auch zu Angriffen auf arabische Israelis. Rechte Mobs ziehen durch die Straßen Jerusalems. Vergangenen Freitag attackierte ein israelischer Teenager in der südlichen Stadt Dimona mehrere Palästinenser mit einem Messer und verwundete zwei Männer schwer.
Die Soziologin Illouz sieht den Grund für die Gewaltbereitschaft auch in 50 Jahren Erfahrung als Besatzungsmacht: "Mit der zunehmenden Eingliederung der Siedler und der besetzten Gebiete in das normale israelische Leben wird die Gesetzlosigkeit und Gewalt der Siedler das Verhalten und die Weltanschauung der anderen Israelis beeinflussen".
Die meisten Israelis verhielten sich natürlich gesetzestreu. Doch manche glaubten, so Illouz, das Gesetz in ihre eigenen Hände nehmen zu müssen. Ohnehin seien die Grenzen zwischen dem Militärischen und dem Zivilen hier durchlässiger als anderswo.
Verschärft wird die Lage durch einen Trend: Gewaltvideos. Als neues "Hobby von Israelis und Palästinensern" bezeichnet die Tageszeitung "Haaretz" die Entwicklung. "In letzter Zeit wird es immer schwerer, nachts zu schlafen", schreibt der Autor Asher Schechter. Es sei kaum möglich, den Videos in den sozialen Netzwerken und sogar in etablierten Medien zu entgehen. In seinem Kopf tauchten immer wieder Bilder auf von seinen Landsleuten, wie sie erstochen, mit Äxten angegriffen oder überfahren würden. Oder auch von verwundeten Palästinensern, von Kindern, die misshandelt würden, während sie sterben. Weil jeder heute ein Smartphone besitze sei "der dokumentierte Tod viral gegangen." Das verursache noch mehr Hass und heize die Massen zusätzlich an.
"Konfrontation zweier Gesellschaften"
Politiker auf beiden Seiten wirken angesichts der Entwicklung dieser Tage machtlos. Premierminister Benjamin Netanyahu und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas geben sich gegenseitig die Schuld an der Eskalation. Neue Ideen haben sie nicht. Der politische Stillstand der vergangenen Jahre fordert nun seinen Preis. Mit dem de-facto-Aus für die Zwei-Staaten-Lösung ist ein binationales Gebilde entstanden, das von Ungleichheit und gegenseitigem Hass geprägt ist. "Wir haben es mit der Konfrontation zweier Gesellschaften zu tun und nicht mehr mit der Konfrontation zwischen Militär und organisiertem Terror", so die Soziologin Illouz.
Welche Exzesse der Hass hervor bringt zeigt ein Vorfall in einem Vorort von Haifa, einer Stadt, in der jüdische und arabische Israelis bisher friedlich zusammenlebten. Dort stach ein jüdischer Israeli am Dienstag von hinten auf einen anderen jüdischen Israeli ein, weil er ihn für einen Araber hielt. Der Mann, er heißt Uri Rezken, überlebte. Von seinem Krankenhausbett aus ließ er den Angreifer wissen: "Wenn ich Araber wäre, wäre das auch nicht ok. Du solltest niemanden abstechen. Wir sind alle Menschen und wir sind alle gleich."
Zusammengefasst: In Israel häufen sich Attacken palästinensischer Angreifer auf einzelne Bürger, die auf offener Straße angegriffen werden. Nährboden für die Taten ist eine festgefahrene Politik, die seit Jahren nur Hass schürt, statt an pragmatischen Lösungen einer Koexistenz zu arbeiten. Soziologen warnen davor, dass sich die Gewaltbereitschaft in der israelischen Gesellschaft etabliert. Die Angst lähmt den Alltag in Israel bereits spürbar.